Plan, Markt und Wertgesetz: Unterschied zwischen den Versionen

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Eine der zentralen und – auch in der kommunistischen Bewegung – am meisten umstrittenen Fragen zum Aufbau des Sozialismus ist die des Wirkens des Wertgesetzes im Rahmen der sozialistischen Ökonomie, nach der Rolle und dem Umfang dieses Wirkens. Diese Diskussionen sind alles andere als neu. Es handelt sich jedoch um einen Dissens von zentraler Bedeutung. Letztlich geht es hier um die Frage, was eine sozialistische Gesellschaft ist, was die sozialistische Produktionsweise ist und ob diese in einem unversöhnlichen Widerspruch zur kapitalistischen Produktionsweise steht oder nicht. Die Produktion für den Tausch, also Warenproduktion, ist nach Marx etwas grundsätzlich anderes als die Produktion und Zuteilung von Gütern nach einem zentralen Plan, denn Produktion für den Verkauf bedeutet, dass die Güter nicht unmittelbar für den Konsum produziert werden – im Kapitalismus ist der Konsum der Waren überhaupt kein Ziel der Produktion, dort geht es nur um die Realisierung ihres Werts bzw. Mehrwerts. Die Produktionsweise ist aber das bestimmende Moment der gesellschaftlichen Verhältnisse – daher hat die richtige Beantwortung der Frage nach der sozialistischen Produktionsweise entscheidende Konsequenzen für das Gelingen des sozialistischen Aufbaus.
 
Eine der zentralen und – auch in der kommunistischen Bewegung – am meisten umstrittenen Fragen zum Aufbau des Sozialismus ist die des Wirkens des Wertgesetzes im Rahmen der sozialistischen Ökonomie, nach der Rolle und dem Umfang dieses Wirkens. Diese Diskussionen sind alles andere als neu. Es handelt sich jedoch um einen Dissens von zentraler Bedeutung. Letztlich geht es hier um die Frage, was eine sozialistische Gesellschaft ist, was die sozialistische Produktionsweise ist und ob diese in einem unversöhnlichen Widerspruch zur kapitalistischen Produktionsweise steht oder nicht. Die Produktion für den Tausch, also Warenproduktion, ist nach Marx etwas grundsätzlich anderes als die Produktion und Zuteilung von Gütern nach einem zentralen Plan, denn Produktion für den Verkauf bedeutet, dass die Güter nicht unmittelbar für den Konsum produziert werden – im Kapitalismus ist der Konsum der Waren überhaupt kein Ziel der Produktion, dort geht es nur um die Realisierung ihres Werts bzw. Mehrwerts. Die Produktionsweise ist aber das bestimmende Moment der gesellschaftlichen Verhältnisse – daher hat die richtige Beantwortung der Frage nach der sozialistischen Produktionsweise entscheidende Konsequenzen für das Gelingen des sozialistischen Aufbaus.
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Auch außerhalb der Sowjetunion wurde die Frage des Wertgesetzes im Sozialismus immer wieder diskutiert. Hier sind auf der einen Seite Vertreter eines „Marktsozialismus“ zu nennen, wie beispielsweise der polnische Ökonom Oskar Lange in den 30ern und 40ern oder Alec Nove in den 80ern. Lange zufolge sollten Konsumgüter auch im Sozialismus über einen „freien“ Markt verteilt, ihre Preise also über das Spiel von Angebot und Nachfrage bestimmt werden, während die Preise von Investitionsgütern und der Umfang der Investitionen von einer zentralen Planbehörde festgelegt würden.[Quelle?]
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Auch außerhalb der Sowjetunion wurde die Frage des Wertgesetzes im Sozialismus immer wieder diskutiert. Hier sind auf der einen Seite Vertreter eines „Marktsozialismus“ zu nennen, wie beispielsweise der polnische Ökonom Oskar Lange in den 30ern und 40ern oder Alec Nove in den 80ern. Lange zufolge sollten Konsumgüter auch im Sozialismus über einen „freien“ Markt verteilt, ihre Preise also über das Spiel von Angebot und Nachfrage bestimmt werden, während die Preise von Investitionsgütern und der Umfang der Investitionen von einer zentralen Planbehörde festgelegt würden.
  
