Verhältnis von politischer und ökonomischer Macht

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Einleitung[Bearbeiten]

In den Debatten um den richtigen sozialistischen Entwicklungsweg und ganz besonders um die Einschätzung sich sozialistisch nennender Länder wie China und Vietnam spielt die Positionierung zur Machtfrage eine zentrale Rolle. In allen sozialistischen Ländern wurde früher oder später auf Marktelemente zurückgegriffen und damit mancherorts (China, Vietnam etc.) eine neue soziale Klasse geschaffen, die über gewisse ökonomische Macht verfügte. Ob in der Sowjetunion die NEP, das NÖS in der DDR, Ungarn unter Kádár, Vietnam während der Politik der Erneuerung oder Jugoslawien unter Tito, das Phänomen scheint universell. Nun stellt sich die grundsätzliche Frage, inwiefern es überhaupt eine mögliche Strategie sein kann den kapitalistischen Tiger [zu] reiten[1], also gezielt kapitalistische Produktionsverhältnisse zu nutzen, um sich sozialistischen Zielen zu nähern. Bei dieser Frage gibt es die Position, dass politische und ökonomische Macht voneinander unabhängig seien. Solange also die KP als Führung der Arbeiterklasse an der Macht ist, könne eine kapitalistische Ökonomie genutzt werden, ohne die Macht der Arbeiterklasse in Gefahr zu bringen. Die andere Seite sieht die Politik als Teil des gesellschaftlichen Überbaus und damit letztlich als abhängig von den Gesetzmäßigkeiten der ökonomischen Basis. Eine Einführung kapitalistischer Produktionsverhältnisse wirke sich also zwangsläufig auf den Charakter der Führung aus und könne demnach keine oder zumindest keine langfristige Strategie für den sozialistischen Aufbau sein.

Diese Frage zu klären ist für uns von zentraler Bedeutung, um 1) Klarheit über die Machtfrage bei der Niederlage des realen Sozialismus zu erlangen, 2) den Charakter sich sozialistisch nennender Länder wie China und Vietnam einschätzen zu können und 3) die adäquate Strategie für einen erneuten Aufbau des Sozialismus (in Deutschland) entwickeln zu können.

Politische und ökonomische Macht sind voneinander unabhängig[Bearbeiten]

Der Ausgangspunkt dieser Position ist die grundsätzliche Annahme, dass es nach der Machtübernahme der Arbeiterklasse noch eine (langfristige) staatskapitalistische Phase bräuchte, um die Produktivkräfte zu entwickeln, eine Divergenz zwischen politischer und ökonomischer Macht also ohnehin zwangsläufig sei.

Der Charakter des Staatskapitalismus unterscheide sich dabei von dem anderer Länder, da die Arbeiterklasse unter Führung der Kommunistischen Partei und nicht die Bourgeoisie die Verfügungsgewalt über die Kommandohöhen von Staat und Gesellschaft hat[2]. Der Unterschied zwischen Kapitalismus und Sozialismus zeige sich nicht durch den Grad der Planung oder des Marktes, sondern schlicht durch die Macht der Arbeiterklasse, vermittelt durch die KP. Entscheidend sei, dass der proletarische Staat den grundsätzlichen Rahmen für die gesellschaftliche Entwicklung bestimmen und dadurch kapitalistische Produktionsverhältnisse kontrolliert nutzen könne. Auch wenn die Bourgeoisie durch den Kapitalbesitz über ökonomische Macht verfüge, könne sie diese nicht gegen die Macht von Partei und Staat in politische Macht übersetzen. Die Reversibilität der NEP in der Sowjetunion wird schließlich als empirischer Beweis für die universelle Richtigkeit dieser Position angeführt.

Politische Macht leitet sich aus ökonomischer Macht ab[Bearbeiten]

Dementgegen steht die Auffassung, dass der politische und juristische Überbau grundsätzlich eine Ableitung der ökonomischen Basis sei und sich im Falle der Divergenz der Überbau tendenziell an die ökonomische Basis anpasse. Das Primat der Ökonomie wird i. d. R. mit Bezug auf das Basis-Überbau-Modell von Marx hergeleitet. Im konkreten Fall der kapitalistischen Produktionsverhältnisse unter politischer Führung der Arbeiterklasse wird vorerst angemerkt, dass Kapital und Wertgesetz gesellschaftliche Verhältnisse darstellen, die auf der Produktionsweise der Bourgeoisie beruhen[3]. Auch Plan und Markt seien demnach keine neutralen Instrumente, die je nach Situation im Sinne maximaler Effizienz kombiniert werden können[4], sondern Ausdruck und (Re-)Produzent spezifischer gesellschaftlicher Verhältnisse. Die politische Führung, sei sie nun bürgerlich oder proletarisch, unterstehe ökonomischen Sachzwängen (in diesem Falle der kapitalistischen Verwertungs-/Profitlogik), denen sie sich fügen müsse. Auch die kommunistische Partei an der Macht werde also faktisch zum Sachverwalter des Kapitals, wenn die ökonomische Basis eine kapitalistische ist.

Mit den kapitalistischen Produktionsverhältnissen würde außerdem eine ökonomisch herrschende Klasse geschaffen, die alles daran setzen wird, ihre ökonomische in politische Herrschaft zu übersetzen[5]. Einerseits strebe die Führung also danach, sich an die kapitalistischen Produktionsverhältnisse charaktermäßig zu assimilieren und andererseits versuche die Bourgeoisie, mit allen Mitteln ihre ökonomische in politische Herrschaft zu übersetzen. Dadurch könne politische Macht nicht unabhängig von ökonomischer Macht existieren, ganz besonders nicht langfristig.

