Reservearmee

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REDAKTION FERTIG

Arbeitslosigkeit ist keineswegs erst ein Ausdruck schlechter Konjunktur. Zwar wird sie durch diese verstärkt, doch liegt der Ursprung von Arbeitslosigkeit in der Akkumulation von Kapital selbst. Die Nachfrage nach Arbeitskraft wird durch den Anteil des variablen Kapitals am Gesamtkapital bestimmt. Durch die Steigerung der Produktivkräfte entsteht eine beschleunigte relative Abnahme des variablen Kapitals. Hier liegt die Ursache für Arbeitslosigkeit, für das Vorhandensein einer industriellen Reservearmee. Ist sie erst entstanden, wird sie selbst zum Hebel für das Kapital, den Druck auf die beschäftigten Arbeiter zu erhöhen. Die Existenz der industriellen Reservearmee bestimmt damit nicht nur ihre eigene Lage, sondern auch die der beschäftigten Teile der Arbeiterklasse.

Schlagworte

Zusammensetzung des Kapitals, variables Kapital, Produktionsmittel, Arbeitskraft, Produktivkraft, Akkumulation, Kapital, kapitalistische Produktionsweise, Reservearmee, Gesamtkapital, beschleunigte Akkumulation, Verhältnis Arbeiterarmee – Reservearmee, kapitalistische Akkumulation, Armut, Elend, Arbeitsqual, relative Überbevölkerung, Mehrarbeit, Konkurrenz, Arbeiterbevölkerung, Landbevölkerung, unregelmäßige Beschäftigung

Annahme 1

  • Die Wertzusammensetzung des Kapitals verändert sich zulasten des variablen Kapitals, der Arbeitskraft und zugunsten des konstanten Kapitals, den Produktionsmitteln.
  • Mit zunehmender Kapitalakkumulation nimmt der Anteil des konstanten Kapitals relativ zum variablen Kapital zu.

„Diese Veränderung in der technischen Zusammensetzung des Kapitals, das Wachstum in der Masse der Produktionsmittel, verglichen mit der Masse der sie belebenden Arbeitskraft, spiegelt sich wider in seiner Wertzusammensetzung, in der Zunahme des konstanten Bestandteils des Kapitalwerts auf Kosten seines variablen Bestandteils. Es werden z.B. von einem Kapital […] ursprünglich je 50% in Produktionsmitteln und je 50% in Arbeitskraft ausgelegt, später, mit der Entwicklung des Produktivgrads der Arbeit, je 80% in Produktionsmitteln und je 20% in Arbeitskraft usw. Dies Gesetz des steigenden Wachstums des konstanten Kapitalteils im Verhältnis zum variablen wird auf jedem Schritt bestätigt […] durch die vergleichende Analyse der Warenpreise, gleichviel ob wir verschiedne ökonomische Epochen bei einer einzigen Nation vergleichen oder verschiedne Nationen in derselben Epoche. Die relative Größe des Preiselements, welches nur den Wert der verzehrten Produktionsmittel oder den konstanten Kapitalteil vertritt, wird in direktem, die relative Größe des andern, die Arbeit bezahlenden oder den variablen Kapitalteil vertretenden Preiselements, wird im allgemeinen in umgekehrtem Verhältnis stehn zum Fortschritt der Akkumulation.“
Marx, Karl: Das Kapital, Bd. 1, in: MEW, Band 23, Berlin 1962, S. 651.


Annahme 2

  • Die Veränderung der Wertzusammensetzung des Kapitals dient der Steigerung der gesellschaftlichen Produktivkraft.
  • Die Steigerung der gesellschaftlichen Produktivkraft beschleunigt die Kapitalakkumulation.
  • Kapital ist Grundvoraussetzung der kapitalistischen Produktionsweise, welche zur beschleunigten Kapitalakkumulation führt.

„Aber alle Methoden zur Steigerung der gesellschaftlichen Produktivkraft der Arbeit, die auf dieser Grundlage erwachsen, sind zugleich Methoden der gesteigerten Produktion des Mehrwerts oder Mehrprodukts, welches seinerseits das Bildungselement der Akkumulation [ist, Anmerkung der Autoren]. Sie sind also zugleich Methoden der Produktion von Kapital durch Kapital oder Methoden seiner beschleunigten Akkumulation. Die kontinuierliche Rückverwandlung von Mehrwert in Kapital stellt sich dar als wachsende Größe des in den Produktionsprozeß eingehenden Kapitals. […] Wenn also ein gewisser Grad der Kapitalakkumulation als Bedingung der spezifisch kapitalistischen Produktionsweise [ursprüngliche Akkumulation, Anmerkung der Autoren] erscheint, verursacht die letztere rückschlagend eine beschleunigte Akkumulation des Kapitals.“
Marx, Karl: Das Kapital, Bd. 1, in: MEW, Band 23, Berlin 1962, S. 652f.


