Staatseigentum, Vergesellschaftung und Bürokratie im Sozialismus

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Einleitung[Bearbeiten]

Leo Trotzki entwickelte die Theorie der „Bürokratisierung“. Auf Grundlage derer begann er im Jahr 1922, die Sowjetunion als „entartet“ zu verunglimpfen. Vor dem Hintergrund des anhaltenden Kriegszustandes der Sowjetunion, so Trotzki, herrschte zu dieser Zeit eine deutliche Tendenz zu einer autoritären Verselbstständigung des Verwaltungsapparates. Trotzki schreibt dazu im Jahre 1936: Unter keinem anderen Regime außer dem der UdSSR hat die Bürokratie einen solchen Grad der Unabhängigkeit von der herrschenden Klasse erlangt[1]. Trotzki bezeichnete die UdSSR zwar noch als einen proletarischen Staat, die Arbeiterklasse also als herrschende Klasse, aber [d]er Staat ‚gehört‘ gewissermaßen der Bürokratie[2]. Wo doch der Sozialismus eigentlich die Entfremdung der Produzenten von den Produktionsmitteln aufheben sollte, existiere die Entfremdung fort, da nicht unmittelbar die Arbeiterklasse, sondern eine Bürokratie über die Produktionsmittel verfüge, schlussfolgert Trotzki. Doch inwieweit kann eine Bürokratie (also der Verwaltungsapparat) in einem proletarischen Staat überhaupt losgelöst von der Arbeiterklasse agieren? Welchen Charakter hat eine Bürokratie im Sozialismus und welche Rolle spielt sie? Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit die Entfremdung der Produzenten von Produktionsmitteln und gesellschaftlichen Gestaltungsprozessen aufgehoben werden kann – und wie ist der Weg dorthin zu bewerkstelligen? Gibt es in der ersten Phase des Kommunismus überhaupt die Möglichkeit einer zentralen Planwirtschaft, ohne einen gesonderten Verwaltungsapparat? Aus Trotzkis Vorwürfen entstehen viele Fragen, die auch heute noch zu einer Lösung drängen – im Rahmen des Klärungsprozesses möchten wir uns mit diesen auseinandersetzen.

Im Folgenden wollen wir die Positionen von Trotzki und seinen Verteidigern, sowie dessen Kritikern zu gegebenem Thema darlegen. Die Begriffe Vergesellschaftung und Aufhebung von Entfremdung (also hier der Entfremdung der Produzenten von Produktionsmitteln und gesellschaftlichen Gestaltungsprozessen) werden synonym verwendet.

Trotzkis Thesen[Bearbeiten]

