Kommunistische Partei und bürgerliche Wahlen

Version vom 4. August 2019, 22:11 Uhr von Albrecht (Diskussion | Beiträge) (Dissens aktualisiert)

Zurück zu AG Revolutionäre Arbeiterbewegung und Kommunistische Partei

Überblick[Bearbeiten]

Eine der wichtigsten und auch immer wieder kontrovers diskutierten Fragen der Strategie und Taktik der kommunistischen Parteien war und ist die der Beteiligung an den bürgerlichen Wahlen. Einerseits geht es dabei um die Frage, ob sich eine kommunistische Partei überhaupt an Wahlen im Rahmen des Kapitalismus beteiligen soll. Andererseits aber auch darum, unter welchen Bedingungen sie dies gegebenenfalls tun soll und mit welcher inhaltlichen Ausrichtung und Herangehensweise.

Dieser Thematik liegen Annahmen über das Wesen des bürgerlichen Staates und der bürgerlichen Demokratie, aber auch Annahmen über das Verhältnis von Strategie und Taktik zugrunde, die jeweils zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen führen können. Hier werden drei grundsätzliche Positionen zu dieser Frage unterschieden: Auf der einen Seite gibt es die Position, dass eine revolutionäre Partei die Teilnahme an bürgerlichen Wahlen grundsätzlich verwerfen muss. Die entgegengesetzte Position besagt, dass die Teilnahme an Wahlen ein unverzichtbarer Bestandteil der Politik einer KP ist und darüber möglicherweise sogar ein Weg zum Sozialismus gefunden werden kann. Eine dritte Position besagt, dass die Kommunisten ein taktisches Verhältnis zu den bürgerlichen Wahlen entwickeln müssen und die legalen Spielräume ausnutzen müssen, ohne sich jedoch in das parlamentarische System integrieren zu lassen.

Historische Vorläufer der heutigen Diskussion[Bearbeiten]

Wahlboykott als revolutionäre Taktik: Die KPD 1919[Bearbeiten]

In der Zeit unmittelbar nach der Gründung der KPD war die Frage der Wahlbeteiligung in der Partei noch ungeklärt. Viele führende Mitglieder des ehemaligen Spartakusbundes wie Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Paul Levi und Käte Duncker befürworteten 1919 eine Teilnahme der KPD an den Wahlen. Diese Position beruhte jedoch nicht auf einer generell positiven Einschätzung der bürgerlichen Demokratie. Liebknecht formulierte seine Einschätzung der bürgerlichen Demokratie folgendermaßen:

„Man hat uns gesagt: Die Nationalversammlung ist der Weg zur Freiheit. Die Nationalversammlung bedeutet aber nichts anderes als eine formelle politische Demokratie. Sie bedeutet durchaus nicht diejenige Demokratie, die der Sozialismus stets gefordert hat. Der Wahlzettel ist sicherlich nicht der Hebel, mit dem die Macht der kapitalistischen Gesellschaftsordnung aus den Fugen gehoben werden kann. Wir wissen, daß eine Reihe von Staaten diese formale Demokratie der Nationalversammlung seit langem besitzt, Frankreich, Amerika, Schweiz. Aber gleichwohl herrscht auch in diesen Demokratien das Kapital.“
[1]


In Redebeiträgen auf dem Parteitag wurde der Position von Luxemburg, Liebknecht und anderen entgegengehalten, dass das Parlament als Tribüne überflüssig wäre, weil für die Revolutionäre die Straße ohnehin die viel wichtigere Tribüne sei um zu den Massen zu sprechen. Die Beteiligung an den Wahlen sei hingegen angesichts der revolutionären Situation nur eine Irreführung der Massen. Auch Otto Rühle favorisierte einen Wahlboykott, den er folgendermaßen begründete:

„Wir müssen die lebende Politik der Straße immer weiter aufstacheln, wir dürfen die Bewegung nicht wieder einlullen, indem wir dem Arbeiter einen Stimmzettel in die Hand geben. Was sollen wir den Leuten sagen? Wählt uns in die Nationalversammlung, damit wir sie von innen aushöhlen und sprengen können, damit wir sie sabotieren, damit wir sie dem Gelächter der Welt preisgeben. Das verstehen die Leute einfach nicht. Wenn man gesagt hat, man muß den Frauen und Jugendlichen die Möglichkeit geben zu wählen. Ich weiß nicht, wie man ihnen klarmachen soll, daß sie uns hineinwählen sollen. Wir können diesen Parlamentarismus nicht mehr als unser Instrument ansehen.“
[2]


