Warum konnte sich der "zu spät gekommene" deutsche Staat gegen Ende 19. Jhd. So schnell entwickeln?

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Die Entwicklung des Kapitalismus in Deutschland wurde lange Zeit durch Kleinstaaterei und die nicht beseitigten feudalen Überreste gebremst. Trotzdem sehen wir eine rasante Entwicklung des deutschen Monopolkapitals gegen Ende des 19. Jahrhunderts. So lesen wir in Lenins Werk zum Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus:

„Über die Schnelligkeit der ökonomischen Entwicklung Deutschlands sagt Riesser, der Verfasser des Werkes über die deutschen Großbanken: 'Der nicht gerade langsame Fortschritt der vorigen Epoche (1848-1870) verhält sich zu der Schnelligkeit, mit der Deutschlands Gesamtwirtschaft und mit ihr das deutsche Bankwesen in dieser Periode (1870-1905) vorwärtskam, etwa so, wie das Tempo der Postkutsche des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zu dem Fluge des heutigen Automobils [...]'[1]


Wenn wir als AG diese Entwicklung untersuchen wollen, müssen wir auch erforschen, ob die These der sogenannten besonderen Aggressivität des zu spät Gekommenen zutrifft:

„Der territorialen Zersplitterung entsprach die politische wie ökonomische Rückständigkeit. Daher kam Deutschland zwar bei der Aufteilung des kolonialen Kuchens unter den imperialistischen Ländern zu spät, verfügte jedoch nach Beginn einer forcierten Industrialisierung über bei Weitem modernere Produktionsanlagen als seine Konkurrenten. Damit begannen sich die internationalen ökonomischen Kräfteverhältnisse zu verschieben.[2]


Fritz Klein stellt die Entwicklung des Staats ähnlich dar:

„Ging es bis in die 60er Jahre des 19. Jahrhunderts vor allem um die Beseitigung der territorialen Zerspöitterung, so in der Zeit des Imperialismus um den Kampf des Monopolkapital und Militairsmus.[3]


Wie war diese Entwicklung möglich? War sie durch bestimmte Besonderheiten in den damaligen ökonomischen und politischen Kräfteverhältnissen möglich oder war gar die besondere geographische Lage Deutschlands entscheidend? Welche Schlüsse lassen sich daraus für die Gegenwart und Zukunft des deutschen Imperialismus ziehen? Teilfragen dieser Analysen sind bspw. die Rolle des deutsch-französischen Kriegs und der darauffolgenden französischen Reparationszahlungen. Weiter ist die Rolle der Großen Depression und des Gründerkrachs und wie sie die Dynamik der Entwicklung verschiedener europäischer Staaten hat, zu analysieren[4].

Deutsche Kommunisten und Kommunistischen scheinen sich außerdem einig zu sein, dass die Art und Weise, wie die deutsche Revolution 1848/49 verlief, besondere Bedeutung für die Entstehung des Nationalstatts hatte:

„Der Hauptunterschied zwischen dem französischen und deutschen Weg der bürgerlichen Revolution bestand darin, dass als Ergebnis in Frankreich zunächst die Republik und die volle Entfaltung der bürgerlichen Freiheit stand während in Deutschland 39 Einzelstaaten, eher lose und in ständiger Feindschaft um die Vorherrschaft rangen, Preußen sich schließlich durchsetzte, und die Monarchie ungebrochen blieb. Es kam wie Lenin es formulierte: 'Zum Triumph des Polizeiwachtmeisters und des Feldwebels'.[5]


Und Werner Biermann stellt fest, dass im Nachhinein die Herrschaft der Feudalklassen eine wichtige Rückwirkung auf die ökonomische Dynamik des Agrar-und Industriebereichs sowie auf die Eindämmung der Arbeitskämpfe hatte, auch auf die Entwicklung des Militärkomplexes, den er als Hauptinstrument der deutschen Weltmachtambitionen bezeichnet.

Unerlässlich zur Beantwortung dieser Fragen sind unsere Grundannahmen zur Entstehung des deutschen Nationalstaates. Für die Klärung der Frage nach der rasanten Entwicklung ist es notwendig, sich die entsprechenden historischen Quellen anzuschauen und auch Vergleiche zu anderen Staaten, etwa Frankreich, zu ziehen.

Mitmachen[Bearbeiten]

In den nächsten Monaten wollen wir uns an die systematische Beantwortung der Fragen machen - dabei kannst du mitmachen:

  • Diskutier mit
    • Du hast andere Erkenntnisse, Positionen zu bestimmten Fragen?
    • Du hast selbst offene Fragen zum Thema?
  • Einzelne Arbeitsaufträge übernehmen - in Theoriearbeit oder in praktischer Umsetzung
  • Dauerhaft mitarbeiten in der AG

Wenn das interessant klingt oder dir noch andere Möglichkeiten einfallen, dich zu beteiligen, melde dich bei uns: ag_imperialismus@kommunistische.org

Literatur zum Thema[Bearbeiten]

Biermann, Werner / Klönne, Arno: Ein Spiel ohne Grenzen. Wirtschaft, Politik und Weltmachtambitionen in Deutschland 1871 bis heute, Köln 2009.

Klein, Fritz: Deutschland von 1897/98 bis 1917. Deutschland in der Periode des Imperialismus bis zur Grossen Sozialistischen Oktoberrevolution, Berlin 1977.

Lenin, W.I.: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, in: Lenin Werke Band 22, Berlin 1961-64.

Marx, Stefan: Geschichte der deutschen Bourgeoisie von den Bauernkriegen bis heute. 1. Teil: Von den Bauernkriegen 1525 bis zur Reichsgründung 1871, in: offen-siv 2011/06, URL: http://www.schattenblick.de/infopool/medien/altern/offen098.html (4.1.2019).

Woydt, Johann: Der deutsche Imperialismus, oder: Solange es Imperialismus gibt, gibt es Krieg! Referat, gehalten im Rahmen des marxistisch-leninistischen Fernstudiums von KPD und offen-iv, veröffentlicht in offen-siv 2018/08, URL: https://offen-siv.net/wp-content/uploads/2018/10/offensiv8-2018-September-Oktober.pdf (4.1.2019).

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. Lenin 1961-1964, S. 306.
  2. Woydt, Johann 2018, S.11.
  3. Klein, Fritz 1977, S. 2.
  4. Biermann / Klönne 2009, S.11.
  5. Marx, Stefan 2011.