Nach Trotzki sei nach der „Machtergreifung“ Stalins eine bürokratische Clique an die Macht gekommen und hätte sich durch die Ausbeutung der Arbeiter und Bauern bereichert. Wie bereits oben festgehalten, ist eine der zentralen Thesen Trotzkis bei dieser Frage, dass die Bürokratie Unabhängigkeit von der herrschenden Klasse, dem Proletariat, erlangt hat. Dadurch, dass die Bürokratie sich des Proletariats entfremdet, entfremdet sich folglich das Proletariat von der Verwaltung seines Staates, von den Produktionsmitteln, von den Gestaltungsprozessen. Die Bürokratie sei die einzige im vollen Sinne des Wortes privilegierte und kommandierende Schicht der Sowjetgesellschaft[3]. Der Grund der politischen Expropriation des Proletariats durch die Sowjetbürokratie sei, um seine sozialen Eroberungen mit ihren Methoden zu verteidigen[4]. Nach Trotzki sei die angeprangerte Verselbstständigung des Verwaltungsapparates also Produkt ihres Interesses, ihre Privilegien abzusichern. Dafür wäre es notwendig gewesen, dem Proletariat die Möglichkeit zur Partizipation in der Verwaltung des Staates zu entziehen. Ergebnis sei ein „bürokratisch entarteter Sozialismus“ in dem das Staatseigentum „gewissermaßen“ Eigentum der Bürokratie und das Proletariat (politisch) entmachtet ist. Trotzkis Einschätzung von Charakter und Rolle der Bürokratie insgesamt und besonders in der Sowjetunion fluktuiert jedoch zwischen seinen Werken und teilweise auch innerhalb dieser. – Eingangs schreibt er noch, dass die Bürokratie notwendige Erscheinung jedes Klassenregimes und unlöslich mit der wirtschaftlich herrschenden Klasse verknüpft sei: Das Vorhandensein einer Bürokratie charakterisiert, bei allen Unterschieden in Form und spezifischem Gewicht, jedes Klassenregime. Ihre Kraft trägt widergespiegelten Charakter. Die Bürokratie ist unlöslich verknüpft mit der wirtschaftlich herrschenden Klasse, nährt sich aus deren sozialen Wurzeln, steht und fällt mit ihr [...] Nichtsdestoweniger ändern die Privilegien der Bürokratie für sich allein noch nichts an den Grundlagen der Sowjetgesellschaft, denn die Bürokratie schöpft ihre Privilegien nicht aus irgendwelchen besonderen, ihr als ‚Klasse‘ eigentümlichen Besitzverhältnissen, sondern aus den Eigentumsformen, die von der Oktoberrevolution geschaffen wurden und im Grunde der Diktatur des Proletariats adäquat sind [5]. Drei Seiten später spricht er jedoch wieder von einem „bürokratischen Regime“ mit konterrevolutionären Tendenzen: Aber die Weiterentwicklung des bürokratischen Regimes kann zur Entstehung einer neuen herrschenden Klasse führen; nicht auf dem organischen Weg des Entartens, sondern über die Konterrevolution[6]. Seine Einschätzungen in ihrer Entwicklung und Widersprüchlichkeit zu untersuchen wird Aufgabe des Klärungsprozesses sein.

Verteidiger Trotzkis[Bearbeiten]

Das trotzkistische Spektrum ist breit. Es liegen selbstverständlich unterschiedliche Interpretationen und Weiterentwicklungen Trotzkis vor. An dieser Stelle möchten wir exemplarisch eine Verschärfung der trotzkistischen Ideen herausstellen. Ignatus Wobbel ist ein „anonymer“ Autor, der als Person keinen bedeutenden Einfluss auf den kommunistischen Diskurs hat. Nichtsdestotrotz fasst er die Positionen, die heute von einigen Trotzkisten vertreten werden, gut zusammen. Wobbel stellt folgende Definition von Vergesellschaftung voraus: Vergesellschaftung bedeutet vor allem eine Verlagerung der Macht, da nämlich nunmehr die Produzenten selbst über alle Belange der Produktion, der Organisation, des Transportes, der Prozesse entscheiden. Sie tun dies in Kooperation miteinander und in Kooperation mit den Produzenten anderer Wirtschaftszweige und Betriebe[7].

Davon ausgehend konstatiert Wobbel: Staatseigentum ist kein gesellschaftliches Eigentum, weil alle ökonomischen Entscheidungsbefugnisse und Aneignungsbefugnisse nunmehr beim Staat liegen würden. Die Produzenten bleiben dabei nach wie vor von den Produktionsmitteln getrennt. Sie bleiben subalterne Arbeitssklaven. Ihre Arbeit ist immer noch Lohnarbeit, Arbeit für den Staat. Wie der Staatsmonopolismus des ‚real existierenden Sozialismus‘ gezeigt hat, ist der staatliche Besitz an Produktionsmitteln die Grundlage für die Macht einer seelenlosen Parteibürokratie[8].

Wobbel greift also Trotzkis Ideen auf und erweitert sie noch dahingehend, dass der staatliche Besitz an Produktionsmitteln grundsätzlich – und nicht nur in der konkreten Form in der Sowjetunion der 20er und 30er Jahre – eine Entfremdung der Produktionsmittel von den Arbeitern bedeute.