 
Die Notwendigkeit eines Marktes und des Wirkens des Wertgesetzes im Sozialismus wird auch von aktuellen Autoren wie z. B. Marcel Kunzmann (siehe Literaturliste) verteidigt. Die Verteidiger dieser Position führen dafür oft an, dass eine entwickelte Industriegesellschaft mit vielen Millionen unterschiedlichen Warenklassen zu komplex sei, um jedes Detail in ihr zentral planen zu können. Außerdem sei ein Mechanismus erforderlich, um zu überprüfen, ob die produzierten Waren mit den Bedürfnissen der Konsumenten übereinstimmen und das könne nur ein Angebot-Nachfrage-Mechanismus, also ein Markt sicherstellen. Schließlich wird auch argumentiert, dass für eine Wirtschaftsplanung auf Basis der Arbeitszeitrechnung schlicht die erforderlichen Daten fehlen würden und daraus müssten sich zwangsläufig Disproportionen in der Planung ergeben.
 
Die Notwendigkeit eines Marktes und des Wirkens des Wertgesetzes im Sozialismus wird auch von aktuellen Autoren wie z. B. Marcel Kunzmann (siehe Literaturliste) verteidigt. Die Verteidiger dieser Position führen dafür oft an, dass eine entwickelte Industriegesellschaft mit vielen Millionen unterschiedlichen Warenklassen zu komplex sei, um jedes Detail in ihr zentral planen zu können. Außerdem sei ein Mechanismus erforderlich, um zu überprüfen, ob die produzierten Waren mit den Bedürfnissen der Konsumenten übereinstimmen und das könne nur ein Angebot-Nachfrage-Mechanismus, also ein Markt sicherstellen. Schließlich wird auch argumentiert, dass für eine Wirtschaftsplanung auf Basis der Arbeitszeitrechnung schlicht die erforderlichen Daten fehlen würden und daraus müssten sich zwangsläufig Disproportionen in der Planung ergeben.

Aktuelle Version vom 11. Januar 2019, 11:19 Uhr

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Einleitung[Bearbeiten]

Eine der zentralen und – auch in der kommunistischen Bewegung – am meisten umstrittenen Fragen zum Aufbau des Sozialismus ist die des Wirkens des Wertgesetzes im Rahmen der sozialistischen Ökonomie, nach der Rolle und dem Umfang dieses Wirkens. Diese Diskussionen sind alles andere als neu. Es handelt sich jedoch um einen Dissens von zentraler Bedeutung. Letztlich geht es hier um die Frage, was eine sozialistische Gesellschaft ist, was die sozialistische Produktionsweise ist und ob diese in einem unversöhnlichen Widerspruch zur kapitalistischen Produktionsweise steht oder nicht. Die Produktion für den Tausch, also Warenproduktion, ist nach Marx etwas grundsätzlich anderes als die Produktion und Zuteilung von Gütern nach einem zentralen Plan, denn Produktion für den Verkauf bedeutet, dass die Güter nicht unmittelbar für den Konsum produziert werden – im Kapitalismus ist der Konsum der Waren überhaupt kein Ziel der Produktion, dort geht es nur um die Realisierung ihres Werts bzw. Mehrwerts. Die Produktionsweise ist aber das bestimmende Moment der gesellschaftlichen Verhältnisse – daher hat die richtige Beantwortung der Frage nach der sozialistischen Produktionsweise entscheidende Konsequenzen für das Gelingen des sozialistischen Aufbaus.

An dieser Stelle geht es darum, die unterschiedlichen Positionen erst einmal zu sammeln und darzustellen, um damit die Grundlage der weiteren Klärung zu bilden.


Die Position von Marx und Engels[Bearbeiten]

