Staat und Revolution: Unterschied zwischen den Versionen

(Überblick)
(Überblick)
Zeile 8: Zeile 8:
 
Vor dem Hintergrund der Erfahrung der Pariser Kommune von 1871, die Marx und Engels als ersten erfolgreichen Sturz der Herrschaft der Bourgeoisie und als ersten historischen Versuch der Errichtung einer proletarischen Staatsmacht analysierten, schärften sie ihre Position in der Staatsfrage. Die Pariser Kommune war durch die vereinten Kräfte der französischen und deutschen herrschenden Klassen im Blut ertränkt, ihre Anführer und Kämpfer zu Tausenden in den Straßen erschossen worden. Kurz nach dieser Niederlage schrieben Marx und Engels im Vorwort zur Ausgabe des ''Kommunistischen Manifests'' von 1872, dass sie den ursprünglichen Text des Manifests von 1848 um eine zentrale strategische Erkenntnis ergänzen würden: "Gegenüber […] den praktischen Erfahrungen, zuerst der Februarrevolution und noch weit mehr der Pariser Kommune, wo das Proletariat zum erstenmal zwei Monate lang die politische Gewalt innehatte, ist heute dies Programm stellenweise veraltet. Namentlich hat die Kommune den Beweis geliefert, daß 'die Arbeiterklasse nicht die fertige Staatsmaschine einfach in Besitz nehmen und sie für ihre eignen Zwecke in Bewegung setzen kann‘." (MEW 4, S.573-574)
 
Vor dem Hintergrund der Erfahrung der Pariser Kommune von 1871, die Marx und Engels als ersten erfolgreichen Sturz der Herrschaft der Bourgeoisie und als ersten historischen Versuch der Errichtung einer proletarischen Staatsmacht analysierten, schärften sie ihre Position in der Staatsfrage. Die Pariser Kommune war durch die vereinten Kräfte der französischen und deutschen herrschenden Klassen im Blut ertränkt, ihre Anführer und Kämpfer zu Tausenden in den Straßen erschossen worden. Kurz nach dieser Niederlage schrieben Marx und Engels im Vorwort zur Ausgabe des ''Kommunistischen Manifests'' von 1872, dass sie den ursprünglichen Text des Manifests von 1848 um eine zentrale strategische Erkenntnis ergänzen würden: "Gegenüber […] den praktischen Erfahrungen, zuerst der Februarrevolution und noch weit mehr der Pariser Kommune, wo das Proletariat zum erstenmal zwei Monate lang die politische Gewalt innehatte, ist heute dies Programm stellenweise veraltet. Namentlich hat die Kommune den Beweis geliefert, daß 'die Arbeiterklasse nicht die fertige Staatsmaschine einfach in Besitz nehmen und sie für ihre eignen Zwecke in Bewegung setzen kann‘." (MEW 4, S.573-574)
  
Lenin fasste in seiner Schrift ''Staat und Revolution'' (1917) die Lehre über die „Aufhebung“ und das „Absterben des Staates“ von Marx und Engels in scharfer Abgrenzung von den Opportunisten innerhalb der Sozialdemokratie wie folgt zusammen: "Wenn der Staat das Produkt der Unversöhnlichkeit der Klassengegensätze ist, wenn er eine über der Gesellschaft stehende und 'sich ihr mehr und mehr entfremdende' Macht ist, so ist es klar, daß die Befreiung der unterdrückten Klasse unmöglich ist nicht nur ohne gewaltsame Revolution, sondern auch ohne Vernichtung des von der herrschenden Klasse geschaffenen Apparats der Staatsgewalt, in dem sich diese 'Entfremdung' verkörpert. […]
+
Lenin fasste in seiner Schrift ''Staat und Revolution'' (1917) die Lehre über die „Aufhebung“ und das „Absterben des Staates“ von Marx und Engels in scharfer Abgrenzung von den sozialdemokratischen Opportunisten sowie von den Anarchisten wie folgt zusammen: "Wenn der Staat das Produkt der Unversöhnlichkeit der Klassengegensätze ist, wenn er eine über der Gesellschaft stehende und 'sich ihr mehr und mehr entfremdende' Macht ist, so ist es klar, daß die Befreiung der unterdrückten Klasse unmöglich ist nicht nur ohne gewaltsame Revolution, sondern auch ohne Vernichtung des von der herrschenden Klasse geschaffenen Apparats der Staatsgewalt, in dem sich diese 'Entfremdung' verkörpert. […]
 
