Verelendung
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Marx stellt fest, dass mit der "Akkumulation von Kapital" eine "Akkumulation von Elend" einhergeht. Das antagonistische Klassenverhältnis drückt sich hierin aus: Die Bereicherung des Kapitals forciert die Ausplünderung der Arbeiter. Insbesondere Lenin betont, dass die Verelendung sowohl absolut als auch relativ passiert. Die Lage der Arbeiterklasse verschlechtert sich also insgesamt und immer während, also absolut. Die relative Verelendung meint die Verringerung des Anteils des gesellschaftlichen Produktes, der der Arbeiterklasse zufällt. Die relative Verelendung ist damit in der absoluten enthalten.
Die Frage nach der Verelendung ist bis heute nicht entschieden, siehe dazu den Dissens Absolute und relative Verelendung.
Schlagworte
Absolute und relative Verelendung, Lebenslage, Armut, Reichtum, Kapitalistische Produktionsweise, Beherrschung, Ausbeutung, Akkumulation, Elend, Verelendung, Beherrschung, Klasseninteresse Bourgeoisie, kapitalistische Produktionsweise, Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Lebenslage, Verschlechterung der Lebenslage, Klasseninteresse Proletariat
Annahme 1
- Es gibt eine Verelendung der Massen.
- Die Kluft zwischen Besitzlosen und Besitzenden vergrößert sich.
- Absolute Verelendung heißt, dass der Arbeiter ärmer wird und sich seine Lebenssituation insgesamt verschlechtert.
- Relative Verelendung heißt, dass der relative Anteil der Arbeiter am gesellschaftlichen Reichtum abnimmt.
„Die bürgerlichen Reformisten und in ihrem Gefolge manche Opportunisten aus den Reihen der Sozialdemokratie behaupten, daß es eine Verelendung der Massen in der kapitalistischen Gesellschaft nicht gebe. Die ‚Verelendungstheorie‘ stimme nicht, der Wohlstand der Massen wachse, wenn auch langsam, die Kluft zwischen Besitzenden und Besitzlosen werde nicht größer, sondern kleiner.
In letzter Zeit wird die ganze Heuchelei derartiger Behauptungen den Massen immer deutlicher klar. Die Lebenshaltungskosten steigen. Die Löhne der Arbeiter wachsen selbst bei hartnäckigsten und für die Arbeiter maximal erfolgreichen Streikkämpfen viel langsamer, als die für die Erhaltung der Arbeitskraft notwendigen Ausgaben steigen. Gleichzeitig aber wächst der Reichtum der Kapitalisten in schwindelerregendem Tempo.
Hier einige Angaben über Deutschland, wo die Lage der Arbeiter infolge des höheren Kulturniveaus, dank der Streikfreiheit und Koalitionsfreiheit, dank der politischen Freiheit, den Millionen Gewerkschaftsmitgliedern und den Millionen Lesern der Arbeiterzeitungen unvergleichlich besser ist als in Rußland.
Nach Angaben bürgerlicher Sozialpolitiker, die sich auf amtliche Quellen stützen, ist der Durchschnittslohn der Arbeiter in Deutschland in den letzten 30 Jahren um 25% gestiegen. Im gleichen Zeitabschnitt haben sich die Lebenshaltungskosten mindestens um 40% erhöht!!
Sowohl Nahrungsmittel als auch Kleidung, Heizmaterial und Wohnungen — alles ist im Preis gestiegen. Der Arbeiter verelendet absolut, das heißt, er wird geradezu ärmer als früher, er ist gezwungen, schlechter zu leben, sich kärglicher zu ernähren, sich immer weniger satt zu essen, in Kellerräumen und in Dachstuben zu hausen.
Noch offensichtlicher ist jedoch die relative Verelendung der Arbeiter, d. h. die Verringerung ihres Anteils am gesellschaftlichen Einkommen. Der verhältnismäßige Anteil der Arbeiter an dem rasch wachsenden Reichtum der kapitalistischen Gesellschaft wird immer geringer, denn die Millionäre werden immer schneller reich (Hervorhebungen im Original).“
Lenin, Wladimir Iljitsch: Die Verelendung in der kapitalistischen Gesellschaft, in: LW, Band 18, Berlin 1974, Seite 428f.
Annahme 2
- Alle Mittel zur Entwicklung der Produktion schlagen um in Mittel zur Beherrschung und Ausbeutung der Arbeiter.
- Die Arbeiter werden zu Anhängseln der Maschine und sind somit entfremdet von ihrer Arbeit.