Letztlich setzten sich die Befürworter des Wahlboykotts mit deutlicher Mehrheit durch, weshalb die junge KPD sich an den ersten Reichstagswahlen noch nicht beteiligte. 1920 beschloss die KPD dagegen die Teilnahme an den erneuten Reichstagswahlen, was zur Spaltung der Partei beitrug. Die eher „rätekommunistisch“ ausgerichtete Strömung gründete daraufhin die Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands (KAPD), die die Losung des Wahlboykotts weiterhin verteidigte, allerdings nur wenige Jahre Bestand hatte. Ab diesem Zeitpunkt vertrat die KPD die Taktik der Beteiligung an den bürgerlichen Wahlen, um den Wahlkampf und das Parlament als Tribüne zur Agitation zu benutzen. Später vertraten in der BRD viele der an China oder Albanien angelehnten „K-Gruppen“ die Taktik des Wahlboykotts. Auch heute wird die Losung des Wahlboykotts zum Teil von maoistischen Gruppen propagiert.

Beteiligung an Wahlen als unverzichtbarer Bestandteil kommunistischer Politik[Bearbeiten]

Auf dem 20. Parteitag der KPdSU hatte Chruschtschow bereits die Möglichkeit eines friedlichen Übergangs zum Sozialismus durch einen Wahlsieg formuliert. Die Arbeiterklasse könne, so Chruschtschow:

„[...] eine stabile Mehrheit im Parlament erobern und dieses von einem Organ der bürgerlichen Demokratie in ein echtes Instrument des Volkswillens transformieren. In diesem Fall kann diese Institution, die in vielen hochentwickelten kapitalistischen Ländern Tradition ist, zu einem Organ der echten Demokratie, der Demokratie der Werktätigen werden.“
[3]


Auch die langjährige Position der KPD, wonach die Beteiligung an Parlamentswahlen lediglich taktischen Charakter hatte, um das Parlament als Tribüne des Klassenkampfes zu benutzen, wurde in der Nachkriegszeit sukzessive aufgegeben. So erklärte der Vorsitzende der illegalen KPD Max Reimann 1968 in einem Interview:

„Wir erklären ausdrücklich, daß wir eine sozialistische und fortschrittliche Parlamentsmehrheit erstreben, eine sozialistische Ordnung, die sich auf ein Mehrparteiensystem gründet und in der eine parlamentarische Minderheit die verfassungsmäßigen Rechte wahrnehmen kann.“
[4]


Die 1968 gegründete Deutsche Kommunistische Partei vertrat durchgängig die Position, dass die Beteiligung einer KP an Wahlen zulässig und abhängig von den Möglichkeiten der Partei auch anzustreben ist. Die Teile der Partei, die seit den 1990ern eine Beteiligung der DKP an Wahlen ablehnten, vertraten diese Position von „rechts“, also nicht um einem Wahlboykott das Wort zu reden, sondern um durch den Verzicht auf einen eigenständigen Wahlantritt sozialdemokratische Parteien zu unterstützen. Bis heute gibt es beide Positionen in der DKP. In ihrem Programm von 1978 hieß es zum Thema der Wahlen:

„Die Vergrößerung der Zahl der Wählerstimmen für die DKP, der Einzug kommunistischer Abgeordneter in mehr kommunale Parlamente sowie die Landtage und in den Bundestag – das ist ein unverzichtbarer Bestandteil des Kampfes um eine Wende zu demokratischem und sozialem Fortschritt. Starke parlamentarische Positionen der DKP vergrößern wesentlich den politischen Einfluß des arbeitenden Volkes. Sie erleichtern den Kampf um eine Politik und Gesetzgebung, die sich mehr an den sozialen und demokratischen Belangen der Werktätigen orientiert.“[5]

„In einer sozialistischen Bunderepublik werden die gewählten Volksvertretungen die höchsten staatlichen Machtorgane sein. Die DKP tritt dafür ein, daß der Bundestag – befreit von jeglicher großkapitalistischer Einflußnahme – als wahres Parlament des Volkes, als Organ wirklicher Volkssouveränität tätig wird.“
[6]


Die „eurokommunistischen“ Parteien, wie die KP Italiens (PCI), die KP Frankreichs (PCF) und die KP Spaniens (PCE) trieben diese Orientierung in den 1970ern und 80ern weiter. Sie lehnten die Machtübernahme auf dem Weg der Revolution ab und orientierten ihre Politik immer stärker nur noch an den Wahlergebnissen. Auch die Beteiligung an bürgerlichen Regierungen, wie beispielsweise 1981-83 in Frankreich wurde befürwortet.