Bezug zu den Grundannahmen[Bearbeiten]

Um diesen Dissens zu bearbeiten, schauen wir uns folgende Grundannahmen an:


„Die materialistische Anschauung der Geschichte geht von dem Satz aus, daß die Produktion, und nächst der Produktion der Austausch ihrer Produkte, die Grundlage aller Gesellschaftsordnung ist; daß in jeder geschichtlich auftretenden Gesellschaft die Verteilung der Produkte, und mit ihr die soziale Gliederung in Klassen oder Stände, sich danach richtet, was und wie produziert und wie das Produzierte ausgetauscht wird. Hiernach sind die letzten Ursachen aller gesellschaftlichen Veränderungen und politischen Umwälzungen zu suchen nicht in den Köpfen der Menschen, in ihrer zunehmenden Einsicht in die ewige Wahrheit und Gerechtigkeit, sondern in Veränderungen der Produktions- und Austauschweise; sie sind zu suchen nicht in der Philosophie, sondern in der Ökonomie der betreffenden Epoche.“
Engels, Anti-Dühring, MEW Bd. 20, S. 248 f.


Die Produktionsweise sei also die Grundlage aller Gesellschaftsordnung.

Die Ursachen gesellschaftlicher Veränderungen seien deshalb in den Veränderungen der Produktions- und Austauschweise zu suchen.


„Diktatur des Proletariats bedeutet Leitung der Politik durch das Proletariat. Das Proletariat als führende, als herrschende Klasse muss es verstehen, die Politik so zu lenken, daß in erster Linie das dringendste, das ‚wundeste‘ Problem gelöst wird.“
Lenin, Über die Naturalsteuer, Lenin Werke Bd. 32, S. 354.


Die Diktatur des Proletariats sei die politische Herrschaft des Proletariats [nicht unbedingt die ökonomische (implizit im Kontext), Anm. KO].

Arbeitsschritte[Bearbeiten]

Um diesen Dissens zu klären, ist es nötig, sich zuerst in Kooperation mit der AG Wissenschaft und der AG Klassenanalyse ein Fundament in der Frage zu erarbeiten, inwiefern sich die Produktionsverhältnisse im Bewusstsein widerspiegeln. Mit der AG "Staat, Sozialdemokratie und Faschismus" muss sich dann ein tiefes Verständnis des Charakters des Staates im Sozialismus erarbeitet werden.

Anschließend muss historisch-konkret untersucht werden, in welchen Kontexten die Wiedereinführung kapitalistischer Produktionsverhältnisse welche Auswirkungen auf den politischen Überbau hatte. Die Gründe für die NEP, die spezifische historische Situation in der SU, sowie die Folgen der NEP zu untersuchen und inwiefern daraus verallgemeinerbare Schlüsse für den Einsatz kapitalistischer Produktion gezogen werden können, hat für uns die höchste Relevanz. Untersucht werden sollen dabei außerdem die Beispiele der NÖS, der Wirtschaftsreformen Chinas und Vietnams, Jugoslawien und Chile.

Das Ergebnis muss eine fundierte Einschätzung sein, ob politische Macht langfristig von ökonomischer Macht unabhängig existieren kann.

In diesem Zuge muss auch die Rolle ökonomischer Macht bei der Bourgeoisie im Inland für die Konterrevolution (vor allem für revisionistische Vorstellungen in der Partei) im sozialistischen Block klargestellt werden.

Bezugnahme Dissens – unsere Behauptungen[Bearbeiten]

In den Programmatischen Thesen ist bereits ein kollektiver Diskussionsstand der KO festgehalten, durch den wir mit einer gewissen Positionierung in die Erarbeitung des Dissens starten. Die folgenden Thesen beziehen sich jedoch allgemein auf Wertgesetz und sozialistische Warenproduktion und nicht explizit auf Privateigentum bzw. ökonomische Macht, die außerhalb des proletarischen Staates liegt.

Die "sozialistische Warenproduktion" untergrub in der Praxis den Sozialismus:


„Theorien, die von einer dauerhaft bleibenden Wirkung des Wertgesetzes im Sozialismus oder der sozialistischen Warenproduktion ausgehen, haben sich als falsch und schädlich erwiesen. Wo die Praxis in den sozialistischen Ländern sich nach solchen Vorstellungen richtete, untergrub sie den Sozialismus.“


Und war maßgebliche Ursache der Konterrevolution:


„Maßgebliche Ursache der Konterrevolution war die Verbreitung und schließlich Vorherrschaft revisionistischer Auffassungen und ‚marktsozialistischer‘ Tendenzen.“


Literatur[Bearbeiten]

  • Corell, Richard: Kampf der Linien in der KPCh, T&P 39, März 2015.
  • Engels, Friedrich: Anti-Dühring, MEW Band 20.
  • Kunzmann, Marcel: Theorie, System & Praxis des Sozialismus in China.
  • Lenin, W. I.: Über die Naturalsteuer, Lenin Werke Band 32.
  • Spanidis, Thanasis: Die Diskussion um den Klassencharakter der Volksrepublik China. Ausdruck der weltanschaulichen Krise der kommunistischen Weltbewegung.


Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. Corell (2015).
  2. vgl. Kunzmann, S. 7.
  3. Thanasis
  4. Ebd., S.
  5. Ebd., S.