Grundannahmen Faschismus

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Vorbemerkung[Bearbeiten]

Wir haben es bei den Grundannahmen zum Faschismus mit dem „Problem“ zu tun, dass Faschismus begrifflich nicht bei den Klassikern auftaucht. Wir haben deswegen zum Einen solche Belegstellen aufgeführt, die das Verhältnis von Imperialismus und Reaktion aufzeigen, zum anderen haben wir Aussagen von Lenin über die Schwarzhundertschaften und den Terror der politischen Reaktion gegen die Russische Revolution 1905 aufgenommen. Die Schwarzhundertschaften weisen viele Merkmale auf, die wir von späteren faschistischen Bewegungen kennen, sowohl was die Wahl ihrer Mittel als auch ihre Ideologie angeht. Man könnte sie auch als „präfaschistische“ Bewegung bezeichnen. Besonders stellte Lenin ihr Verhältnis zur herrschenden Klasse dar – allerdings sind die Schwarzhunderter unserer Einschätzung nach keine Phäomene des Imperialismus und der Monopolbourgeoisie, sondern sie waren auch gegen die bürgerliche Revolution gerichtet und eng an das Klasseninteresse des Feudaladels und den zaristischen Herrschaftsapparat gebunden.

Wir haben uns bewusst dazu entschieden, die Faschismus-Debatte und die grundlegenden Positionen der Kommunistischen Internationale (KI) nicht in die Grundannahmen aufzunehmen. So ist uns ein kritischer Abgleich der KI-Diskussionen mit den „Klassikern“ möglich. Nichtsdestrotz bilden die Analysen der KI für uns den wichtigsten Bezugspunkt in der Faschismusfrage. Sie werden im Abschnitt „Dissens“ bearbeitet und die Auseinandersetzung mit ihnen wird die Arbeit der AG während des Klärungsprozesses der nächtsen Jahre maßgeblich prägen.

Die Tendenz zur Reaktion im Imperialismus[Bearbeiten]

Schlagworte

Imperialismus, Tendenz zur Reaktion

Annahme 1

  • Imperialismus ist (politisch) der Drang nach Gewalt und Reaktion

In Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus (1917) beschrieb Lenin die Entstehung des imperialistischen Weltsystems und entwickelte die grundlegenden ökonomischen und politischen Wesensmerkmale des Imperialismus. In Kapitel VII Der Imperialismus als besonderes Stadium des Kapitalismus nahm er die verkürzte Imperialismusdefinition von Karl Kautsky auseinander:

„Imperialismus ist Drang nach Annexionen - darauf läuft der politische Teil der Kautskyschen Definition hinaus. Er ist richtig, aber höchst unvollständig, denn politisch ist Imperialismus überhaupt Drang nach Gewalt und Reaktion.“

Lenin, Wladimir Iljitsch: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus (1917), in: Bd. 22: Lenin Werke, Berlin/DDR 1971, S. 272-273.


  • Zu den politischen Merkmalen des Imperialismus gehört die Reaktion auf ganzer Linie

„Da zu den politischen Besonderheiten des Imperialismus die Reaktion auf der ganzen Linie sowie die Verstärkung der nationalen Unterdrückung in Verbindung mit dem Druck der Finanzoligarchie und mit der Beseitigung der freien Konkurrenz gehören, so tritt mit Beginn des 20. Jahrhunderts in fast allen imperialistischen Ländern eine kleinbürgerlich-demokratische Opposition gegen den Imperialismus auf. Und der Bruch Kautskys und der weitverbreiteten internationalen Strömung des Kautskyanertums mit dem Marxismus besteht gerade darin, daß Kautsky es nicht nur unterlassen, es nicht verstanden hat, dieser kleinbürgerlichen, reformistischen, ökonomisch von Grund aus reaktionären Opposition entgegenzutreten, sondern sich im Gegenteil praktisch mit ihr vereinigt hat.“

Lenin, Wladimir Iljitsch: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus (1917), in: Bd. 22: Lenin Werke, Berlin/DDR 1971, S. 292.