Beteiligung an Wahlen als Taktik zur Stärkung des revolutionären Klassenkampfes[Bearbeiten]

Eine dritte Position, die einen prinzipiellen Wahlboykott ablehnt und die Wahlen sowie das Parlament taktisch für die proletarische Revolution nutzen will, vertraten in der KPD beispielsweise Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg (s.o.). Luxemburg argumentierte auf dem Parteitag 1919:

„Die Aufgaben sind gewaltig, sie münden in die sozialistische Weltrevolution. Aber was wir bisher in Deutschland sehen, das ist noch die Unreife der Massen. Unsere nächste Aufgabe ist, die Massen zu schulen, diese Aufgaben zu erfüllen. Das wollen wir durch den Parlamentarismus erreichen. Das Wort soll entscheiden. Ich sage Ihnen, gerade dank der Unreife der Massen, die bis jetzt nicht verstanden haben, das Rätesystem zum Siege zu bringen, ist es der Gegenrevolution gelungen, die Nationalversammlung als ein Bollwerk gegen uns aufzurichten. Nun führt unser Weg durch dieses Bollwerk hindurch. Ich habe die Pflicht, alle Vernunft dagegen zu richten, gegen dieses Bollwerk anzukämpfen, hineinzuziehen in die Nationalversammlung, dort mit der Faust auf den Tisch zu schlagen, des Volkes Wille ist das höchste Gesetz. [...] Bilden Sie sich doch nicht ein, daß, wenn wir ihnen vorschlagen, ihren Stimmzettel nicht in die Urne zu werfen, daß dann die Wahlen anders aussehen werden. Die Wahlen stellen ein neues Instrument des revolutionären Kampfes dar.“
[7]


Dies war auch die Position Lenins. In seiner Auseinandersetzung mit Linksradikalen aus Deutschland antwortete er auf deren Argument, der Parlamentarismus sei „historisch und politisch erledigt“ wie folgt:

„Wie kann man denn davon reden, daß der ,Parlamentarismus politisch erledigt‘ sei, wenn ,Millionen‘ und ,Legionen‘ Proletarier nicht nur für den Parlamentarismus schlechthin eintreten, sondern sogar direkt ,gegenrevolutionär‘ sind!? Es ist klar, daß der Parlamentarismus in Deutschland politisch noch nicht erledigt ist. Es ist klar, daß die ,Linken‘ in Deutschland ihren eigenen Wunsch, ihre eigene ideologisch-politische Stellung für die objektive Wirklichkeit halten. Das ist der gefährlichste Fehler, den Revolutionäre machen können. [...] Selbst wenn keine ,Millionen‘ und ,Legionen‘, sondern bloß eine ziemlich beträchtliche Minderheit von Industriearbeitern den katholischen Pfaffen und von Landarbeitern den Junkern und Großbauern nachläuft, ergibt sich schon daraus unzweifelhaft, daß der Parlamentarismus in Deutschland politisch noch nicht erledigt ist, daß die Beteiligung an den Parlamentswahlen und am Kampf auf der Parlamentstribüne für die Partei des revolutionären Proletariats unbedingte Pflicht ist, gerade um die rückständigen Schichten ihrer Klasse zu erziehen, gerade um die unentwickelte, geduckte, unwissende Masse auf dem Lande aufzurütteln und aufzuklären. Solange ihr nicht stark genug seid, das bürgerliche Parlament und alle sonstigen reaktionären Institutionen auseinanderzujagen, seid ihr verpflichtet, gerade innerhalb dieser Institutionen zu arbeiten, weil sich dort noch Arbeiter befinden, die von den Pfaffen und durch das Leben in den ländlichen Provinznestern verdummt worden sind. Sonst lauft ihr Gefahr, einfach zu Schwätzern zu werden.“
[8]


Thesen und Positionen[Bearbeiten]

Die Diskussion um die Beteiligung der Kommunistischen Partei an bürgerlichen Wahlen wird heute immer noch kontrovers geführt. Im Folgenden sollen drei unterschiedliche Positionen dazu vorgestellt werden.

