Notwendigkeit und Zufall

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Schlagworte[Bearbeiten]

Notwendigkeit, Zufall, Gesetzmäßigkeit, Entwicklung, Geschichte, Bewusstsein

Annahmen[Bearbeiten]

Besonderes und Allgemeines[Bearbeiten]

Einzelnes ist Allgemeines. Dies gilt für beliebige Sätze. Schon hierin ist Dialektik.


„Beginnen mit dem Einfachsten, Gewöhnlichsten, Massenhaftesten etc., mit einem beliebigen Satz: die Blätter des Baumes sind grün; Iwan ist ein Mensch; Shutschka ist ein Hund u. dgl. Schon hierin ist (wie Hegel genial bemerkt hat) Dialektik: Einzelnes ist Allgemeines.“
(Lenin, Wladimir Iljitsch: Zur Frage der Dialektik; LW Bd. 38, S.340)


Das Einzelne und das Allgemeine sind Gegensätze. Sie sind identisch. Das Allgemeine existiert nur im und durch das Einzelne. Jedes Einzelne ist auf eine andere Art Allgemeines. Alles Allgemeine ist eine Seite oder das Wesen des Einzelnen. Jedes Einzelne geht unvollständig in das Allgemeine ein.

„Somit sind die Gegensätze (das Einzelne ist dem Allgemeinen entgegengesetzt) identisch: das Einzelne existiert nicht anders als in dem Zusammenhang, der zum Allgemeinen führt. Das Allgemeine existiert nur im Einzelnen, durch das Einzelne. Jedes Einzelne ist (auf die eine oder andere Art) Allgemeines. Jedes Allgemeine ist (ein Teilchen oder eine Seite oder das Wesen) des Einzelnen. Jedes Allgemeine umfaßt nur annähernd alle einzelnen Gegenstände. Jedes Einzelne geht unvollständig in das Allgemeine ein usw. usw. Jedes Einzelne hängt durch Tausende von Übergängen mit einer anderen Art Einzelner (Dinge, Erscheinungen, Prozesse) zusammen usw.“
(Lenin, Wladimir Iljitsch: Zur Frage der Dialektik; LW Bd. 38, S.340)


Ursache und Wirkung[Bearbeiten]

Die Begriffe von Ursachen und Wirkung vereinfachen immer den objektiven Zusammenhang der Naturerscheinung. Sie spiegeln dir Naturerscheinungen immer nur annähernd wieder, durch eine künstliche Isolierung einer Seite im einheitlichen Weltprozess.

„Also, der menschliche Begriff von Ursache und Wirkung vereinfacht immer etwas den objektiven Zusammenhäng der Naturerscheinungen, er spiegelt ihn nur annähernd wider, indem er diese oder jene Seiten des einen einheitlichen Weltprozesses künstlich isoliert.“
(Lenin, Wladimir Iljitsch: Materialismus und Empiriokritizismus, LW Bd. 14, S.151)


Wechselwirkung[Bearbeiten]

In der Natur (den Mensch und sein Rückwirken auf die Natur ausgelassen) wirken lauter bewusstlose blinde Ursachen wechselseitig aufeinander ein. Durch dieses Einwirken kommt das allgemeine Gesetz zur Geltung. Nichts geschieht in der Natur als gewollter und bewusster Zweck. Weder auf den scheinbaren Zufälligkeiten welche auf der Oberfläche sichtbar werden, noch in den Gesetzmäßigkeiten innerhalb der Zufälligkeiten. In der Geschichte der Gesellschaft hingegen sind die Handelnden mit Bewusstsein, Überlegungen oder Leidenschaften Handelnde, die auf bestimmte Zwecke hinarbeiten. Hier geschieht nichts ohne bewusste Absicht und ohne gewollte Ziele.