Imperialismus und demokratische Republik[Bearbeiten]

Schlagworte

Imperialismus, Republik, Demokratie, Basis, Überbau, Reaktion

Annahme 1

  • Politisch ist der Imperialismus gegenüber dem Kapitalismus der freien Konkurrenz die Wendung von Demokratie zu Reaktion
  • Der ökonomischen Grundlage des Imperialismus, dem Monopol, entspricht politisch die Reaktion
  • Dies trifft sowohl auf die Politik des Imperialismus im Ausland, wie im eigenen Land zu
  • Imperialismus bedeutet “Negation” der Demokratie

In seinem Artikel Über eine Karikatur auf den Marxismus und über den „imperialistischen Ökonomismus' (1916) kritisierte Lenin die dem Marxismus feindliche Position der gegen die Partei auftretenden Gruppe Bucharin-Pjatakow und entwickelte gemäß den neuen historischen Verhältnissen das bolschewistische Programm zur nationalen Frage. Im folgenden Abschnitt beschrieb er den politischen Überbau, der sich aus der ökonomischen Basis des Imperialismus ergibt:

„Ökonomisch ist der Imperialismus […] eine Stufe [des Kapitalismus], auf der die Produktion so sehr Groß- und Größtproduktion geworden ist, daß die freie Konkurrenz vom Monopol abgelöst wird. Das ist das ökonomische Wesen des Imperialismus. […]

Der politische Überbau über der neuen Ökonomik, über dem monopolistischen Kapitalismus (Imperialismus ist monopolistischer Kapitalismus) ist die Wendung von der Demokratie zur politischen Reaktion. Der freien Konkurrenz entspricht die Demokratie. Dem Monopol entspricht die politische Reaktion. „Das Finanzkapital will nicht Freiheit, sondern Herrschaft", sagt Rudolf Hilferding völlig richtig in seinem „Finanzkapital".

Die „Außenpolitik" von der Politik schlechthin zu trennen oder gar die Außenpolitik der Innenpolitik entgegenzustellen ist grundfalsch, unmarxistisch, unwissenschaftlich. Sowohl in der Außenpolitik wie auch gleicherweise in der Innenpolitik strebt der Imperialismus zur Verletzung der Demokratie, zur Reaktion. In diesem Sinne ist unbestreitbar, daß der Imperialismus „Negation" der Demokratie überhaupt, der ganzen Demokratie ist, keineswegs aber nur einer demokratischen Forderung, nämlich der Selbstbestimmung der Nationen.“

Lenin, Wladimir Iljitsch: Über eine Karikatur auf den Marxismus und über den „imperialistischen Ökonomismus" (1924), in: Bd. 23: Lenin Werke, Berlin/DDR 1975, S. 34.


Annahme 2

  • Die Republik ist eine der möglichen Formen des politischen Überbaus der kapitalistischen Gesellschaft
  • Sie ist auch im Kapitalismus die demokratischste Form des Überbaus
  • Aber: Es besteht ein grundsätzlicher Widerspruch zwischen dem ökonomischen Inhalt des Imperialismus und der politischen Form der Demokratie
  • Die demokratische Republik muss ihre ökonomische Grundlage, also ihren Klassencharakter und Eigentumsverhältnisse verleugnen und “Gleichheit zwischen Armen und Reichen” proklamieren. Sie widerspricht also dem Kapitalismus
  • Dieser Widerspruch verschärft sich durch den Imperialismus, durch die Ersetzung der freien Konkurrenz durch das Monopol

„Die Republik ist eine der möglichen Formen des politischen Überbaus der kapitalistischen Gesellschaft, und zwar unter den modernen Verhältnissen die demokratischste Form. (…) Weiter. Welcher Art ist der Widerspruch zwischen Imperialismus und Demokratie? Es ist die Frage nach der Beziehung der Ökonomik zur Politik; nach der Beziehung der ökonomischen Verhältnisse und des ökonomischen Inhalts des Imperialismus zu einer der politischen Formen. […] Ist dies ein „logischer" Widerspruch zwischen zwei ökonomischen (1)? oder zwischen zwei politischen Erscheinungen bzw. Thesen (2)? oder zwischen einer ökonomischen und einer politischen Erscheinung bzw. These (3)?