Es kann noch notwendig sein, eine zentrale Verwaltungsinstanz eine Zeit lang aufrechtzuerhalten. Auch zentrale Dienste wie Universitäten, Krankenhäuser, etc. könnten noch eine Weile eine zentrale Dienstleistungsinstanz erfordern. Aber dies wäre eben eine Instanz ohne Macht, eine ‚Dienst‘leistung im ursprünglichen Sinne des Wortes. Weil das System Staat immer eine innenliegende gewaltige Tendenz zur Unterdrückung hat – wie die geschichtliche Erfahrung zeigt – darf es keine solche zentrale Macht geben[9], schlussfolgert er weiter. Sofern dennoch eine zentrale Verwaltungsinstanz notwendig ist, müsse sie losgelöst von der Unterdrückungsmaschinerie und ohne eigener Macht ausgestattet arbeiten – sie müsse einen reinen Dienstleistungscharakter der Gesellschaft gegenüber haben.

Die zentrale Frage, die sich hier nun ergibt und die Wurzel des Dissens zu sein scheint, ist die, ob Verstaatlichung naturwüchsig bedeutet, dass nicht mehr die Arbeiterklasse herrscht, sondern eine „seelenlose Parteibürokratie“ oder Verstaatlichung – in gegebenem proletarischen Staat – gerade als Mittel der Vergesellschaftung der Arbeiterklasse die Gewalt über die Produktionsmittel ermöglicht.

Weitere trotzkistische Strömungen analysieren die Sowjetunion in Abkehr von der traditionellen These (degenerierter Arbeiterstaat) als kapitalistisch und imperialistisch. Vertreter dieser Position sind z. B. Tony Cliff, James Burnham und Max Shachtman. Weitere Ausführungen hierzu sind im Dissens zur Einschätzung der Sowjetunion zu finden.

Kritik an Trotzkis Thesen[Bearbeiten]

Die kritische Auseinandersetzung mit Trotzkis Thesen ist noch älter als die Sowjetunion selbst. Auch wenn Lenin, Stalin und andere Kritiker von Trotzkis Thesen über die Bürokratie selbst nie offen die Gefahr der Bürokratisierung verkannt haben (also die Herausbildung der Massen entfremdeter, über den Massen stehender, privilegierter Personen im Verwaltungsapparat), wurden Trotzkis spezifische Ansichten zur Bürokratie als unmarxistisch und im Kern konterrevolutionär bekämpft. Die Kritik an Trotzkis Auffassungen zur Rolle der Bürokratie beginnt mit der Herausstellung, dass seine Auffassungen unklar und diffus seien:


„Um die Verwirrtheit dieses Konstrukts von einem ‚degenerierten Arbeiterstaat‘ zusammenzufassen: Zwar habe das Proletariat die Macht erobert, wurde aber von der Bürokratie entmachtet. Letztere sei aber keine Klasse, also stehe der ‚Stalinismus‘ irgendwo zwischen Sozialismus und Kapitalismus. Auch wenn die Bürokratie keine Klasse sei und formal das Proletariat die Macht erobert habe, herrsche die Bürokratie aber trotzdem wie eine Klasse, obwohl sie aber keine echte Klasse sei und als Bürokratie nur im Interesse einer Klasse herrschen könne. Da aber die stalinistische Bürokratie nicht im Interesse der Arbeiterklasse herrsche, aber es auch keine Bourgeoisie mehr gebe, herrsche sie quasi wie eine Klasse.“
Kubi, Die Sowjetdemokratie und Stalin, S. 10.


Die trotzkistische Auffassung der sowjetischen Bürokratie scheine also in sich widersprüchlich und ließe sich nicht in einer marxistischen Logik fassen.