„In der Natur sind es - soweit wir die Rückwirkung der Menschen auf die Natur außer acht lassen – lauter bewußtlose blinde Agenzien, die aufeinander einwirken und in deren Wechselspiel das allgemeine Gesetz zur Geltung kommt. Von allem, was geschieht - weder von den zahllosen scheinbaren Zufälligkeiten, die auf der Oberfläche sichtbar werden, noch von den schließlichen, die Gesetzmäßigkeit innerhalb dieser Zufälligkeiten bewährenden Resultaten -, geschieht nichts als gewollter bewußter Zweck. Dagegen in der Geschichte der Gesellschaft sind die Handelnden lauter mit Bewußtsein begabte, mit Überlegung oder Leidenschaft handelnde, auf bestimmte Zwecke hinarbeitende Menschen; nichts geschieht ohne bewußte Absicht, ohne gewolltes Ziel.“
(Engels, Friedrich: Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, MEW Bd. 21, S.296)


Die Naturwissenschaft bestätigt, dass die Wechselwirkung die letzte Ursache der Bewegung der Dinge ist. Erkenntnistheoretisch weiter vorzudringen als über die Erkenntnis der Wechselwirkung ist nicht möglich, weil dahinter nichts zu Erkennendes liegt. Um die Materie selbst zu (er)kennen, müssen wir ihre Bewegungsformen erkennen. Erst von dieser universellen Wechselwirkung kommen wir zum wirklichen Kausalitätsverhältnis.

„Wir sehn eine Reihe von Bewegungsformen, mechanische Bewegung, Wärme, Licht, Elektrizität, Magnetismus, chemische Zusammensetzung und Zersetzung, Übergänge der Aggregatzustände, organisches Leben, die alle, wenn wir jetzt noch das organische Leben ausnehmen, ineinander übergehn, einander gegenseitig bedingen, hier Ursache, dort Wirkung sind, und wobei die Gesamtsumme der Bewegung in allen wechselnden Formen dieselbe bleibt (Spinoza: Die Substanz ist causa sui Ursache ihrer selbst -drückt die Wechselwirkung schlagend aus. Mechanische Bewegung schlägt um in Wärme, Elektrizität, Magnetismus, Licht etc. etc., und vice versa. So wird von der Naturwissenschaft bestätigt, was Hegel sagt, daß die Wechselwirkung die wahre causa finalis letzte Ursache der Dinge ist. Weiter zurück als zur Erkenntnis dieser Wechselwirkung können wir nicht, weil eben dahinter nichts zu Erkennendes liegt. Haben wir die Bewegungsformen der Materie erkannt [...], so haben wir die Materie selbst erkannt, und damit ist die Erkenntnis fertig [...]Erst von dieser universellen Wechselwirkung kommen wir zum wirklichen Kausalitätsverhältnis. Um die einzelnen Erscheinungen zu verstehn, müssen wir sie aus dem allgemeinen Zusammenhang reißen, sie isoliert betrachten, und da erscheinen die wechselnden Bewegungen, die eine als Ursache, die andre als Wirkung.

Wer Kausalität leugnet, dem ist jedes Naturgesetz eine Hypothese [...]“
(Engels, Friedrich: Dialektik der Natur, MEW Bd. 20, S.499)


Kausalität[Bearbeiten]

Die Bewegung der Einzelkörper der Materie bedingt sich gegenseitig. Der Mensch kann Bedingungen für diese Bewegung schaffen. Die Vorstellung, dass eine Bewegung die Ursache einer anderen ist, begründet sich durch die Tätigkeit des Menschen. Die Aufeinanderfolge von Naturphänomenen erzeugt die Vorstellung von Kausalität. Diese kann aber nur durch menschliche Tätigkeit "erprobt" werden. Abweichungen von Regeln sind keine Widerlegung dieser, sondern verlangen nach einer Untersuchung für diese Abweichung.