Denn das ist das Kernproblem, wenn die Frage der ökonomischen Unrealisierbarkeit oder Realisierbarkeit bei Existenz der einen oder der anderen politischen Form aufgeworfen wird!
Hätte P . Kijewski diesen Kern nicht umgangen, so hätte er wahrscheinlich gesehen, daß der Widerspruch zwischen Imperialismus und Republik ein Widerspruch zwischen der Ökonomik des neuesten Kapitalismus (nämlich des monopolistischen Kapitalismus) und der politischen Demokratie schlechthin ist. Denn niemals wird P. Kijewski beweisen können, daß irgendeine bedeutende und grundlegende demokratische Maßnahme (Wahl der Beamten oder Offiziere durch das Volk, vollste Koalitions- and Versammlungsfreiheit u. dgl.) dem Imperialismus weniger widerspricht [...] als die Republik.
Wir kommen auf diese Weise zu eben der Feststellung, die wir in den Thesen betonten: Der Imperialismus widerspricht, widerspricht „logisch" der ganzen politischen Demokratie schlechthin.

Weiter. Warum paßt die Republik dem Imperialismus nicht in den Kram? Und wie „vereinbart" der Imperialismus seine Ökonomik mit der Republik? […] Also gerade um die Frage der „Antinomie" zwischen Ökonomik und Politik. Engels antwortet: ,... die demokratische Republik weiß offiziell nichts mehr von Besitzunterschieden' (zwischen den Bürgern). ,In ihr übt der Reichtum seine Macht indirekt, aber um so sichrer aus. Einerseits in der Form der direkten Beamtenkorruption, wofür Amerika klassisches Muster, andrerseits in der Form der Allianz von Regierung und Börse …'[…].Die demokratische Republik widerspricht [...] dem Kapitalismus, da sie „offiziell" den Reichen und den Armen gleichsetzt. Das ist ein Widerspruch zwischen der ökonomischen Basis und dem politischen Überbau. Zum Imperialismus steht die Republik im gleichen Widerspruch, vertieft und vervielfacht dadurch, daß die Ablösung der freien Konkurrenz durch das Monopol die Realisierung der verschiedenen politischen Freiheiten noch mehr „erschwert".“

Lenin, Wladimir Iljitsch: Über eine Karikatur auf den Marxismus und über den „imperialistischen Ökonomismus" (1924), in: Bd. 23: Lenin Werke, Berlin/DDR 1975, S. 37-38.


Lenin über die Schwarzhundertschaften[Bearbeiten]

Schlagworte

Reaktion

Annahme 1

  • Gegen eine erstarkende revolutionäre Arbeiterbewegung benötigt die besitzende Klasse repressive Maßnahmen, die über den Wirkbereich von Polizei und Militär hinausgehen.
  • Die reaktionärsten Teile der Bevölkerung werden in der revolutionären Situation von der Regierung zur Verteidigung der besitzenden Klasse gegen die Arbeiterklasse rekrutiert.
  • Durch verschiedene Formen der Streuung von Hass werden Teile des Volkes gegeneinander aufgehetzt und Reaktionäre organisiert.
  • Der Klassenkampf gegen die ausbeutenden Teile der Bevölkerung liegt der politischen Umgestaltung zugrunde. Deswegen werden die proletarischen Massen gegen die Regierung und ihre organisierte Reaktion Widerstand leisten.
  • In der Organisierung der Reaktion und des direkten Bürgerkriegs drückt sich eine Zuspitzung des Klassenkampfes aus.