- Die Akkumulation von Kapital und Reichtum geht einher mit der Akkumulation von Elend.
- Die kapitalistische Akkumulation hat antagonistischen Charakter.
„Wir sahen im vierten Abschnitt bei Analyse der Produktion des relativen Mehrwerts: innerhalb des kapitalistischen Systems vollziehn sich alle Methoden zur Steigerung der gesellschaftlichen Produktivkraft der Arbeit auf Kosten des individuellen Arbeiters; alle Mittel zur Entwicklung der Produktion schlagen um in Beherrschungs- und Exploitationsmittel [Ausbeutungsmittel, Anmerkung der Autoren] des Produzenten, verstümmeln den Arbeiter in einen Teilmenschen, entwürdigen ihn zum Anhängsel der Maschine, vernichten mit der Qual seiner Arbeit ihren Inhalt, entfremden ihm die geistigen Potenzen des Arbeitsprozesses im selben Maße, worin letzterem die Wissenschaft als selbständige Potenz einverleibt wird; sie verunstalten die Bedingungen, innerhalb deren er arbeitet, unterwerfen ihn während des Arbeitsprozesses der kleinlichst gehässigen Despotie, verwandeln seine Lebenszeit in Arbeitszeit, schleudern sein Weib und Kind unter das Juggernaut-Rad [die Mühle, Anmerkung der Autoren] des Kapitals. Aber alle Methoden zur Produktion des Mehrwerts sind zugleich Methoden der Akkumulation, und jede Ausdehnung der Akkumulation wird umgekehrt Mittel zur Entwicklung jener Methoden. Es folgt daher, daß im Maße wie Kapital akkumuliert, die Lage des Arbeiters, welches immer seine Zahlung, hoch oder niedrig, sich verschlechtern muß. Das Gesetz endlich, welches die relative [Arbeiter-, Anmerkung der Autoren] Übervölkerung oder industrielle Reservearmee stets mit Umfang und Energie der Akkumulation in Gleichgewicht hält, schmiedet den Arbeiter fester an das Kapital als den Prometheus die Keile des Hephästos [Hephaistos, Anmerkung der Autoren] an den Felsen. Es bedingt eine der Akkumulation von Kapital entsprechende Akkumulation von Elend. Die Akkumulation von Reichtum auf dem einen Pol ist also zugleich Akkumulation von Elend, Arbeitsqual, Sklaverei, Unwissenheit, Brutalisierung und moralischer Degradation [Verkommenheit, Anmerkung der Autoren] auf dem Gegenpol, d.h. auf Seite der Klasse, die ihr eignes Produkt als Kapital produziert.“
Marx, Karl: Das Kapital, Bd. 1, in: MEW, Band 23, Berlin 1962, S. 674f.
Annahme 3
- Eine Verbesserung der Lage der englischen Baumwollarbeiter ist auf kurze Momente der Prosperität beschränkt oder resultiert aus der Ausbeutung indischer Arbeiter.
„Was die arbeitenden Klassen anbetrifft, so ist es eine noch sehr bestrittene Frage, ob ihre Lage sich infolge der Vermehrung des angeblichen öffentlichen Reichtums verbessert hat. Wenn die Ökonomen uns als Stütze für ihren Optimismus das Beispiel der englischen Baumwollenarbeiter zitieren, so berücksichtigen sie deren Situation nur in den seltenen Momenten der industriellen Prosperität. […] Aber vielleicht haben die Ökonomen, wenn sie von Verbesserung sprachen, von den Millionen Arbeitern sprechen wollen, die in Ostindien umkommen mußten, damit den eineinhalb Millionen in der gleichen Industrie in England beschäftigter Arbeiter drei Jahre Prosperität auf zehn verschafft würden.“
Marx, Karl: Das Elend der Philosophie, in: MEW, Band 4, Berlin 1977, S. 123f.
Annahme 4
- Die Bourgeoisie hat ein Interesse an der Eindämmung der schlimmsten Auswirkungen der Verelendung.
- Verelendung breitet sich zunehmend aus, was beispielsweise am Verfall von Wohnvierteln deutlich wird.
- Die Bourgeoisie beherrscht die Kunst, das Elend des Proletariats zu verbergen.
- Im Kapitalismus kann das Elend der Arbeiterklasse nur beschränkt, jedoch nicht abgeschafft werden.