Bereits Marx und Engels mussten sich mit den Vorstellungen der unterschiedlichen utopischen Sozialisten auseinandersetzen, deren Vorstellungen einer neuen Gesellschaft oft keinen grundsätzlichen Bruch mit der Funktionsweise der kapitalistischen Produktionsweise beinhaltete, beispielsweise indem man glaubte, durch den Sozialismus lediglich dem „wahren Wert“ der Waren zur Durchsetzung zu verhelfen. Marx und Engels lehnten solche Auffassungen eindeutig ab. So schreibt Engels z. B. Sobald sich die Gesellschaft in den Besitz der Produktionsmittel setzt und sie in unmittelbarer Vergesellschaftung zur Produktion verwendet, wird die Arbeit eines jeden, wie verschieden auch ihr spezifisch nützlicher Charakter sei, von vornherein und direkt gesellschaftliche Arbeit. Die in einem Produkt steckende Menge gesellschaftlicher Arbeit braucht dann nicht erst auf einem Umweg festgestellt zu werden; die tägliche Erfahrung zeigt direkt an, wieviel davon im Durchschnitt nötig ist. Die Gesellschaft kann einfach berechnen, wieviel Arbeitsstunden in einer Dampfmaschine, einem Hektoliter Weizen der letzten Ernte, in hundert Quadratmeter Tuch von bestimmter Qualität stecken. Es kann ihr also nicht einfallen, die in den Produkten niedergelegten Arbeitsquanta, die sie alsdann direkt und absolut kennt, noch fernerhin in einem nur relativen, schwankenden, unzulänglichen, früher als Notbehelf unvermeidlichen Maß, in einem dritten Produkt auszudrücken und nicht in ihrem natürlichen, adäquaten, absoluten Maß, der Zeit. […] Die kapitalistische Produktionsform abschaffen wollen durch Herstellung des ‚wahren Werts‘ heißt daher den Katholizismus abschaffen wollen durch die Herstellung des ‚wahren‘ Papstes oder eine Gesellschaft, in der die Produzenten endlich einmal ihr Produkt beherrschen, herstellen durch konsequente Durchführung einer ökonomischen Kategorie, die der umfassendste Ausdruck der Knechtung der Produzenten durch ihr eignes Produkt ist[1]. Marx ist in dieser Frage ebenso eindeutig: Innerhalb der genossenschaftlichen, auf Gemeingut an den Produktionsmitteln gegründeten Gesellschaft tauschen die Produzenten ihre Produkte nicht aus; ebensowenig erscheint hier die auf Produkte verwandte Arbeit als Wert dieser Produkte, als eine von ihnen besessene sachliche Eigenschaft, da jetzt, im Gegensatz zur kapitalistischen Gesellschaft, die individuellen Arbeiten nicht mehr auf einem Umweg, sondern unmittelbar als Bestandteile der Gesamtarbeit existieren[2].

Debatten in der Sowjetunion[Bearbeiten]

Nach der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution, im Verlauf des Bürgerkriegs im revolutionären Russland begannen die Bolschewiki nicht sofort mit dem Aufbau einer zentralen Planwirtschaft, sondern entschlossen sich vor dem Hintergrund einer schweren Hungersnot und der massiven Kriegszerstörungen dazu, einen Schritt zurück zu machen und im Rahmen der „Neuen Ökonomischen Politik“ (NEP) dem Markt vorerst einen gewissen ökonomischen Spielraum zu belassen: Die weiterhin überwiegend auf der Grundlage von kleinem Eigentum wirtschaftenden Bauern konnten ihre Produkte auf dem Markt verkaufen und auch in den Städten wurden privates Handwerk und Industrie, also auch Lohnarbeit im kleinen Maßstab legalisiert. Lenin sah die NEP als erzwungenes Zugeständnis, das nicht von Dauer sein könne. Trotzdem ist bis heute die NEP ein zentraler Bezugspunkt für all die Kräfte, die den Sozialismus unter Beibehaltung umfassenderer Marktmechanismen, des Warentauschs zwischen relativ unabhängigen Wirtschaftseinheiten (Genossenschaften oder sogar Privatbetriebe), der Preisbildung über den Markt usw. aufbauen wollen. Hierbei gibt es die Auffassung, wonach die NEP nicht nur ein erzwungenes taktisches Zugeständnis war, das einer konkreten historischen Situation geschuldet war, sondern einen zentralen Beitrag zur Ökonomie des Sozialismus darstelle. Mit anderen Worten: Elemente eines staatlich begrenzten Kapitalismus und Warentausch seien für die gesamte Phase des sozialistischen Aufbaus, in der noch Mangel herrscht, ökonomische Konkurrenz zum Imperialismus besteht usw. eine Notwendigkeit. Diese Position ist in der Regel verbunden mit einer Kritik an der Sowjetunion und anderen sozialistischen Ländern, wonach diese eine „Überzentralisierung“ der Planung betrieben habe, zu „dirigistisch“ gewesen sei, die Betriebe in ihrer Entscheidungsfreiheit zu sehr beschnitten und „gegängelt“ habe usw. usf. Umgekehrt wird das heutige China von Vertretern dieses Sozialismusverständnisses oft als sozialistische Gesellschaft oder (z. B. von der DKP) als Land mit „sozialistischer Orientierung“ eingeschätzt.