Jugendwiderstand: Die Taktik des Wahlboykotts[Bearbeiten]

Der Jugendwiderstand lehnt beispielsweise eine Beteiligung an bürgerlichen Wahlen ab und hält den Wahlboykott für die richtige Taktik der heutigen Zeit. Er rief 2016 zum Wahlboykott auf und begründete das folgendermaßen:

„Und genau das ist es: Eine Inszenierung der herrschenden Klasse, ein Schauspiel der Volksbetrüger und Arbeiterfeinde. Diese große Propagandashow soll verbergen, dass ihr Parlament auch nur ein Instrument der Klassenherrschaft ist und heutzutage nur und ausschließlich der Bourgeoisie dient, hauptsächlich, indem es Illusionen, Passivität und Lethargie bei den Massen erzeugt und fördert. [...] Alle Wahlparteien sind bürgerliche Parteien – Parteien des BRD-Imperialismus. Gerade die verschiedenen vorgeblich "radikalen" Parteien, die an diesem Schauspiel teilnehmen, repräsentieren in Wahrheit einfach nur verschiedene Fraktionen der deutschen Bourgeoisie oder haben die Aufgabe, unterschiedliche Sektoren der Massen in ihrem Unmut abzuholen, an dieses verfaulte System zu binden und gegeneinander aufzuhetzen. Sie alle stehen den wirklichen Interessen der Arbeiterklasse und des Volkes feindlich gegenüber. [...] Die Leute in unseren Vierteln sind angewidert von diesem Schauspiel – vereinen wir uns mit den Plakatzerstörern, der rebellischen Jugend und den Unzufriedenen. Säubern wir unsere Viertel von ihrer bürgerlichen Lügenpropaganda. Begegnen wir ihren Wahlen mit einem aktiven Wahlboykott: Nieder mit den bürgerlichen Wahlen, mit ihren leeren Versprechungen, ihrer Illusionenschürerei, ihrer Lügenpropaganda, ihrer Volksverarsche!“
[9]

Weil die bürgerlichen Parteien Fraktionen der Bourgeoisie repräsentieren, Illusionen bei der Arbeiterklasse schüren und diese vom Klassenkampf ablenken, sollen sie nicht gewählt werden.

DKP: Die Beteiligung an bürgerlichen Wahlen und der Übergang zum Sozialismus[Bearbeiten]

Die DKP spricht sich für die Teilnahme an bürgerlichen Wahlen aus, negiert dabei aber nicht den Klassencharakter des Staates. Sie schreibt in ihrem aktuellen Parteiprogramm:

„Die Aufgabe des Staates ist es, über die kapitalistische Konkurrenz hinweg die Bourgeoisie zur herrschenden Klasse zu organisieren und ihre Herrschaft abzusichern. Der Staat stellt die repressiven Mittel zur Durchsetzung der Kapitalinteressen zur Verfügung und setzt sie ein, um Widerstand zu unterdrücken. Die Funktion des Staates ist es, die Hegemonie der herrschenden Klasse durch Konsens und Zwang herzustellen; er ist Herrschaftsinstrument und Feld des Klassenkampfes zugleich.“
[10]

Bezüglich der Europäischen Union heißt es:

„Die weitere Entwicklung der Europäischen Union wird davon abhängen, inwieweit es der gewerkschaftlichen und politischen Arbeiterbewegung, der globalisierungskritischen Bewegung, den demokratischen Kräften gelingt, im gemeinsamen Handeln die Beherrschung der EU-Institutionen durch das Monopolkapital einzuschränken, diese Institutionen zu demokratisieren und selbst Einfluss auf deren Entscheidungen zu gewinnen. Der imperialistische Charakter der EU-Konstruktion macht jedoch die Erwartung illusorisch, diese Europäische Union könne ohne einen grundlegenden Umbruch in ihren gesellschaftlichen Verhältnissen zu einem demokratischen, zivilen und solidarischen Gegenpol zum US-Imperialismus werden. Nur ein Europa, das gegen den Neoliberalismus und für den Frieden in der Welt arbeitet, würde das internationale Kräfteverhältnis entscheidend verändern. Dazu muss die Macht der Transnationalen Konzerne gebrochen und müssen die Kämpfe auf nationaler und europäischer Ebene miteinander verbunden werden.“
[11]

Es geht folglich darum, die EU, auch durch die Beteiligung an den Wahlen, zu demokratisieren und „Einfluss auf deren Entscheidungen zu gewinnen“. Einerseits schreibt die DKP, dass Reformen nicht zum Sozialismus führen können:

„Der Sozialismus kann nicht auf dem Weg von Reformen, sondern nur durch tiefgreifende Umgestaltungen und die revolutionäre Überwindung der kapitalistischen Eigentums- und Machtverhältnisse erreicht werden.“
[12]

Andererseits spricht sie aber von einer Übergangsetappe:

„Je mehr es dabei gelingt, Veränderungen im Sinne von Selbstbestimmung am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft, von demokratischer Kontrolle, von Entmilitarisierung und Demokratisierung in Staat und Gesellschaft zu erreichen, je größer der Einfluss der demokratischen und sozialistischen Kräfte überall dort ist, wo Meinungsbildung stattfindet, desto besser sind die Chancen im Kampf um die Zurückdrängung der Macht des Monopolkapitals und für die Öffnung des Weges zum Sozialismus.“
[13]

Durch die Beteiligung an Wahlen und den aktiven Eingriff in die Entscheidungen erhofft sich die DKP eine „Zurückdrängung der Macht des Monopolkapitals“, die letztlich den Weg zum Sozialismus öffnen soll. Zum Kampf um Reformen, der eine Beteiligung an bürgerlichen Wahlen voraussetzt, heißt es weiter:

„Reformpolitik kann der politischen Konfrontation mit der Macht des Großkapitals, vor allem des Transnationalen Kapitals, nicht ausweichen, sondern muss auf sie orientieren. Das erfordert zumindest Eingriffe in die Verfügungsgewalt des Kapitals und wirft die Eigentumsfrage auf. Herkömmliche soziale und demokratische Reformen rücken so näher an die Notwendigkeit grundlegender antimonopolistischer Umgestaltungen heran.“
[14]

Nicht nur eine Beteiligung an Wahlen wird von der DKP angestrebt, sondern im Rahmen der bereits genannten Übergangsetappe sogar die Regierungsbeteiligung:

„Dieser Kampf kann in antimonopolistische Übergänge einmünden. Voraussetzung dafür ist, dass der antimonopolistische Block über so viel außerparlamentarische Kraft und parlamentarischen Einfluss verfügt, dass er eine die gemeinsamen Interessen vertretende Regierung bilden kann. Gestützt auf starke außerparlamentarische Bewegungen, die Organisationen der Arbeiterbewegung und den Aufbau einer neuen demokratischen Macht können tief greifende politische und ökonomische Umgestaltungen eingeleitet werden, in deren Ergebnis die Macht des Monopolkapitals gebrochen wird.“
[15]


KKE: Ein taktisches Verhältnis zu bürgerlichen Wahlen[Bearbeiten]

Auch heute nehmen einige kommunistische Parteien ein taktisches Verhältnis zu bürgerlichen Wahlen ein. Beispielsweise sei hier auf die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) verwiesen. Diese schreibt:

„Der Zweck der Beteiligung der Kommunisten an bürgerlichen Wahlen und am bürgerlichen Parlament ist ihre Ausnutzung für die Zwecke der Propaganda und politischen Diskussion gegen die Macht des Kapitals, die Regierungen und die politischen Parteien, einschließlich der opportunistischen Parteien. Die Beteiligung der Kommunisten am Parlament darf keine Illusionen über seine Rolle schüren, sondern muss im Gegenteil die Rolle des Parlaments als Instrument der Macht des Kapitals entlarven.“
[16]

Außerdem:

„Die Konzentration entscheidender Kräfte der Arbeiterklasse und der sozialen Kräfte, die mit ihnen verbündet sind, auf der Seite der Revolution unter der Führung der kommunistischen Partei als Bedingung für den Sieg der Revolution kann sich nicht durch 50+1% der Wählerstimmen in den Wahlen zum bürgerlichen Parlament ausdrücken.“
[17]


Die KKE arbeitet also im bürgerlichen Parlament, obwohl sie dieses als Instrument des Klassengegners einschätzt. Sie werde in dem hypothetischen Fall, „dass eine Regierung oder eine Partei ein gutes, positives, für das Volk vorteilhaftes Gesetz im Parlament zur Abstimmung bringt [...] dafür stimmen, wie wir es auch in der Vergangenheit getan haben. Außerdem haben wir auch fertige Gesetzesentwürfe, die die Arbeitslosen, Handwerker, die Bauern, die Steuern u.a. betreffen."[18]