„Das erste, was uns bei der Betrachtung der sich bewegenden Materie auffällt, ist der Zusammenhang der Einzelbewegungen einzelner Körper unter sich, ihr Bedingtsein durch einander. Wir finden aber nicht nur, daß auf eine gewisse Bewegung eine andre folgt, sondern wir finden auch, daß wir eine bestimmte Bewegung hervorbringen können, indem wir die Bedingungen herstellen, unter denen sie in der Natur vorgeht, ja daß wir Bewegungen hervorbringen können, die in der Natur gar nicht vorkommen (Industrie), wenigstens nicht in dieser Weise, und daß wir diesen Bewegungen eine vorher bestimmte Richtung und Ausdehnung geben können. Hierdurch, durch die Tätigkeit des Menschen, begründet sich die Vorstellung von Kausalität, die Vorstellung, daß eine Bewegung die Ursache einer andern ist. Die regelmäßige Aufeinanderfolge gewisser Naturphänomene allein kann zwar die Vorstellung der Kausalität erzeugen: die Wärme und das Licht, die mit der Sonne kommen; aber hierin liegt kein Beweis, und sofern hätte der Humesche Skeptizismus recht, zu sagen, daß das regelmäßige post hoc nie ein propter hoc begründen könne. Aber die Tätigkeit des Menschen macht die Probe auf die Kausalität. Wenn wir mit [einem] Brennspiegel die Sonnenstrahlen ebenso in einen Fokus konzentrieren und wirksam machen wie die des gewöhnlichen Feuers, so beweisen wir dadurch, daß die Wärme von der Sonne kommt. [...]Und hier kann der Skeptiker nicht einmal sagen, daß aus der bisherigen Erfahrung nicht folge, es werde das nächste Mal ebenso sein. Denn es kommt in der Tat vor, daß es zuweilen nicht ebenso ist, daß die Zündung oder das Pulver versagt, daß der Flintenlauf springt etc. Aber grade dies beweist die Kausalität, statt sie umzustoßen, weil wir für jede solche Abweichung von der Regel bei gehörigem Nachforschen die Ursache auffinden können: chemische Zersetzung der Zündung, Nässe etc. des Pulvers, Schadhaftigkeit des Laufs etc., so daß hier die Probe auf die Kausalität sozusagen doppelt gemacht ist.“
(Engels, Friedrich: Dialektik der Natur, MEW Bd.20, S. 497f.)




Notwendigkeit heißt hier, dass eine Entwicklung nur so und nicht anders verlaufen kann.

Notwendige Entwicklung findet statt unabhängig vom Bewusstsein der Individuen.

Weil in der Geschichte der menschlichen Gesellschaft gesetzmäßige Entwicklung sich unabhängig von Bewusstsein durchsetzt, erscheint sie als Zufälligkeit.

Die Gesetze der Entwicklung können erkannt / entdeckt werden.


„Nun aber erweist sich die Entwicklungsgeschichte der Gesellschaft in einem Punkt als wesentlich verschiedenartig von der der Natur. In der Natur sind es - soweit wir die Rückwirkung der Menschen auf die Natur außer acht lassen-lauter bewußtlose blinde Agenzien, die aufeinander einwirken und in deren Wechselspiel das allgemeine Gesetz zur Geltung kommt. Von allem, was geschieht - weder von den zahllosen scheinbaren Zufälligkeiten, die auf der Oberfläche sichtbar werden, noch von den schließlichen, die Gesetzmäßigkeit innerhalb dieser Zufälligkeiten bewährenden Resultaten -, geschieht nichts als gewollter bewußter Zweck. Dagegen in der Geschichte der Gesellschaft sind die Handelnden lauter mit Bewußtsein begabte, mit Überlegung oder Leidenschaft handelnde, auf bestimmte Zwecke hinarbeitende Menschen; nichts geschieht ohne bewußte Absicht, ohne gewolltes Ziel. Aber dieser Unterschied, so wichtig er für die geschichtliche Untersuchung namentlich einzelner Epochen und Begebenheiten ist, kann nichts ändern an der Tatsache, daß der Lauf der Geschichte durch innere allgemeine Gesetze beherrscht wird. Denn auch hier herrscht auf der Oberfläche, trotz der bewußt gewollten Ziele aller einzelnen, im ganzen und großen scheinbar der Zufall. Nur selten geschieht das Gewollte, in den meisten Fällen durchkreuzen und widerstreiten sich die vielen gewollten Zwecke oder sind diese Zwecke selbst von vornherein undurchführbar oder die Mittel unzureichend. So führen die Zusammenstöße der zahllosen Einzelwillen und Einzelhandlungen auf geschichtlichem Gebiet einen Zustand herbei, der ganz dem in der bewußtlosen Natur herrschenden analog ist. Die Zwecke der Handlungen sind gewollt, aber die Resultate, die wirklich aus den Handlungen folgen, sind nicht gewollt, oder soweit sie dem gewollten Zweck zunächst doch zu entsprechen scheinen, haben sie schließlich ganz andre als die gewollten Folgen. Die geschichtlichen Ereignisse erscheinen so im ganzen und großen ebenfalls als von der Zufälligkeit beherrscht. Wo aber auf der Oberfläche der Zufall sein Spiel treibt, da wird er stets durch innre verborgne Gesetze beherrscht, und es kommt nur darauf an, diese Gesetze zu entdecken.“
(Engels, Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie, MEW Band 21, S.296/297)