Hintergrund: bürgerlicher Liberalismus und Staat

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Wir behandeln in unserer AG vor allem Faschismus und Sozialdemokratie als besondere Formen bürgerlicher Herrschaft. Zu beiden Phänomenen gibt es eine ausführliche und historisch weit verzweigte marxistische Debatte. Eine vergleichbare theoretische Auseinandersetzung mit dem bürgerlichen Liberalismus und Parlamentarismus, einerseits als Integrationsideologie, andererseits als konkrete Herrschaftsform, fehlt weitgehend. Lenin spricht der Frage der in den Volksmassen weit verbreiteten Illusionen über die „bürgerlichen Freiheiten“ in seiner Vorlesung Über den Staat jedoch größte Wichtigkeit zu: „Darum scheint der Umschwung [gemeint ist die Revolution] so schwierig. Nicht nur bewußte Heuchler, Gelehrte und Pfaffen unterstützen und verteidigen die bürgerliche Lüge, daß der Staat frei und berufen sei, die Interessen aller zu vertreten, sondern auch Massen von Menschen, die ganz aufrichtig an den alten Vorurteilen festhalten und den Übergang von der alten, kapitalistischen Gesellschaft zum Sozialismus nicht begreifen können. Nicht nur Leute, die direkt von der Bourgeoisie abhängig sind, nicht nur diejenigen, die unter dem Druck des Kapitals stehen oder von diesem Kapital bestochen sind (im Dienst des Kapitals steht eine Menge aller möglichen Gelehrten, Künstler, Pfaffen usw.), sondern auch Leute, die einfach dem Einfluß solcher Vorurteile wie der bürgerlichen Freiheit unterliegen, sie alle sind in der ganzen Welt gegen den Bolschewismus zu Felde gezogen.“ [1]

Spätestens seit 1945 bildet der Liberalismus in seinen verschiedenen konkreten Ausformulierungen die Kernideologie des BRD-Staates – sei es als „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“, in Karl Poppers Ideologie der angeblich „offenen Gesellschaft“ oder in der Dämonisierung der DDR als „Unrechtsstaat“. Flankiert wird der bürgerliche Liberalismus, der die heute im „Westen“ herrschende Ordnung allen offensichtlichen Widersprüchen zum Trotz als die beste aller denkbaren Welten darstellt, durch eine Reihe ökonomischer und soziologischer Theorien. Die Lehre von der „sozialen Marktwirtschaft" (Ludwig Erhard u.a.), das Märchen vom „Wirtschaftswunder“, die Rede von einer „Wohlstands- und Konsumgesellschaft" bzw. von einer "nivellierten Mittelstandsgesellschaft", in der angeblich der Wohlstand aller kontinuierlich wächst, sollen den Menschen weiß machen, es gebe im Kapitalismus keine Klassenunterschiede und keine Armut mehr. Diese Ideologien müssen von den Kommunisten bekämpft und widerlegt werden.

Kernthesen der bürgerlichen Staatsideologie:

  • Der Staat vertritt das Allgemeinwohl, also das Gesamtinteresse der Gesellschaft.
  • Die Bürger sind "frei" und "gleich", ungeachtet ihrer Klassenlage, ihres Geschlechts, etc.
  • Durch das allgemeine Wahlrecht haben alle Bürger die gleichen Möglichkeiten, Einfluss auf die politischen Entscheidungen des Staates zu nehmen.
  • Der bürgerliche Staat trifft seine Entscheidungen auf der Grundlage von politischen Kräfteverhältnisen, nicht auf Grundlage ökonomischer Bewegungsgesetze des Kapitalismus.
  • In der "offenen Gesellschaft" herrscht Meinungspluralismus, grundsätzlich stehen ihre alle Entwicklungswege offen, sofern sich für diese eine Mehrheit findet (theoretisch also auch für den Sozialismus).
  • etc. (noch ergänzen!)

Aus Sicht der marxistischen Staatstheorie stellen sich hier entscheidende Fragen:

  • Wie gelingt es der bürgerlichen Demokratie die Illusion zu erzeugen, die politische Macht ginge wirklich vom Volk aus und im Meinungspluralismus der „offenen Gesellschaft“ seien alle Entwicklungswege offen – während der bürgerliche Staat und seine jeweilige Regierung gleichzeitig als ideeller Gesamtkapitalist immer im Sinne der Bourgeoisie und ihrer imperialistischen Interessen agieren muss?
  • Welche Rolle spielt der bürgerliche Liberalismus als Integrationsideologie? Welche Bevölkerungsschichten werden durch diese Ideologie tatsächlich angesprochen? In welchen Teilen der Arbeiterklasse sind Illusionen in den Staat besonders weit verbreitet?
  • Wo gibt es fließende Übergänge zwischen Liberalismus, Faschismus und Sozialdemokratie, sowohl auf ideologischer Ebene als auch mit Blick auf ihre jeweils konkreten Herrschaftsmethoden?