Engels sagt [im „Anti-Dühring“], daß das Proletariat, indem es die Staatsgewalt ergreift, 'den Staat als Staat aufhebt'. […] In Wirklichkeit spricht Engels hier von der 'Aufhebung' des Staates der Bourgeoisie durch die proletarische Revolution, während sich die Worte vom Absterben auf die Überreste des proletarischen Staatswesens mach der sozialistischen Revolution beziehen. Der bürgerliche Staat 'stirbt' nach Engels nicht 'ab', sondern er wird in der Revolution vom Proletariat 'aufgehoben'. Nach dieser Revolution stirbt der proletarische Staat oder Halbstaat ab. [...] Der Staat ist 'eine besondre Repressionsgewalt'. Diese großartige und überaus tiefe Definition legt Engels hier ganz klar und eindeutig dar. Aus ihr folgt aber, daß die 'besondre Repressionsgewalt' der Bourgeoisie gegen das Proletariat, einer Handvoll reicher Leute gegen die Millionen der Werktätigen, abgelöst werden muß durch eine 'besondre Repressionsgewalt' des Proletariats gegen die Bourgeoisie (die Diktatur des Proletariats). Darin eben besteht die 'Aufhebung des Staates als Staat'. Darin eben besteht der 'Akt' der Besitzergreifung der Produktionsmittel im Namen der Gesellschaft. Und es ist ohne weiteres klar, daß eine solche Ablösung der einen (bürgerlichen) 'besondren Gewalt' durch eine andere (proletarische) 'besondre Gewalt' unter keinen Umständen in Form des 'Absterbens' erfolgen kann. [...] Vom 'Absterben' und noch plastischer und bildhafter vom 'Einschlafen' spricht Engels ganz klar und eindeutig in bezug auf die Epoche nach der 'Besitzergreifung der Produktionsmittel durch den Staat im Namen der ganzen Gesellschaft', d. h. nach der sozialistischen Revolution. Wir wissen alle, daß die politische Form des 'Staates' in dieser Zeit die vollkommenste Demokratie ist. […] Den bürgerlichen Staat kann nur die Revolution 'aufheben'. Der Staat überhaupt, d.h. die vollkommenste Demokratie, kann nur 'absterben'." (LW 25, S. 400/408-410)
 
Engels sagt [im „Anti-Dühring“], daß das Proletariat, indem es die Staatsgewalt ergreift, 'den Staat als Staat aufhebt'. […] In Wirklichkeit spricht Engels hier von der 'Aufhebung' des Staates der Bourgeoisie durch die proletarische Revolution, während sich die Worte vom Absterben auf die Überreste des proletarischen Staatswesens mach der sozialistischen Revolution beziehen. Der bürgerliche Staat 'stirbt' nach Engels nicht 'ab', sondern er wird in der Revolution vom Proletariat 'aufgehoben'. Nach dieser Revolution stirbt der proletarische Staat oder Halbstaat ab. [...] Der Staat ist 'eine besondre Repressionsgewalt'. Diese großartige und überaus tiefe Definition legt Engels hier ganz klar und eindeutig dar. Aus ihr folgt aber, daß die 'besondre Repressionsgewalt' der Bourgeoisie gegen das Proletariat, einer Handvoll reicher Leute gegen die Millionen der Werktätigen, abgelöst werden muß durch eine 'besondre Repressionsgewalt' des Proletariats gegen die Bourgeoisie (die Diktatur des Proletariats). Darin eben besteht die 'Aufhebung des Staates als Staat'. Darin eben besteht der 'Akt' der Besitzergreifung der Produktionsmittel im Namen der Gesellschaft. Und es ist ohne weiteres klar, daß eine solche Ablösung der einen (bürgerlichen) 'besondren Gewalt' durch eine andere (proletarische) 'besondre Gewalt' unter keinen Umständen in Form des 'Absterbens' erfolgen kann. [...] Vom 'Absterben' und noch plastischer und bildhafter vom 'Einschlafen' spricht Engels ganz klar und eindeutig in bezug auf die Epoche nach der 'Besitzergreifung der Produktionsmittel durch den Staat im Namen der ganzen Gesellschaft', d. h. nach der sozialistischen Revolution. Wir wissen alle, daß die politische Form des 'Staates' in dieser Zeit die vollkommenste Demokratie ist. […] Den bürgerlichen Staat kann nur die Revolution 'aufheben'. Der Staat überhaupt, d.h. die vollkommenste Demokratie, kann nur 'absterben'." (LW 25, S. 400/408-410)
  