Annahme 3

  • Die Nachfrage nach Arbeitskraft ist durch den Anteil des variablen Kapitals am Gesamtkapital bestimmt.
  • Die Größe des Gesamtkapitals wächst mit größerer Geschwindigkeit als das variable Kapital. Dadurch verkleinert sich der relative Anteil an variablem Kapital.
  • Um die Nachfrage nach Arbeitskraft zu halten bzw. zu vergrößern bedarf es einer beschleunigten Akkumulation.
  • Die beschleunigte relative Abnahme des variablen Kapitals erscheint als ein absolutes Wachstum der Arbeiterbevölkerung über die Beschäftigungsmöglichkeiten hinaus.
  • Erhöhter Bedarf an Arbeitskraft besteht nur kurz- und mittelfristig.
  • Die Kapitalakkumulation produziert eine für die Verwertungsbedürfnisse des Kapitals überschüssige Arbeiterbevölkerung.

„Da die Nachfrage nach Arbeit nicht durch den Umfang des Gesamtkapitals, sondern durch den seines variablen Bestandteils bestimmt ist, fällt sie also progressiv mit dem Wachstum des Gesamtkapitals […]. Sie fällt relativ zur Größe des Gesamtkapitals und in beschleunigter Progression mit dem Wachstum dieser Größe. Mit dem Wachstum des Gesamtkapitals wächst zwar auch sein variabler Bestandteil, oder die ihm einverleibte Arbeitskraft, aber in beständig abnehmender Proportion. Die Zwischenpausen, worin die Akkumulation als bloße Erweiterung der Produktion auf gegebner technischer Grundlage wirkt, verkürzen sich. Nicht nur wird eine in wachsender Progression beschleunigte Akkumulation des Gesamtkapitals erheischt [notwendig, Anmerkung der Autoren], um eine zusätzliche Arbeiterzahl von gegebner Größe zu absorbieren oder selbst, wegen der beständigen Metamorphose des alten Kapitals, die bereits funktionierende zu beschäftigen. Ihrerseits schlägt diese wachsende Akkumulation und Zentralisation selbst wieder um in eine Quelle neuer Wechsel der Zusammensetzung des Kapitals oder abermalig beschleunigter Abnahme seines variablen Bestandteils, verglichen mit dem konstanten. Diese mit dem Wachstum des Gesamtkapitals beschleunigte und rascher als sein eignes Wachstum beschleunigte relative Abnahme seines variablen Bestandteils scheint auf der andren Seite umgekehrt stets rascheres absolutes Wachstum der Arbeiterbevölkerung als das des variablen Kapitals oder ihrer Beschäftigungsmittel. Die kapitalistische Akkumulation produziert vielmehr, und zwar im Verhältnis zu ihrer Energie und ihrem Umfang, beständig eine relative, d.h. für die mittleren Verwertungsbedürfnisse des Kapitals überschüssige, daher überflüssige oder Zuschuß-Arbeiterbevölkerung.“
Marx, Karl: Das Kapital, Bd. 1, in: MEW, Band 23, Berlin 1962, S. 658.


Annahme 4

  • Je größer der gesellschaftliche Reichtum ist und je mehr er zunimmt, desto größer ist das Proletariat und seine Produktivität, desto größer ist die industrielle Reservearmee.
  • Die abrufbare Arbeitskraft und die Ausbreitungskraft des Kapitals haben dieselbe Ursache: die Kapitalakkumulation.
  • Das Elend der industriellen Reservearmee ist, gegensätzlich zu ihrer Arbeitsqual, sehr groß.

„Je größer der gesellschaftliche Reichtum, das funktionierende Kapital, Umfang und Energie seines Wachstums, also auch die absolute Größe des Proletariats und die Produktivkraft seiner Arbeit, desto größer die industrielle Reservearmee. Die disponible [abrufbare, Anmerkung der Autoren] Arbeitskraft wird durch dieselben Ursachen entwickelt wie die Expansivkraft des Kapitals. Die verhältnismäßige Größe der industriellen Reservearmee wächst also mit den Potenzen des Reichtums.
Je größer aber diese Reservearmee im Verhältnis zur aktiven Arbeiterarmee, desto massenhafter die konsolidierte Übervölkerung, deren Elend im umgekehrten Verhältnis zu ihrer Arbeitsqual steht. Je größer endlich die Lazarusschichte [Armenschicht, Anmerkung der Autoren] der Arbeiterklasse und die industrielle Reservearmee, desto größer der offizielle Pauperismus [die offizielle Zahl der Armen, Anmerkung der Autoren]. Dies ist das absolute, allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation. Es wird gleich allen andren Gesetzen in seiner Verwirklichung durch mannigfache Umstände modifiziert, deren Analyse nicht hierher gehört.“
Marx, Karl: Das Kapital, Bd. 1, in: MEW, Band 23, Berlin 1962, S. 673f.