Die Vorstellung von einer „sozialistischen Warenproduktion“ gibt es auch in der grundsätzlicheren Variante, wonach nicht nur für eine Übergangsphase, sondern ganz prinzipiell der Sozialismus mit dem Wirken des Wertgesetzes und dem Vorhandensein der Kategorien der Warenproduktion verbunden sein müsse. Teilweise wird dabei darauf verwiesen, dass die Warenproduktion bereits Jahrtausende alt sei, dass sie gar eine zivilisatorische Errungenschaft sei, dass es sich um neutrale Kategorien handle, die in jeder Gesellschaft mit Arbeitsteilung vorzufinden seien usw. Die Vorstellung einer Wirtschaftsplanung ohne Ware-Geld-Beziehungen sei demnach ein wirklichkeitsfremder Utopismus.

Diese Vorstellungen waren in der Sowjetunion jahrzehntelang umstritten. Stalins Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR ist die bekannteste Stellungnahme in dieser Auseinandersetzung. Stalin betont, dass der Wirkungsbereich des Wertgesetzes bei uns streng begrenzt ist und das Wertgesetz in unserer Ordnung nicht die Rolle des Regulators der Produktion spielen kann[3].

Zu Stalins Zeiten gab es einige sowjetische Ökonomen, die diese Auffassungen infrage stellten. Nach seinem Tod wurde diese Kritik zur dominanten Position. So schreibt z. B. der bekannte sowjetische Ökonom Jewsej Liberman 1965: Das Wertgesetz ist kein Gesetz des Kapitalismus, sondern ein Gesetz aller Warenproduktion, einschließlich der geplanten Warenproduktion im Sozialismus. In den vergangenen Jahren sei die objektive Wirkung des Wertgesetzes „missachtet“ worden, man habe Preise willkürlich festgelegt, die Betriebe in ihrer Autonomie zu stark eingeschränkt usw[4]. Libermans Vorschläge für eine Reform der Planwirtschaft wurden teilweise in der Wirtschaftsreform von 1965 (sogenannte Kossygin-Reform) umgesetzt.

Aber auch jetzt gab es noch Widerspruch gegen die Auffassung, wonach der Sozialismus nur unter der Ausnutzung des Wertgesetzes aufgebaut werden könne. Neben anderen öffentlichen Figuren kämpfte z. B. der Informatiker Wiktor Gluschkow jahrzehntelang darum, dass sein Konzept einer Aufwertung der zentralen Planung durch den umfassenden Einsatz von Informationstechnologie verwirklicht wurde – bis zuletzt konnte er sich aber nicht durchsetzen.

Weitere Diskussionen[Bearbeiten]

Auch außerhalb der Sowjetunion wurde die Frage des Wertgesetzes im Sozialismus immer wieder diskutiert. Hier sind auf der einen Seite Vertreter eines „Marktsozialismus“ zu nennen, wie beispielsweise der polnische Ökonom Oskar Lange in den 30ern und 40ern oder Alec Nove in den 80ern. Lange zufolge sollten Konsumgüter auch im Sozialismus über einen „freien“ Markt verteilt, ihre Preise also über das Spiel von Angebot und Nachfrage bestimmt werden, während die Preise von Investitionsgütern und der Umfang der Investitionen von einer zentralen Planbehörde festgelegt würden.

Die Notwendigkeit eines Marktes und des Wirkens des Wertgesetzes im Sozialismus wird auch von aktuellen Autoren wie z. B. Marcel Kunzmann (siehe Literaturliste) verteidigt. Die Verteidiger dieser Position führen dafür oft an, dass eine entwickelte Industriegesellschaft mit vielen Millionen unterschiedlichen Warenklassen zu komplex sei, um jedes Detail in ihr zentral planen zu können. Außerdem sei ein Mechanismus erforderlich, um zu überprüfen, ob die produzierten Waren mit den Bedürfnissen der Konsumenten übereinstimmen und das könne nur ein Angebot-Nachfrage-Mechanismus, also ein Markt sicherstellen. Schließlich wird auch argumentiert, dass für eine Wirtschaftsplanung auf Basis der Arbeitszeitrechnung schlicht die erforderlichen Daten fehlen würden und daraus müssten sich zwangsläufig Disproportionen in der Planung ergeben.