„Die wiederholten Heimsuchungen durch Cholera, Typhus, Pocken und andre Epidemien haben dem britischen Bourgeois die dringende Notwendigkeit eingetrichtert, seine Städte gesund zu machen, falls er nicht mit Familie diesen Seuchen zum Opfer fallen will. Demgemäß sind die in diesem Buch beschriebenen schreiendsten Mißstände heute beseitigt oder doch weniger auffällig gemacht. Die Kanalisation ist eingeführt oder verbessert, breite Straßenzüge sind quer durch viele der schlechtesten unter den ‚schlechten Vierteln‘, die ich beschreiben mußte, angelegt. ‚Kleinirland‘ ist verschwunden, und die ‚Seven-Dials‘ kommen demnächst an die Reihe. Aber was heißt das? Ganze Bezirke, die ich 1844 noch als fast idyllisch schildern konnte, sind jetzt, mit dem Anwachsen der Städte, herabgefallen in denselben Stand des Verfalls, der Unwohnlichkeit, des Elends. Die Schweine und die Abfallhaufen duldet man freilich nicht mehr. Die Bourgeoisie hat weitere Fortschritte gemacht in der Kunst, das Unglück der Arbeiterklasse zu verbergen. Daß aber, was die Arbeiterwohnungen angeht, kein wesentlicher Fortschritt stattgefunden hat, beweist vollauf der Bericht der königlichen Kommission ‚on the Housing of the Poor‘ [Über die Behausungen der Armen, Anmerkung der Autoren], 1885. Und ebenso in allem andern. Polizeiverordnungen sind so häufig geworden wie Brombeeren; sie können aber nur das Elend der Arbeiter einhegen, beseitigen können sie es nicht.“
Engels, Friedrich: Anhang [zur amerikanischen Ausgabe der „Lage der arbeitenden Klasse in England“], in: MEW, Band 21, Berlin 1962, S. 252f.
Annahme 5
- Die kapitalistische Produktion hat für den Arbeiter Verbesserungen bzw. Erleichterungen im Arbeitsprozess gebracht.
- Das Elend der Arbeiterklasse besteht jedoch im Wesen des kapitalistischen Systems.
„Und so hat die Entwicklung der kapitalistischen Produktion allein hingereicht, wenigstens in den leitenden Industriezweigen […] alle jene kleineren Beschwerden zu beseitigen, die in frühern Jahren das Los des Arbeiters verschlimmerten. Und so tritt mehr und mehr in den Vordergrund die große Haupttatsache, daß die Ursache des Elends der Arbeiterklasse zu suchen ist nicht in jenen kleinern Übelständen, sondern im kapitalistischen System selbst.“
Engels, Friedrich: Anhang [zur amerikanischen Ausgabe der „Lage der arbeitenden Klasse in England“], in: MEW, Band 21, Berlin 1962, S. 251f.
Annahme 6
- Mit der kapitalistischen Produktionsweise hat sich die materielle Lage der Arbeiter verschlechtert.
- Nur das durch die kapitalistische Produktionsweise entstandene Proletariat ist in der Lage, diese Produktionsweise auch zu überwinden.
- Die Beendigung von Klassenausbeutung und Klassenherrschaft liegt im Interesse des Proletariats.
„Der englische Proletarier von 1872 steht unendlich höher als der ländliche Weber mit ‚Haus und Herd‘ von 1772. Und wird der Troglodyte [Höhlenbewohner, Anmerkung der Autoren] mit seiner Höhle, der Australier mit seiner Lehmhütte, der Indianer mit seinem eignen Herd jemals einen Juniaufstand und eine Pariser Kommune aufführen?
Daß die Lage der Arbeiter seit Durchführung der kapitalistischen Produktion auf großem Maßstab im ganzen materiell schlechter geworden ist, das bezweifelt nur der Bourgeois. Aber sollen wir deshalb sehnsüchtig zurückschauen nach den (auch sehr magern) Fleischtöpfen Ägyptens, nach der ländlichen kleinen Industrie, die nur Knechtsseelen erzog, oder nach den ‚Wilden‘? Im Gegenteil. Erst das durch die moderne große Industrie geschaffene, von allen ererbten Ketten, auch von denen, die es an den Boden fesselten, befreite und in den großen Städten zusammengetriebene Proletariat ist imstande, die große soziale Umgestaltung zu vollziehn, die aller Klassenausbeutung und aller Klassenherrschaft ein Ende machen wird. Die alten ländlichen Handweber mit Haus und Herd wären nie imstande dazu gewesen, sie hätten nie solch einen Gedanken fassen, noch weniger seine Ausführung wollen können.“
Engels, Friedrich: Zur Wohnungsfrage, in: MEW, Band 18, Berlin 1976, S. 220.
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