Version vom 13. November 2019, 15:14 Uhr

Zurück zur AG Formen bürgerlicher Herrschaft

Überblick[Bearbeiten]

Den bürgerlichen Staat zerschlagen, die "Diktatur des Proletariats" errichten[Bearbeiten]

Hier soll kurz die Position der Klassiker des wissenschaftlichen Sozialismus (Marx, Engels, Lenin) zur Frage des Staats in der sozialistischen Revolution dargestellt werden. Auf Grundlage ihrer Analyse des bürgerlichen Staats als "ideeller Gesamtkapitalist" und Instrument der "Diktatur der Bourgeoisie" (siehe Der Klassencharakter des bürgerlichen Staats) gingen die Klassiker davon aus, dass dieser durch die Arbeiterklasse zerschlagen und durch eine neue politische Macht, die "Diktatur des Proletariats", ersetzt werden müsse.

Bereits im Kommunistischen Manifest von 1848 hatten Marx und Engels in der Frage der Revolution und der Staatsmacht Stellung bezogen: "Das Proletariat wird seine politische Herrschaft dazu benutzen, der Bourgeoisie nach und nach alles Kapital zu entreißen, alle Produktionsinstrumente in den Händen des Staats, d.h. des als herrschende Klasse organisierten Proletariats, zu zentralisieren und die Masse der Produktionskräfte möglichst rasch zu vermehren." (MEW 4, S.481)

Vor dem Hintergrund der Erfahrung der Pariser Kommune von 1871, die Marx und Engels als ersten erfolgreichen Sturz der Herrschaft der Bourgeoisie und als ersten historischen Versuch der Errichtung einer proletarischen Staatsmacht analysierten, schärften sie ihre Position in der Staatsfrage. Die Pariser Kommune war durch die vereinten Kräfte der französischen und deutschen herrschenden Klassen im Blut ertränkt, ihre Anführer und Kämpfer zu Tausenden in den Straßen erschossen worden. Kurz nach dieser Niederlage schrieben Marx und Engels im Vorwort zur Ausgabe des Kommunistischen Manifests von 1872, dass sie den ursprünglichen Text des Manifests von 1848 um eine zentrale strategische Erkenntnis ergänzen würden: "Gegenüber […] den praktischen Erfahrungen, zuerst der Februarrevolution und noch weit mehr der Pariser Kommune, wo das Proletariat zum erstenmal zwei Monate lang die politische Gewalt innehatte, ist heute dies Programm stellenweise veraltet. Namentlich hat die Kommune den Beweis geliefert, daß 'die Arbeiterklasse nicht die fertige Staatsmaschine einfach in Besitz nehmen und sie für ihre eignen Zwecke in Bewegung setzen kann‘." (MEW 4, S.573-574)

Lenin fasste in seiner Schrift Staat und Revolution (1917) die Lehre über die „Aufhebung“ und das „Absterben des Staates“ von Marx und Engels in scharfer Abgrenzung von den sozialdemokratischen Opportunisten sowie von den Anarchisten wie folgt zusammen: "Wenn der Staat das Produkt der Unversöhnlichkeit der Klassengegensätze ist, wenn er eine über der Gesellschaft stehende und 'sich ihr mehr und mehr entfremdende' Macht ist, so ist es klar, daß die Befreiung der unterdrückten Klasse unmöglich ist nicht nur ohne gewaltsame Revolution, sondern auch ohne Vernichtung des von der herrschenden Klasse geschaffenen Apparats der Staatsgewalt, in dem sich diese 'Entfremdung' verkörpert. […] Engels sagt [im „Anti-Dühring“], daß das Proletariat, indem es die Staatsgewalt ergreift, 'den Staat als Staat aufhebt'. […] In Wirklichkeit spricht Engels hier von der 'Aufhebung' des Staates der Bourgeoisie durch die proletarische Revolution, während sich die Worte vom Absterben auf die Überreste des proletarischen Staatswesens mach der sozialistischen Revolution beziehen. Der bürgerliche Staat 'stirbt' nach Engels nicht 'ab', sondern er wird in der Revolution vom Proletariat 'aufgehoben'. Nach dieser Revolution stirbt der proletarische Staat oder Halbstaat ab. [...] Der Staat ist 'eine besondre Repressionsgewalt'. Diese großartige und überaus tiefe Definition legt Engels hier ganz klar und eindeutig dar. Aus ihr folgt aber, daß die 'besondre Repressionsgewalt' der Bourgeoisie gegen das Proletariat, einer Handvoll reicher Leute gegen die Millionen der Werktätigen, abgelöst werden muß durch eine 'besondre Repressionsgewalt' des Proletariats gegen die Bourgeoisie (die Diktatur des Proletariats). Darin eben besteht die 'Aufhebung des Staates als Staat'. Darin eben besteht der 'Akt' der Besitzergreifung der Produktionsmittel im Namen der Gesellschaft. Und es ist ohne weiteres klar, daß eine solche Ablösung der einen (bürgerlichen) 'besondren Gewalt' durch eine andere (proletarische) 'besondre Gewalt' unter keinen Umständen in Form des 'Absterbens' erfolgen kann. [...] Vom 'Absterben' und noch plastischer und bildhafter vom 'Einschlafen' spricht Engels ganz klar und eindeutig in bezug auf die Epoche nach der 'Besitzergreifung der Produktionsmittel durch den Staat im Namen der ganzen Gesellschaft', d. h. nach der sozialistischen Revolution. Wir wissen alle, daß die politische Form des 'Staates' in dieser Zeit die vollkommenste Demokratie ist. […] Den bürgerlichen Staat kann nur die Revolution 'aufheben'. Der Staat überhaupt, d.h. die vollkommenste Demokratie, kann nur 'absterben'." (LW 25, S. 400/408-410)