Eine Gegenposition wird seit den 80ern z. B. von Paul Cockshott und Allin Cottrell vertreten, die sich für eine sozialistische Planwirtschaft mithilfe von Arbeitszeitrechnung und moderner Mathematik und Informationstechnologie aussprechen, ohne dass die Verteilung der Ressourcen über den Markt abgewickelt werden müsste.

Auch Gerfried Tschinkel schlussfolgert aus seiner Analyse der Erfahrungen der DDR: Marktsozialismus bedeutet die Niederlage des Sozialismus zu verewigen. Aus den Gründen für seine Niederlage wird nicht auf die Verhinderung der Ursachen der Fehlentwicklung geschlossen, sondern an den Symptomen laboriert.“ Und: „Mit der Aufhebung des Eigentums an den Produktionsmitteln wird die Warenproduktion aufgehoben. Die Güter müssen die in ihnen vergegenständlichte Arbeit nicht erst über einen Umweg ausdrücken, der Wert fällt, die in die Produktion der Güter eingegangene Arbeitszeit kann direkt in Zeiteinheiten gemessen werden […][5].

Die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) verwirft heute ebenfalls die Vorstellung eines sozialistischen Wertgesetzes: Die konsequente Strömung marxistischen Denkens und marxistischer Politik, unter der Führung von Stalin, erkannte, dass das Wertgesetz unvereinbar ist mit den grundlegenden Gesetzen der sozialistischen Produktion, die keine Warenproduktion ist. […] Das Wertgesetz regelt nicht die sozialistische Produktion und Distribution[6]. Nach ihrer Auffassung wirkte die Einführung von Marktelementen und des Profitkriteriums in den Betrieben letztlich zersetzend auf die sozialistische Ökonomie und schuf die Voraussetzungen für die Wiedereinführung des Kapitalismus 1989/90.

Fazit[Bearbeiten]

Bei der Frage, ob und in welcher Form bzw. in welchem Umfang Marktmechanismen beim Aufbau des Sozialismus unumgänglich sind, handelt es sich um einen entscheidenden Streitpunkt. Er ist wichtig, weil die Beantwortung dieser Frage eng mit unserer Analyse der Niederlage des Sozialismus im 20. Jahrhundert zusammenhängt; aber auch, weil davon u. a. abhängt, wie entsprechende ökonomische Vorgänge in den Ländern, die sich selbst als sozialistisch verstehen, zu bewerten sind.

Für Kommunisten in Deutschland werden vor allem die Erfahrungen des sozialistischen Aufbaus in der DDR, die Erfahrungen mit der Einführung von Marktmechanismen und die Diskussionen, die es darum gegeben hat, zu berücksichtigen sein. Aber auch Konzepte, die versucht haben, auf solche Mechanismen weitgehend zu verzichten (die Orientierung Albaniens, Kuba in der Zeit der „Rectificación“), sollten untersucht werden.

Auch die Frage, unter welchen objektiven Bedingungen die NEP beschlossen wurde und ob es allgemein Bedingungen gibt, unter denen solche Zugeständnisse, also kontrollierte Rückschritte zu Marktmechanismen unvermeidbar sind, sollte behandelt werden.

Des Weiteren müssen wir uns aber auch jenseits der historischen Debatten grundsätzlich mit der Frage befassen, wie heute eine effiziente Wirtschaftsplanung auf dem Niveau des erreichten Stands der Produktivkräfte möglich ist.

Die kommunistische Weltbewegung muss für ihren nächsten Anlauf zum Sozialismus auf diese Fragen letztlich einheitliche Antworten finden.

Bezug zu unseren Grundannahmen[Bearbeiten]

Viele Textstellen der Klassiker sind relevant für die Einordnung der hier vorgestellten Diskussionen. Hier seien ein paar wesentliche Zitate aufgeführt:


„Mit der Besitzergreifung der Produktionsmittel durch die Gesellschaft ist die Warenproduktion beseitigt und damit die Herrschaft des Produkts über die Produzenten. Die Anarchie innerhalb der gesellschaftlichen Produktion wird ersetzt durch planmäßige bewußte Organisation.“
Engels, Anti-Dühring, MEW Bd. 20, S. 264.