Annahme 5

  • Die Mehrarbeit des beschäftigten Teils der Arbeiter vergrößert die Reservearmee.
  • Die Reservearmee erhöht den Druck auf den beschäftigten Teil der Arbeiterklasse und zwingt sie zur Mehrarbeit und Unterwerfung.
  • Das Vorhandensein der industriellen Reservearmee und der damit erhöhte Druck auf die beschäftigten Arbeiter bereichert den Kapitalisten.
  • Mit fortschreitender Akkumulation wächst die Reservearmee.

„Die Überarbeit des beschäftigten Teils der Arbeiterklasse schwellt die Reihen ihrer Reserve, während umgekehrt der vermehrte Druck, den die letztere durch ihre Konkurrenz auf die erstere ausübt, diese zur Überarbeit und Unterwerfung unter die Diktate des Kapitals zwingt. Die Verdammung eines Teils der Arbeiterklasse zu erzwungnem Müßiggang durch Überarbeit des andren Teils und umgekehrt, wird Bereicherungsmittel des einzelnen Kapitalisten und beschleunigt zugleich die Produktion der industriellen Reservearmee auf einem dem Fortschritt der gesellschaftlichen Akkumulation entsprechenden Maßstab.“
Marx, Karl: Das Kapital, Bd. 1, in: MEW, Band 23, Berlin 1962, S. 665.


Annahme 6

  • Jeder Arbeiter ist (potenzieller) Teil der industriellen Reservearmee.
  • Es lassen sich in Abhängigkeit vom industriellen Zyklus drei Formen der relativen Übervölkerung unterscheiden: 1. fließende, 2. latente und 3. stockende Übervölkerung.
  • Fließend ist die Übervölkerung in Zentren der industriellen Produktion: Auf Entlassungen folgen relativ mehr Einstellungen, die Beschäftigtenzahl nimmt zu, wenngleich in geringerem Maße als die Produktivität.
  • Latent ist die Übervölkerung auf dem Land: Die Industrialisierung und Kapitalisierung der Landwirtschaft führt zu Entlassungen, weshalb die latente Übervölkerung auf dem Land in die industriellen Zentren drängt. Die latente Übervölkerung auf dem Land führt zu besonders geringen Löhnen und damit zu ständiger Armutsgefahr.
  • Stockend ist die Übervölkerung überall dort, wo Arbeiter unregelmäßig beschäftigt sind: Diese Arbeiter sind für das Kapital immer verfügbar und ihre Lebenssituation ist unterdurchschnittlich schlecht, was sie zum Objekt krasserer Ausbeutungsformen (niedrigere Löhne, längere Arbeitszeiten) durch das Kapital macht. Die Arbeiter rekrutieren sich aus den untergehenden Industriezweigen.
  • Mit fortschreitenden Akkumulation wird die industrielle Reservearmee größer.
  • Die industrielle Reservearmee reproduziert sich selbst und ist ein fester, relativ zu ihr stärker anwachsender, Bestandteil der Arbeiterklasse.