Die Schwarze Hundert „Schwarzhundertschaften“ waren eine nationalistisch-terroristische Organisation im zaristischen Russland. Sie verübten in den Jahren vor und während der 1905 Revolution Terror gegen Revolutionäre und Pogrome an der jüdischen Bevölkerung. Die Schwarzhundertschaften waren der bewaffnete Arm des monarchistisch-reaktionären „Bund des russischen Volkes“. Der Bund erhielt große Zustimmung bei der Kirche und der zaristischen Regierung, Zar Nikolai II. war Ehrenmitglied. Lenin befasst sich in diesen Zeiten immer wieder mit dem Terror der Schwarzhunderter und ruft die Arbeiterschaft zur bewaffneten Gegenwehr auf.

Folgenden Aufsatz verfasste Lenin im frühen Sommer 1905, also zu Beginn der Russischen Revolution. Er beschäftigt sich mit den reaktionären Maßnahmen der zaristischen Regierung gegen die revolutionären Bewegung:

„Eine gute Sache für die Polizei ist diese „provisorische" Verordnung über verstärkte Sicherheitsmaßnahmen, die seit 1881 eines der stabilsten, eines der Grundgesetze des Russischen Reichs geworden ist. Die Polizei erhielt alle erdenklichen Rechte und Vollmachten, um „die Einwohnerschaft in der Hand zu halten“[…] Anderseits aber sind die außerordentlichen Unterdrückungsmaßnahmen, die vor fünfundzwanzig Jahren als außerordentliche gelten konnten, derart zur Gewohnheit geworden, daß auch die Bevölkerung, wenn man so sagen darf, sich ihnen angepaßt hat. Der repressive Charakter der außerordentlichen Maßnahmen verlor seine Wirkung, ebenso wie eine neue Sprungfeder durch langen und übermäßigen Gebrauch in ihrer Spannkraft nachläßt. […]Vorbei sind die siebziger Jahre, als die Kräfte einer solchen zweifellos vorhandenen und furchtgebietenden Partei „nur für einzelne Attentate, nicht aber für einen politischen Umsturz ausreichten". In jenen Zeiten, als „die illegale Agitation eine Stütze in einzelnen Personen und Zirkeln fand", hatte die neuerfundene Sprungfeder noch eine gewisse Spannkraft aufzuweisen. Doch wie sehr hat diese Sprungfeder jetzt nachgelassen, „bei dem heutigen Zustand der Gesellschaft, da sich in Rußland die Unzufriedenheit mit der bestehenden Ordnung der Dinge und eine starke oppositionelle Bewegung breit entwickeln"! Wie sehr haben sich die außerordentlichen Sicherheitsmaßnahmen als […] sinnlos erwiesen, sobald […] genötigt war, sie tausendfach anzuwenden „gegen Arbeiter wegen Streiks, die friedlichen Charakter trugen und rein wirtschaftliche Beweggründe hatten", sobald man sogar Steine als eine in politischer Beziehung nicht ungefährliche Waffe qualifizieren mußte!

[…] Alles in dieser Verordnung hat sich als untauglich erwiesen, seit die revolutionäre Bewegung wirklich ins Volk gedrungen ist und sich unlöslich mit der Klassenbewegung der Arbeitermassen verbunden hat — alles, von der polizeilichen Meldepflicht bis zu den Kriegsgerichten. […] Das ist nichts anderes als der vollständige Bankrott der Polizeiordnung!