„Das Proletariat wird seine politische Herrschaft dazu benutzen, der Bourgeoisie nach und nach alles Kapital zu entreißen, alle Produktionsinstrumente in den Händen des Staats, d.h. des als herrschende Klasse organisierten Proletariats zu zentralisieren und die Masse der Produktionskräfte möglichst rasch zu vermehren.“
Marx/Engels, Manifest der KP, MEW Bd. 4, S. 481.


„14. Frage: Welcher Art wird diese neue Gesellschaftsordnung sein müssen? Antwort: Sie wird vor allen Dingen den Betrieb der Industrie und aller Produktionszweige überhaupt aus den Händen der einzelnen, einander Konkurrenz machenden Individuen nehmen und dafür alle diese Produktionszweige durch die ganze Gesellschaft, d.h. für gemeinschaftliche Rechnung, nach gemeinschaftlichem Plan und unter Beteiligung aller Mitglieder der Gesellschaft, betreiben lassen müssen. Sie wird also die Konkurrenz aufheben und die Assoziation an ihre Stelle setzen. Da nun der Betrieb der Industrie durch einzelne das Privateigentum zur notwendigen Folge hatte und die Konkurrenz weiter nichts ist als die Art und Weise des Betriebs der Industrie durch einzelne Privateigentümer, so ist das Privateigentum vom einzelnen Betrieb der Industrie und der Konkurrenz nicht zu trennen. Das Privateigentum wird also ebenfalls abgeschafft werden müssen, und an seine Stelle wird die gemeinsame Benutzung aller Produktionsinstrumente und die Verteilung aller Produkte nach gemeinsamer Übereinkunft oder die sogenannte Gütergemeinschaft treten. Die Abschaffung des Privateigentums ist sogar die kürzeste und bezeichnendste Zusammenfassung der aus der Entwicklung der Industrie notwendig hervorgehenden Umgestaltung der gesamten Gesellschaftsordnung und wird daher mit Recht von den Kommunisten als Hauptforderung hervorgehoben.“
Engels, Grundsätze des Kommunismus, MEW Bd. 4.


„Innerhalb der genossenschaftlichen, auf Gemeingut an den Produktionsmitteln gegründeten Gesellschaft tauschen die Produzenten ihre Produkte nicht aus; ebensowenig erscheint hier die auf Produkte verwandte Arbeit als Wert dieser Produkte, als eine von ihnen besessene sachliche Eigenschaft, da jetzt, im Gegensatz zur kapitalistischen Gesellschaft, die individuellen Arbeiten nicht mehr auf einem Umweg, sondern unmittelbar als Bestandteile der Gesamtarbeit existieren. Das Wort ‚Arbeitsertrag‘, auch heutzutage wegen seiner Zweideutigkeit verwerflich, verliert so allen Sinn.“
Marx, Kritik des Gothaer Programms, MEW Bd. 19, S. 19 f.


„Gerechtigkeit und Gleichheit kann also die erste Phase des Kommunismus noch nicht bringen: Unterschiede im Reichtum, und zwar ungerechte Unterschiede bleiben bestehen, unmöglich aber wird die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen sein, denn es wird nicht mehr möglich sein, die Produktionsmittel, die Fabriken, Maschinen, den Grund und Boden usw., als Privateigentum an sich zu reißen. Marx zerschlägt die kleinbürgerliche, unklare Phrase Lassalles von ‚Gleichheit‘ und ‚Gerechtigkeit‘ schlechthin und zeigt dabei den Entwicklungsgang der kommunistischen Gesellschaft, die gezwungen ist, zunächst nur die ‚Ungerechtigkeit‘ zu beseitigen, daß die Produktionsmittel von einzelnen Personen angeeignet sind, und vorerst nicht imstande ist, mit einem Schlag auch die weitere Ungerechtigkeit zu beseitigen, die in der Verteilung der Konsumtionsmittel ‚nach der Arbeitsleistung‘ (und nicht nach den Bedürfnissen) besteht.“
Lenin, Staat und Revolution, Lenin Werke Bd. 25, S. 480.