Historisch wurde diese Haltung zur Staatsfrage bis zur Spaltung der Zweiten Internationale von den revolutionären Strömungen innerhalb der alten sozialdemokratischen Parteien vertreten. Nach der Oktoberrevolution und dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde diese Tradition von der kommunistischen Parteien, allen voran den Bolschewiki, in der Kommunistischen Internationale weitergetragen. Spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg machten sich in zahlreichen kommunistischen Parteien wieder Vorstellungen von "friedlichen" und "demokratischen Übergängen" breit, die davon ausgingen, der Sozialismus sei auch ohne revolutionäre Zerschlagung des bürgerlichen Staats und "Diktatur des Proletariats" erreichbar (siehe dazu die folgenden Dissens-Artikel).

Zu den wichtigsten und einflussreichsten Parteien, die auch heute noch an der Notwendigkeit der Zerschlagung der Diktatur der Bourgeoisie und ihres Staats und dem Aufbau der Diktatur der Arbeiterklasse festhalten, gehört die griechische KKE. In ihrem Programm von 2013 schreiben die griechischen Genossen: "Das strategische Ziel der KKE ist die Erringung der revolutionären Arbeitermacht, der Diktatur des Proletariats, für den sozialistischen Aufbau als die unreife Stufe der kommunistischen Gesellschaft." (S. 7) "So [durch den Volksaufstand der Arbeiter- und Volksfront] können die Mechanismen der bürgerlichen Herrschaft außer Kraft gesetzt und deren Neutralisierung erreicht werden, so können sich der Sturz der Diktatur der Bourgeoisie und die vom Volk geschaffenen revolutionären Institutionen durchsetzen, die die Neuorganisierung der Gesellschaft und die Errichtung der revolutionären Arbeitermacht durchführen." (S. 12) Abschließend stellt die KKE unmissverständlich kar: "Die sozialistische Macht ist die revolutionäre Macht der Arbeiterklasse, die Diktatur des Proletariats. Die Arbeitermacht ersetzt alle bürgerlichen Institutionen, die das revolutionäre Handeln zerschlagen hat, durch die neuen, vom Volk geschaffenen, Institutionen." (S. 29)

Für längere Auszüge und detaillierte Nahweise der Klassikertexte, siehe: Grundannahmen Staat

Den bürgerlichen Staat zum Instrument der Arbeiterklasse machen[Bearbeiten]

Die bürgerliche Regierung übernehmen und den Kapitalismus reformieren/transformieren[Bearbeiten]

Bewegungs- und Stellungskrieg (Gramsci)[Bearbeiten]

Kampf um "Hegemonie" statt um Staatsmacht ("Gramscianer")[Bearbeiten]

Staat als "Feld im Klassenkampf" (Poulantzas-Anhänger)[Bearbeiten]

Kampf um demokratische Rechte vs. Glaube an "echte Demokratie"[Bearbeiten]

Den Staat sofort abschaffen (Anarchismus)[Bearbeiten]

Bezug zu unseren Grundannahmen[Bearbeiten]

Wie wollen wir den Dissens klären?[Bearbeiten]

Was steht zu diesem Dissens in unseren Programmatischen Thesen?[Bearbeiten]