[…] Als es keine wirkliche revolutionäre Volksbewegung gab, als der politische Kampf noch nicht mit dem Klassenkampf zu einem Ganzen verbunden war, da genügten, weil es nur um einzelne Personen und Zirkel ging, bloße Polizeimaßnahmen. Gegen Klassen erwiesen sich diese Maßnahmen als bis zur Lächerlichkeit wirkunglos, und die Unzahl der Maßnahmen begann zu einem Hemmnis für die Arbeit der Polizei zu werden. Die einst respektgebietenden Paragraphen der Verordnung über verstärkte Sicher- heitsmaßnahmen wurden zu dürftigen, kleinlichen, spitzfindigen Schikanen, die sehr viel mehr die Unzufriedenheit der nicht zu den Revolutionären gehörenden „Einwohner" schüren, als daß sie ernsthaft die Revolutionäre treffen. Gegen die Volksrevolution, gegen den Klassenkampf kann man sich nicht auf die Polizei stützen, man muß sich ebenfalls auf das Volk, ebenfalls auf Klassen stützen'. Das ist die Moral der Denkschrift des Herrn Lopuchin. Und das ist auch die Moral, zu der die absolutistische Regierung in der Praxis gelangt. Die Sprungfedern der Polizeimaschine haben nachgelassen, militärische Kräfte allein genügen nicht. Man muß die nationale Zwietracht, die Rassenzwietracht schüren, man muß aus den Reihen der am wenigsten aufgeklärten Schichten der städtischen (und später selbstverständlich auch der ländlichen) Kleinbourgeoisie „Schwarzhundertschaften" rekrutieren, man muß versuchen, alle reaktionären Elemente in der Bevölkerung selbst zur Verteidigung des Throns zusammenzuschließen, man muß den Kampf der Polizei gegen Zirkel in einen Kampf des einen Teils des Volkes gegen den anderen Teil des Volkes verwandeln.

So verfährt jetzt auch die Regierung: Sie hetzt in Baku die Tataren gegen die Armenier auf, sie versucht neue Judenpogrome hervorzurufen, sie organisiert Schwarzhunderschaften gegen Semstwoleute, Studenten und aufrührerische Gymnasiasten, sie appelliert an die treuuntertänigen Adligen und an die konservativen Elemente der Bauernschaft. Nun wohl! Wir Sozialdemokraten […] wissen, daß die Regierung jetzt, da die Arbeiter begonnen haben, den bewaffneten Widerstand gegen die Pogrombanditen zu organisieren, mit der Schürung der Rassenzwietracht kein großes Glück haben wird; wenn sich die Regierung aber auf die ausbeutenden Schichten der Kleinbourgeoisie stützt, wird sie die breiten, wirklich proletarischen Massen noch mehr gegen sich aufbringen. Wir haben niemals erwartet und erwarten auch jetzt nicht politische und soziale Umwälzungen von der „Einsicht" der Machthaber oder von dem Übertritt der Gebildeten auf die Seite der „Tugend". Wir haben immer gelehrt und lehren auch jetzt, daß es der Klassenkampf ist, der Kampf des ausgebeuteten Teils des Volkes gegen den ausbeutenden, der den politischen Umgestaltungen zugrunde liegt und letzten Endes das Schicksal aller solcher Umgestaltungen entscheidet. Wenn die Regierung den völligen Bankrott der polizeilichen Kleinkrämerei zugibt und zur direkten Organisierung des Bürgerkriegs übergeht, so beweist sie damit, daß die letzte Abrechnung naht. Um so besser. Sie beginnt den Bürgerkrieg. Um so besser. Wir sind auch für den Bürgerkrieg. Wenn wir uns irgendwo besonders sicher fühlen, so gerade auf diesem Gebiet, im Krieg der ungeheuren Masse des unterdrückten und rechtlosen, des werktätigen und die ganze Gesellschaft erhaltenden Millionenvolkes gegen das Häuf- lein privilegierter Nichtstuer. Die Regierung kann natürlich durch Entfachung der Rassenzwietracht und des nationalen Hasses die Entwicklung des Klassenkampfes eine Zeitlang hemmen, aber nur auf kurze Zeit, und zwar mit dem Ergebnis, daß sich der neue Kampf auf einem noch größeren Feld abspielen wird, daß das Volk noch erbitterter gegen die Selbstherrschaft sein wird. Beweis: die Auswirkungen des Pogroms in Baku, der die revolutionäre Stimmung aller Schichten gegen den Zarismus verzehnfacht hat. Die Regierung glaubte das Volk durch den Anblick des Bluts und der vielen Opfer der Straßenkämpfe einschüchtern zu können — in Wirklichkeit gewöhnt sie dem Volk ab, sich vor Blutvergießen, vor einem direkten bewaffneten Zusammenstoß zu fürchten. In Wirklichkeit betreibt sie eine so großzügige und so eindrucksvolle Agitation zu unseren Gunsten, wie wir sie uns nicht hätten träumen lassen. Vive le son du canon! sagen wir mit den Worten eines französischen revolutionären Liedes — „Es lebe der Donner der Kanonen!", es lebe die Revolution, es lebe der offene Volkskrieg gegen die zaristische Regierung und ihre Anhänger!“