Max Seydewitz erklärt im Gegenzug den Charakter und die Rolle der Bürokratie im Sozialismus folgendermaßen: Die Bürokratie ist nicht um ihrer selbst willen da, sondern sie hat Aufgaben zu erfüllen, die ihr von ihrem Auftraggeber, der jeweils herrschenden Klasse, vorgeschrieben werden. Sie dient der herrschenden Klasse, sie muss für die Erreichung der von der herrschenden Klasse erstrebten Ziele wirken. [...] [D]as Ziel, das die Bürokratie in der Sowjetunion unter der Herrschaftsform der Diktatur des Proletariats erreichen soll, ist die Aufhebung der Klassengesellschaft, die Errichtung der klassenlosen Gesellschaft, die den Staat, die Gendarmen und die Bürokratie überflüssig macht. [...] Die Wandlung der Bürokratie der Sowjetunion und die Überwindung ihrer Schwächen liegt in der Hand der über weitgehende politische und wirtschaftliche Rechte verfügenden Arbeiter- und Bauernmassen, deren Beauftragte die Herrschaft in der Sowjetunion ausüben[10]. Seydewitz konstatiert also, dass die Bürokratie der jeweils herrschenden Klasse untergeordnet ist. Die Arbeiter- und Bauernmassen bestimmen folglich Ziele, für dessen Erreichen die Bürokratie wirken müsse – was in der Sowjetunion so auch real passiere. Die Werktätigen entfremden sich demnach nicht durch eine Bürokratie von den Produktionsmitteln und den weiteren gesellschaftlichen Gestaltungsprozessen. Die Bürokratie sei bis zu einem bestimmten Punkt notwendiges Mittel für die Machtausübung der Arbeiter- und Bauernmassen. Überdies habe die Bürokratie im Sozialismus die Entwicklung gen Kommunismus und damit ihre eigene Abschaffung als Ziel. Dies steht der trotzkistischen These einer Bürokratie mit eigenen konterrevolutionären „Klassen-“Interessen unmittelbar entgegen.

Der Knackpunkt der Debatte ist zweifelsohne die Interessenlage der Bürokratie. Bildet sie eine Einheit mit der herrschenden Klasse, hat sie im Sozialismus einen revolutionären Charakter und organisiert die Machtausübung der herrschenden Klasse und damit die Überwindung der Entfremdung. Hat sie eigene, der herrschenden Klasse unabhängige Interessen, kann die Entfremdung der breiten Massen nicht aufgehoben werden – die Bürokratie herrscht, die breiten Massen bleiben „subaltern“.

Unter der Vorannahme, dass gesellschaftliche Interessen klassenspezifisch sind, ist die zentrale Frage der Debatte also, inwiefern die Bürokratie eine eigenständige Klasse ist, bzw. einen Drang dazu hat, sich zu einer solchen herauszubilden. Zumindest den Kritikern an Trotzkis Auffassungen scheint die Frage leicht anhand des Verhältnisses zu den Produktionsmitteln zu beantworten zu sein: Genauso aber wie aus der Bürokratie keine neue Klasse entsteht, entsteht auch aus besser verdienenden Schichten durch ein höheres Einkommen keine neue Klasse. Die Klassenbildung ist von den Produktionsverhältnissen abhängig. In einer Gesellschaftsformation, in der die Produktionsmittel vergesellschaftet sind, gibt es keine privaten Kapitalisten, die durch die Ausbeutung der Werktätigen sich den durch diese geschaffenen Mehrwert aneignen können[11].

Bezug zu den Grundannahmen[Bearbeiten]

Innerhalb unserer Grundannahmen sind die Folgenden für diesen Dissens von besonderer Bedeutung. Beginnen wir mit einem Exzerpt von Engels, in dem die theoretische, historisch-materialistische Grundlage der Aufhebung der Entfremdung aufgeschlossen wird:


„Mit der Besitzergreifung der Produktionsmittel durch die Gesellschaft ist die Warenproduktion beseitigt und damit die Herrschaft des Produkts über die Produzenten. Die Anarchie innerhalb der gesellschaftlichen Produktion wird ersetzt durch planmäßige bewußte Organisation. Der Kampf ums Einzeldasein hört auf. Damit erst scheidet der Mensch, in gewissem Sinn, endgültig aus dem Tierreich, tritt aus tierischen Daseinsbedingungen in wirklich menschliche. Der Umkreis der die Menschen umgebenden Lebensbedingungen, der die Menschen bis jetzt beherrschte, tritt jetzt unter die Herrschaft und Kontrolle der Menschen, die nun zum ersten Male bewußte, wirkliche Herren der Natur, weil und indem sie Herren ihrer eignen Vergesellschaftung werden. Die Gesetze ihres eignen gesellschaftlichen Tuns, die ihnen bisher als fremde, sie beherrschende Naturgesetze gegenüberstanden, werden dann von den Menschen mit voller Sachkenntnis angewandt und damit beherrscht. Die eigne Vergesellschaftung der Menschen, die ihnen bisher als von Natur und Geschichte oktroyiert gegenüberstand, wird jetzt ihre eigne freie Tat. Die objektiven, fremden Mächte, die bisher die Geschichte beherrschten, treten unter die Kontrolle der Menschen selbst. Erst von da an werden die Menschen ihre Geschichte mit vollem Bewußtsein selbst machen, erst von da an werden die von ihnen in Bewegung gesetzten gesellschaftlichen Ursachen vorwiegend und in stets steigendem Maße auch die von ihnen gewollten Wirkungen haben. Es ist der Sprung der Menschheit aus dem Reiche der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit.“
Engels, Anti-Dühring, MEW Bd. 20, S. 264.


In diesem Exzerpt werden zwei für uns wichtige Punkte festgehalten. Engels konstatiert, dass 1) mit der Besitzergreifung der Produktionsmittel durch die Gesellschaft die Warenproduktion und damit die Herrschaft des Produkts über den Produzenten beseitigt ist, und 2) mit der eigenen Vergesellschaftung die Menschen von den Sklaven der Gesetze ihres eigenen gesellschaftlichen Tuns zu dessen Herren werden.

Die Aufhebung der Entfremdung ist nach Engels also mit der realen Machtausübung der Massen unmittelbares Ergebnis der Besitzergreifung der Produktionsmittel durch die Gesellschaft.


„Die Gestalt des gesellschaftlichen Lebensprozesses, d.h. des materiellen Produktionsprozesses, streift nur ihren mystischen Nebelschleier ab, sobald sie als Produkt frei vergesellschafteter Menschen unter deren bewußter planmäßiger Kontrolle steht.“
Marx, Das Kapital, MEW Bd. 23, S. 94.


Die Entfremdung der Produzenten kann also nur überwunden werden, wenn der Produktionsprozess real unter bewußter planmäßiger Kontrolle der Menschen selbst steht.

Arbeitsschritte[Bearbeiten]

Die Auseinandersetzung mit Trotzkis Thesen über die Bürokratie muss auf der einen Seite theoretisch, und auf der anderen Seite konkret historisch beantwortet werden. Als sinnvolles Herangehen erachten wir zuerst ein breites, theoretisches Fundament über den Sachverhalt zu erarbeiten. Dabei müssen wir z. B. zentrale Begriffe wie Klassen, Bürokratie, Verstaatlichung, Vergesellschaftung und Entfremdung trennscharf definieren und den Charakter und die Rolle der Bürokratie – besonders im Sozialismus – grundsätzlich herleiten. Diese Grundlage wird in Koordination mit der AG Wissenschaft und der AG Politische Ökonomie erarbeitet. Von hier ausgehend werden wir unser theoretisches Gerüst konkret historisch überprüfen. Besondere Koordination wird es hier vermutlich mit der Erarbeitung des Dissens "Einschätzung der Sowjetunion" und "Distribution im Sozialismus" geben. In der Anwendung auf die Geschichte können wir schließlich prüfen, welche Aspekte unserer Theorie richtig und welche falsch sind, wir können sie korrigieren und ergänzen. In diesem Zuge müssen wir uns auch kritisch mit jeder relevanten Analyse zu diesem Thema auseinandersetzten und sie mit unserem eigenen Forschungsstand spiegeln. Welche Fragen wir letztendlich in welcher Reihenfolge im Klärungsprozess erarbeiten, lässt sich an diesem Punkt noch nicht genau sagen. Im Zuge der weiteren Vertiefung in den Dissens und den ersten Ausarbeitungen werden wir auf neue Fragen stoßen, die wir in den Forschungsprozess mit einbeziehen müssen.