Bezug zu den programmatischen Thesen[Bearbeiten]

In den Programmatischen Thesen haben wir bereits wichtige Aussagen zur zentralen Planwirtschaft und den Frage des Wertgesetzes oder von Marktelementen im Sozialismus festgehalten:


„Das Ziel der sozialistischen Gesellschaft und ihres Staates ist es, alle Produktionsmittel zu vergesellschaften und so schnell und so planmäßig wie möglich zu entwickeln.“


„Damit ist die zentrale Planwirtschaft die Produktionsweise des Sozialismus. […] Sie muss notwendigerweise zentralistisch sein, weil nur durch die Zusammenführung der Bedürfnisse und Produktionsmöglichkeiten an einer zentralen Stelle, die einen gesamtgesellschaftlichen Plan erstellt, die gesamtgesellschaftlichen Interessen in die Planung einfließen können. Grundlage dafür ist die Verstaatlichung aller Produktionsmittel, die nach und nach erfolgen wird. Dabei muss die Planwirtschaft in ihrer Entwicklung den sozialistischen Charakter der Produktion vertiefen und nicht in bereits überwundene, weniger gesellschaftliche Formen wie Genossenschaften oder gar Privatunternehmen zurückfallen. Theorien, die von einer dauerhaft bleibenden Wirkung des Wertgesetzes im Sozialismus oder der sozialistischen Warenproduktion ausgehen, haben sich als falsch und schädlich erwiesen. Wo die Praxis in den sozialistischen Ländern sich nach solchen Vorstellungen richtete, untergrub sie den Sozialismus.“


Arbeitsschritte[Bearbeiten]

Empirisch sollte vor allem untersucht werden, ob und inwiefern die Nutzung von Marktmechanismen und die Schwächung der zentralistischen Planwirtschaft in der Sowjetunion und anderen Ländern die ökonomische und politische Stärke des Sozialismus beeinträchtigt hat. Sind dadurch neue Gruppen entstanden, die ein Interesse an der Wiederherstellung des Kapitalismus hatten? Hat sich bürgerliches Bewusstsein dadurch verbreitet? Und hat die Leistungsfähigkeit der Planwirtschaft als Folge solcher Reformen abgenommen? Beim letzten Punkt ist es wichtig, dass präzise und sehr konkret argumentiert wird. So reicht es nicht aus, einfach festzustellen, dass nach den Wirtschaftsreformen unter Chruschtschow und Kossygin das Wirtschaftswachstum abfiel. Ein zeitliches Zusammenfallen dieser Entwicklungen beweist noch keine Kausalität, zumal auch eine Vielzahl anderer Faktoren auf die ökonomische Leistungsfähigkeit der Sowjetunion einwirkten.

Für Kommunisten in Deutschland werden vor allem die Erfahrungen des sozialistischen Aufbaus in der DDR, die Erfahrungen mit der Einführung von Marktmechanismen und die Diskussionen, die es darum gegeben hat, zu berücksichtigen sein. Aber auch Konzepte, die versucht haben, auf solche Mechanismen weitgehend zu verzichten (die Orientierung Albaniens, Kuba in der Zeit der „Rectificación“), sollten untersucht werden.

Schließlich sollte auch die Frage, unter welchen objektiven Bedingungen die NEP beschlossen wurde und ob es allgemein Bedingungen gibt, unter denen solche Zugeständnisse, also kontrollierte Rückschritte zu Marktmechanismen unvermeidbar sind, behandelt werden.


Literatur[Bearbeiten]

  • Cockshott, Paul W. / Cottrell, Allin: Alternativen aus dem Rechner. Für sozialistische Planung und direkte Demokratie, Köln, 2012.
  • Engels, Friedrich: Anti-Dühring, MEW Band 20.
  • KKE: Thesen über den Sozialismus, 2009. URL: https://www.secarts.org/index.php?site=home&view=dossiers&id=dossier57& (23.12.2018).
  • Kunzmann, Marcel: Theorie, System & Praxis des Sozialismus in China, 2018.
  • Liberman, E.G.: Are we flirting with capitalism? Profits and “profits”, Soviet Life, Juli 1965.
  • Marx, Karl: Kritik des Gothaer Programms, MEW Band 19.
  • Tschinkel, Gerfried: Die Warenproduktion und ihr Ende. Grundlagen einer sozialistischen Wirtschaft, Köln, 2017.
  • Stalin, Josef: Stalin Werke 15.

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. Engels, S. 289.
  2. Marx, S. 19 f.
  3. Stalin, S. 314.
  4. Liberman (1965).
  5. Tschinkel (2017), S. 73, 89.
  6. KKE.