Lenin, Wladimir Iljitsch: Vorwort zur Broschüre „Denkschrift des Direktors des Polizeidepartements“, in: Bd. 8: Lenin Werke, Berlin/DDR 1959, S.191-194.


Annahme 2

  • In der Situation des Bürgerkrieges kommt es zu Zugeständnissen der reaktionären Kräfte an das Proletariat in Worten und gleichzeitig zur Bekämpfung derselben während der revolutionären Situation.

„Die Entscheidung naht. Die neue politische Lage zeichnet sich mit erstaunlicher, nur revolutionären Epochen eigener Schnelligkeit ab. Die Regierung gab in Worten nach und begann gleichzeitig durch Taten den Angriff vorzubereiten.“

Lenin, Wladimir Iljitsch: Die Entscheidung naht, in: Bd. 8: Lenin Werke, Berlin/DDR 1957, S.450.


„Solange die faktische Macht des Zarismus nicht gestürzt ist, solange sind alle seine Zugeständnisse, sogar einschließlich der „konstituierenden" Versammlung, nichts als Blendwerk, Lug und Trug.“

Lenin, Wladimir Iljitsch: Die Entscheidung naht, in: Bd. 8: Lenin Werke, Berlin/DDR 1957, S.451.


„"Man hat uns Versammlungsfreiheit gewährt", schrieb das Streikkomitee (wir übersetzen aus dem Englischen ins Russische zurück, wodurch sich natürlich kleine Abweichungen vom Wortlaut ergeben), „aber unsere Versammlungen werden von Truppen umzingelt. Man hat uns Pressefreiheit gewährt, aber die Zensur besteht weiter. Man hat uns Freiheit der Wissenschaft versprochen, aber die Universität ist von Soldaten besetzt. Man hat uns Unantastbarkeit der Person gewährt, aber die Gefängnisse sind mit Verhafteten überfüllt. Man hat uns Witte beschert, aber Trepow ist nach wie vor da. Man hat uns eine Verfassung gewährt, aber die Selbstherrschaft besteht weiter. Man hat uns alles gegeben, aber wir haben nichts."“

Lenin, Wladimir Iljitsch: Die Entscheidung naht, in: Bd. 8: Lenin Werke, Berlin/DDR 1957, S.451.


„Es wird berichtet, daß die russische Garnison einer starken Festung (Sveaborg) dem aufständischen Volk ihre Sympathien ausgedrückt und die Festung der Volksmiliz übergeben hat. Finnland jubelt. Der Zar macht Zugeständnisse, er ist bereit, den Landtag einzuberufen, hebt das gesetzwidrige Manifest vom 15. Februar 1899 auf, nimmt die „Demission" der vom Volk vertriebenen Senatoren an. Und zur selben Zeit rät das „Nowoje Wremja", alle finnischen Häfen zu blockieren und den Aufstand mit Waffengewalt niederzuschlagen.“

Lenin, Wladimir Iljitsch: Die Entscheidung naht, in: Bd. 8: Lenin Werke, Berlin/DDR 1957, S.455.


  • Die besitzende Klasse und ihre Vertreter paktieren mit allen reaktionären Kräften. Der reaktionäre Charakter der Bourgeoisie im zaristischen Russland tritt im damaligen Pakt mit dem zaristischen Herrschaftsapparat zu Tage.
  • Die reaktionären staatlichen Gewaltapparate arbeiten mit nichtstaatlichen konterrevolutionären militanten Truppen zusammen.