Bezug Dissens-Grundannahmen[Bearbeiten]

Für die Klärung des Dissens sind die Ableitungen aus der Grundannahme 3 aus der Kategorie Historische Rolle des Proletariats heranzuziehen. Dabei muss aber auch Annahme 2 aus dem Abschnitt Klassenkampf in Betracht gezogen werden, da der Frage nachgegangen werden muss, ob gegebenenfalls die Beteiligung an bürgerlichen Wahlen die Verbesserung der Lage der Arbeiter erreichen und die Macht des Proletariats erweitern kann, oder nicht. Des Weiteren soll, angelehnt an Grundannahme 2 von Kommunistische Partei/Bedeutung der Partei als politische Organisation der Arbeiterklasse und Grundannahme 1 aus Taktik der Arbeiterbewegung/Strategie und Taktik, untersucht werden, wie der politische Kampf im Parlament eingeschätzt werden muss und wie es der Partei möglich ist, dabei ausschließlich das Klasseninteresse des Proletariats im Sinn zu behalten (siehe auch Grundannahme 3 von Kommunistische Partei/Bedeutung der Partei als politische Organisation der Arbeiterklasse und Grundannahme 1 von Eigenständigkeit der Arbeiterbewegung/Eigenständigkeit der Kommunistischen Partei). Dabei muss mit Bezug auf die Annahmen 4, 15 und 16 aus Kommunistische Partei/Demokratischer Zentralismus der Frage nachgegangen werden, wie die Arbeit im Parlament im Rahmen der Parteidisziplin, also dem Demokratischen Zentralismus, demokratisch abgesichert werden kann. Dabei ist auch zu untersuchen, wie Legalität und Konspirativität miteinander vereinbar sind, was in Grundannahme 2, 4 und 5 aus Kommunistische Partei/Kampfformen (Konspirativität, Legalität) thematisiert wird.

Wie wollen wir an den Dissens klären?[Bearbeiten]

Um eine präzise Position zu dieser Frage zu entwickeln, müssen einerseits die zugrundeliegenden theoretischen Fragen, z.B. über den bürgerlichen Staat und die bürgerliche Demokratie geklärt werden. Wir müssen uns mit der implizit oft vorhandenen Auffassung auseinandersetzen, die bürgerliche Demokratie wäre in geringerem Maße als andere Herrschaftsformen eine Diktatur des Kapitals oder sie wäre gar "systemneutral", könnte also auch das politische System des Sozialismus sein. Aus diesen theoretischen Auffassungen werden oft Positionen abgeleitet, die sich stark auf den Parlamentarismus fixieren. Darüber hinaus ist das Verhältnis der Avantgarde zu den Massen, ihre Aufgabe bei der Vermittlung von revolutionärem Bewusstsein usw. näher zu untersuchen. Die Erfahrungen der kommunistischen Bewegung mit Wahlbeteiligungen und der Arbeit in bürgerlichen Parlamenten müssen empirisch erfasst und kritisch ausgewertet werden. Besonders stellt sich die Frage, ob die Arbeit im bürgerlichen Parlament bereits an sich die Entstehung opportunistischer Positionen begünstigt, oder ob vielmehr umgekehrt der Opportunismus vieler KPen dazu geführt hat, dass sie eine falsche Herangehensweise im Parlament entwickelten.

Bezug zu den Programmatischen Thesen[Bearbeiten]

Zu der Frage der Beteiligung der KP an bürgerlichen Wahlen gibt es keinen Abschnitt in den programmatischen Thesen, dafür aber zum Charakter des bürgerlichen Staates, der für diese Frage von großer Relevanz ist. Dort heißt es:

„Der bürgerliche Staat ist Ausdruck der Unversöhnlichkeit der Klasseninteressen miteinander. Innerhalb dieses unversöhnlichen Gegensatzes setzt er die Interessen der Kapitalistenklasse als Ganzer durch, indem er ihr möglichst gute Bedingungen für die Anhäufung ihres Kapitals bietet. Deshalb ist der bürgerliche Staat nichts anderes als die politische Herrschaft der Bourgeoisie, ideeller Gesamtkapitalist. Er vertritt grundsätzlich die Interessen der ganzen Bourgeoisie, insbesondere aber die Interessen der mächtigsten Teile darin. Er ist eine "Maschine zur Niederhaltung der unterdrückten, ausgebeuteten Klasse" (Engels, MEW 21, S. 170f.). Er wendet letztlich alle Formen von Gewalt an, verbreitet aber auch die bürgerliche Ideologie und betreibt die Einbindung von Teilen der Arbeiterklasse durch Zugeständnisse, um die ausgebeutete Klasse niederzuhalten. Dieser Klassencharakter des Staates macht es für die Arbeiterklasse (oder auch jede andere Klasse) unmöglich, ihn zu übernehmen und in ihrem Interesse zu verwenden. Die proletarische Revolution bedeutet aber auch nicht die sofortige Abschaffung des Staates. Sie ist die Zerschlagung des bürgerlichen Staates und die Errichtung eines neuen Staates der Arbeiterklasse, der Diktatur des Proletariats.“
[19]