Bezug Dissens – unsere Behauptungen[Bearbeiten]

Auch in diesen Dissens gehen wir bereits mit einer gewissen Positionierung rein, da wir zu einigen Aspekten schon einen kollektiven Diskussionsstand haben, der in den Programmatischen Thesen festgehalten ist. So ist z. B. zu der Frage der Machtausübung bereits festgehalten, dass Diktatur des Proletariats bedeutet, dass die Arbeiterklasse sich gemeinsam mit den ihr verbündeten Schichten, z.B. Kleinbauern und kleine Selbstständige, Organe der politischen Herrschaft, der Verwaltung der Produktion und des gesellschaftlichen Lebens und schließlich auch Organe der politischen und militärischen Verteidigung der Revolution schafft. Die Diktatur des Proletariats zeichnet sich also durch die konkrete und unmittelbare Machtausübung der Arbeiterklasse und der ihr verbündeten Schichten aus. Während sie eine Diktatur gegen die Feinde der neuen Ordnung ist und alle Versuche zur Wiedererrichtung der Ausbeuterordnung konsequent bekämpft und unterdrückt, stellt sie für die breiten Volksmassen die umfassendste Demokratie dar. Denn auch wenn die kommunistische Partei auch im Sozialismus noch ihre ideologisch und politisch führende Rolle wahrnehmen und erkämpfen muss, liegt die Machtausübung in den Händen der Massen. Sie ist gleichzeitig die demokratischste Form der Produktion, weil in ihr die breiten Massen selbst über die Gestaltung und Verbesserung ihrer Lebensgrundlagen bestimmen. Die Diktatur des Proletariats ist für die breiten Volksmassen also die umfassendste Demokratie, die Machtausübung liegt in den Händen der breiten Massen.

Neben der Positionierung zur grundsätzlichen Theorie steht in den Programmatischen Thesen auch schon eine Einschätzung zur Geschichte in der DDR: Über die Gewerkschaften und andere Organisationen und Mechanismen waren die Massen in den Planungsprozess eingebunden, ebenso wie sie an der Mitwirkung in den Staatsorganen beteiligt wurden. Es bestanden bewaffnete Organe des Sozialismus, die der Macht der westdeutschen Bourgeoisie Grenzen setzten. Auf dieser Grundlage führte die SED die ostdeutsche Arbeiterklasse beim Aufbau des Sozialismus an.

Schließlich wird die Bürokratisierungs-These implizit mit dem Begriff des "Stalinismus" abgelehnt: Der antikommunistische Kampfbegriff des ‚Stalinismus‘, der von bürgerlichen Strömungen, aber auch von Trotzkisten verwendet wird, um den realen Sozialismus zu diffamieren, ist unwissenschaftlich und zu bekämpfen.


Literatur[Bearbeiten]

  • Engels, Friedrich: Anti-Dühring, MEW Band 20.
  • Kubi, Michael: Die Sowjetdemokratie und Stalin. Theorie und Praxis in der Sowjetunion 1917 – 1953
  • Marx, Karl: Das Kapital, MEW Band 23.
  • Seydewitz, Max: Stalin oder Trotzki, 1938. URL: http://www.offen-siv.net/Lesenswertes/stal_tro.shtml (23.12.2018).
  • Trotzki, Leo: Verratene Revolution. Ist die Bürokratie eine herrschende Klasse?.
  • Trotzki, Leo: Die 4. Internationale und die UdSSR.
  • Wobbel, Ignatus: Kapitalismus verstehen und abschaffen. Räterepublik statt Ausbeutung und Entfremdung im globalen Arbeitslager.

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. Trotzki, Verratene Revolution
  2. Ebd.
  3. Trotzki, Verratene Revolution
  4. Ebd.
  5. Trotzki, Die 4. Internationale und die UdSSR, S. 13
  6. Ebd., S. 16 f.
  7. Wobbel, S. 389.
  8. Ebd.
  9. Ebd., S. 390
  10. Seydewitz.
  11. Kubi, S. 14.