Aufgaben[Bearbeiten]

  • Die marxistische Debatte über den bürgerlichen Liberalismus als Ideologie und die parlamentarische Republik als Herrschaftsform der Bourgeoisie aufarbeiten.
  • Die wichtigsten Argumente und Ideologien des bürgerlichen Liberalismus in der BRD herausarbeiten und auf Grundlage der marxistischen Staatstheorie widerlegen. Folgende Formulierung könnte als erster Aufschlag kritisch geprüft und ggf. ergänzt werden:

„Der bürgerliche Staat verkörpert also die Diktatur der Bourgeoisie – die Herrschaft einer kleinen Minderheit über die große Mehrheit der Gesellschaft. Aber wie ist das im Rahmen einer Demokratie möglich, in der die Herrschaft angeblich ‚vom Volke ausgeht‘? Schließlich wird die Regierung nicht einfach von der Bourgeoisie eingesetzt, sondern entsteht durch Wahlen. Gewählt werden kann aber nur das politische Herrschaftspersonal, nicht die grundlegende Gesellschaftsordnung. Der Kapitalismus und das Privateigentum sind in allen bürgerlichen Staaten auf die eine oder andere Art fest in der Verfassung und den Gesetzen verankert und stehen nicht zur politischen Debatte. Die Parteiprogramme, die sich ohnehin nur minimal unterscheiden, stellen den Kapitalismus nicht grundsätzlich in Frage (auch das der Linkspartei nicht), sondern machen nur verschiedene Vorschläge zu dessen Verwaltung. Die ,demokratischen Rechte‘, die zunächst auch für die Arbeiterklasse gelten, werden an allen möglichen Stellen Stück für Stück zurückgenommen und ausgehöhlt (z.B. durch Notstandsgesetze, Parteienfinanzierung, Lobbyismus, Zwei-Klassen- Bildungssystem etc.). Die Gleichheit vor dem Gesetz für die Arbeiter dadurch in der Praxis aufgehoben.

Ganz egal, wer nach der Wahl die Regierung bildet, der bürgerliche Staat bleibt ideeller Gesamtkapitalist und muss mit zwingender Logik als solcher handeln. Wie die Arbeiterklasse immer wieder erfahren musste, ändert sich das auch nicht, wenn mal eine ‚linke‘ oder sogar eine kommunistische Partei an die Regierung kommt. Denn unabhängig von den guten oder schlechten Absichten der einen oder anderen Regierung ist der bürgerliche Staat von der Kapitalakkumulation abhängig. Die Produktion und Akkumulation von Mehrwert ist nämlich das grundlegende Bewegungsgesetz der kapitalistischen Gesellschaft, das ihre ganze Entwicklung bestimmt. Bei stockender Akkumulation, also Krise, entfallen für den Staat Steuereinnahmen und die Staatsausgaben steigen sprunghaft an, die Konflikte zwischen den Klassen und innerhalb der Bourgeoisie nehmen zu, die verantwortlichen Parteien verlieren an Popularität und die Stabilität des politischen Systems ist in Gefahr. Wie die Geschichte mit vielen blutigen Beispielen gezeigt hat, schreckt die Bourgeoisie auch nicht davor zurück, unliebsame Regierungen per „regime change“ auszuwechseln oder sogar den Parlamentarismus durch eine Militärdiktatur oder ein faschistisches Herrschaftssystem ganz abzuschaffen.

Die Bourgeoisie ist als herrschende Klasse über vielfältige Beziehungen mit den Staatsapparaten verflochten, in ihnen und mit ihrer Hilfe organisiert. Sie beherrscht dadurch den bürgerlichen Staat in seiner Gesamtheit und sorgt dafür, dass eine Regierungspolitik, die ihren Interessen widerspricht, sich auf Dauer nicht halten kann.“


Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. Lenin, Wladimir Iljitsch: Über den Staat. in: LW 29, Vorlesung an der Swerdlow-Universität 1919, S. 460-479, hier: S. 478