Der bürgerliche Staat kann folglich wegen seines Klassencharakters nicht reformiert werden, um den Sozialismus zu erlangen. Es bedarf der Diktatur des Proletariats. Dabei ist die Rolle der KP und die Kampfformen, die sie entwickelt, entscheidend. Im Abschnitt zur kommunistischen Partei heißt es dazu:

„Die Kommunistische Partei muss in der Lage sein, auf die jeweiligen gesellschaftlichen Veränderungen reagieren zu können, und alle dafür notwendigen Kampfformen beherrschen. Dazu muss sie diese Veränderungen zutreffend und rechtzeitig erkennen können und die geeigneten Mittel entwickeln, um ihre Praxis im Sinne größtmöglicher politischer Schlagkraft anzupassen.“
[20]

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. Liebknecht, Karl: Was will der Spartakusbund? (1919), zitiert nach: https://www.marxists.org/deutsch/archiv/liebknechtk/1918/12/waswill.htm (zuletzt aufgerufen: 30.12.2018)
  2. zitiert nach Schwarz, Leo: Die radikale Partei, junge Welt vom 31.12.2018
  3. Khrushchov, Nikita 1956: Report of the Central Committee of the Communist Party of the Soviet Union to the 20th Party Congress, Foreign Languages Publishing House, Moscow, S. 45f, Übersetzung KO.
  4. Steigerwald, Robert 1968: Interview mit Max Reimann, Marxistische Blätter, 6. Jahrgang, Heft 2/1968.
  5. Parteivorstand der Deutschen Kommunistischen Partei (Hrsg.), Protokoll des Mannheimer Parteitags der Deutschen Kommunistischen Partei. Für eine Wende zu demokratischem und sozialem Fortschritt, 1978, S. 225.
  6. Parteivorstand der Deutschen Kommunistischen Partei: Protokoll des Mannheimer Parteitags der Deutschen Kommunistischen Partei. Für eine Wende zu demokratischem und sozialem Fortschritt in: Parteivorstand der Deutschen Kommunistischen Partei (Hrsg.), 1978, S. 251.
  7. zitiert nach Schwarz, Leo: Die radikale Partei, junge Welt vom 31.12.2018
  8. Lenin, W.I.: Der „linke Radikalismus“, die Kinderkrankheit im Kommunismus (1920) in: Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU (Hrsg.): W.I. Lenin Werke Band 31, Berlin 1966, S.96-9743-44
  9. zitiert nach: http://jugendwiderstand.blogspot.com/2016/08/berlin-geht-nicht-wahlen-keine-stimme.html
  10. DKP-Parteiprogramm 2006, S. 4 (10f.)
  11. DKP-Parteiprogramm 2006, S. 5
  12. DKP-Parteiprogramm 2006, S.9. S.28
  13. DKP-Parteiprogramm 2006, S. 9
  14. DKP-Parteiprogramm 2006, S. 9
  15. DKP-Parteiprogramm 2006, S. 10
  16. KKE: Theoretical issues on the Programme of the Communist Party of Greece, S. 111, Übersetzung KO
  17. KKE: Theoretical issues on the Programme of the Communist Party of Greece, S. 46, Übersetzung KO.
  18. Interview mit Dimitris Koutsoumbas, To Vima 10.1.2015, auf deutsch unter: http://news.dkp.suhail.uberspace.de/2015/01/kp-griechenlands-wie-weiter-nach-den-wahlen/ (zuletzt aufgerufen: 30.12.2018).
  19. Kommunistische Organisation: Programmatische Thesen, Berlin 2018, S. 7f.
  20. Kommunistische Organisation: Programmatische Thesen, Berlin 2018, S. 18.