„Die relative Übervölkerung existiert in allen möglichen Schattierungen. Jeder Arbeiter gehört ihr an während der Zeit, wo er halb oder gar nicht beschäftigt ist. Abgesehn von den großen, periodisch wiederkehrenden Formen, welche der Phasenwechsel des industriellen Zyklus ihr aufprägt, so daß sie bald akut in den Krisen erscheint, bald chronisch in den Zeiten flauen Geschäfts, besitzt sie fortwährend drei Formen: flüssige, latente und stockende.
In den Zentren der modernen Industrie – Fabriken, Manufakturen, Hütten und Bergwerken usw. – werden Arbeiter bald repelliert [verstoßen, Anmerkung der Autoren], bald in größerem Umfang wieder attrahiert [eingezogen, Anmerkung der Autoren], so daß im großen und ganzen die Zahl der Beschäftigten zunimmt, wenn auch in stets abnehmendem Verhältnis zur Produktionsleiter. Die Übervölkerung existiert hier in fließender Form.
Sobald sich die kapitalistische Produktion der Agrikultur, oder im Grad, worin sie sich derselben bemächtigt hat, nimmt mit der Akkumulation des hier funktionierenden Kapitals die Nachfrage für die ländliche Arbeiterbevölkerung absolut ab, ohne daß ihre Repulsion, wie in der nichtagrikolen Industrie, durch größere Attraktion ergänzt wäre. Ein Teil der Landbevölkerung befindet sich daher fortwährend auf dem Sprung, in städtisches oder Manufakturproletariat überzugehn, und in der Lauer auf dieser Verwandlung günstige Umstände [Manufaktur hier im Sinn aller nichtagrikolen Industrie, Anmerkung der Autoren]. Diese Quelle der relativen Übervölkerung fließt also beständig. Aber ihr beständiger Fluß nach den Städten setzt auf dem Lande selbst eine fortwährend latente Übervölkerung voraus, deren Umfang nur sichtbar wird, sobald sich die Abzugskanäle ausnahmsweise weit öffnen. Der Landarbeiter wird daher auf das Minimum des Salairs [Lohns, Anmerkung der Autoren] herabgedrückt und steht mit einem Fuß stets im Sumpf des Pauperismus [der Armut, Anmerkung der Autoren].
Die dritte Kategorie der relativen Übervölkerung, die stockende, bildet einen Teil der aktiven Arbeiterarmee, aber mit durchaus unregelmäßiger Beschäftigung. Sie bietet so dem Kapital einen unerschöpflichen Behälter disponibler Arbeitskraft. Ihre Lebenslage sinkt unter das durchschnittliche Normalniveau der arbeitenden Klasse, und grade dies macht sie zur breiten Grundlage eigner Exploitationszweige [Ausbeutungszweige, Anmerkung der Autoren] des Kapitals. Maximum der Arbeitszeit und Minimum des Salairs charakterisieren sie. […] Sie rekrutiert sich fortwährend aus den Überzähligen der großen Industrie und Agrikultur und namentlich auch aus untergehenden Industriezweigen, wo der Handwerksbetrieb dem Manufakturbetrieb, letztrer dem Maschinenbetrieb erliegt. Ihr Umfang dehnt sich, wie mit Umfang und Energie der Akkumulation die ‚Überzähligmachung‘ fortschreitet. Aber sie bildet zugleich ein sich selbst reproduzierendes und verewigendes Element der Arbeiterklasse, das verhältnismäßig größeren Anteil am Gesamtwachstum derselben nimmt als die übrigen Elemente.“
Marx, Karl: Das Kapital, Bd. 1, in: MEW, Band 23, Berlin 1962, S. 670ff.


Annahme 7

  • Die relative Überbevölkerung ist ein notwendiges Resultat der Akkumulation und sie ist umgekehrt Hebel der Akkumulation, Existenzbedingung der kapitalistischen Produktionsweise.
  • Sie ist eine stets verfügbare industrielle Reservearmee, die dem Kapital ganz gehört, ist stets ausbeutbares Menschenmaterial unabhängig von der wirklichen Bevölkerungszunahme.
  • Der Zyklus von Krise und Aufschwung beruht auf der ständigen Bildung der Überbevölkerung.
  • Der industrielle Zyklus rekrutiert nach Bedarf die industrielle Reservearmee und ist der entscheidende Faktor ihrer Reproduktion.

„Wenn aber eine Surplusarbeiterpopulation [industrielle Reservearmee, Anmerkung der Autoren] notwendiges Produkt der Akkumulation oder der Entwicklung des Reichtums auf kapitalistischer Grundlage ist, wird diese Übervölkerung umgekehrt zum Hebel der kapitalistischen Akkumulation, ja zu einer Existenzbedingung der kapitalistischen Produktionsweise. Sie bildet eine disponible industrielle Reservearmee, die dem Kapital ganz so absolut gehört, als ob es sie auf seine eignen Kosten großgezüchtet hätte. Sie schafft für seine wechselnden Verwertungsbedürfnisse das stets bereite exploitable [ausbeutbare, Anmerkung der Autoren] Menschenmaterial, unabhängig von den Schranken der wirklichen Bevölkerungszunahme. […]
Der charakteristische Lebenslauf der modernen Industrie, die Form eines durch kleinere Schwankungen unterbrochnen zehnjährigen Zyklus von Perioden mittlerer Lebendigkeit, Produktion unter Hochdruck, Krise und Stagnation, beruht auf der beständigen Bildung, größern oder geringem Absorption und Wiederbildung der industriellen Reservearmee oder Übervölkerung. Ihrerseits rekrutieren die Wechselfälle des industriellen Zyklus die Übervölkerung und werden zu einem ihrer energischsten Reproduktionsagentien.“
Marx, Karl: Das Kapital, Bd. 1, in: MEW, Band 23, Berlin 1962, S. 661.


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