Faschismus als Bündnis vs. "Agententheorie"

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Überblick[Bearbeiten]

Insbesondere der DDR-Forschung zum Faschismus, aber auch bereits der KomIntern-Definition wird unterstellt, sie vertrete eine “Agententheorie”, indem sie Hitler als nichts weiteres als den bezahlten „Agenten“ des Monopolkapitals darstellen würde. Die Kritiker beschreiben deswegen als Gegenmodell den Faschismus als Bündnis verschiedener gesellschaftlicher Gruppen mit Dominanz des Monopolkapitals. Diese Vorstellung wird zum Teil auch unter marxistischen Wissenschaftlern vertreten, auch standen deren Vertreter oft der DDR-Forschung am nächsten und waren an einer Auseinandersetzung mit dieser interessiert.

Geschichte & Positionen[Bearbeiten]

In welchem Verhältnis standen faschistische Partei und das deutsche Monopolkapital? Wie ist der Aufstieg der NSDAP zu erklären? Hintergrund der Bündnistheorie bildet die Feststellung auch nicht-marxistischer Wissenschaftler, dass die faschistische Partei nicht gänzlich aus eigener Kraft an die Macht habe kommen können. Sie habe der Unterstützung der „Traditionelle Eliten in Wirtschaft, Staatsapparat und Militär”[1] bedurft (z. B. Mommsen, Winkler, Schoenbaum). Dieses Bündnis ist ein Bündnis auf der Grundlage überschneidender Interessen, hauptsächlich die Niederhaltung der Arbeiterbewegung. Allerdings habe dieses Bündnis nach Ansicht einiger seiner Vertreter nicht lange angehalten, die faschistische Partei habe schnell „ihre Bündnispartner und deren Hoffnungen betrogen und eine schrankenlose Diktatur errichtet […], der die ‚traditionellen Führungsschichten‘ ebenso unterworfen gewesen seien wie die übrige Bevölkerung” (siehe auch bürgerliche Faschismustheorien). [2]

Linke westdeutsche Faschismusforscher versuchten dagegen eine Vereinigung der Bündnistheorie mit der marxistischen Faschismusinterpretation aus der Komintern-Tradition. Vor allem zu nennen sind hier Politikwissenschaftler der Marburger Schule, die als marxistisch und ab den 70ern als DKP-nah galt. Paradigmatisch für diese Schule ist die Analyse von Wolfgang Abendroth:

„Die Oligopole hatten jedoch spätestens seit Ausbruch der Weltwirtschaftskrise einsehen müssen, daß der konjunkturelle Prozeß ohne Mithilfe der öffentlichen Gewalt nicht gesteuert werden konnte, wenn auch eventuell nur in der Weise, daß sie sich formell gemeinsam der quasi schiedsrichterlichen Entscheidung durch die öffentliche Gewalt unterwarfen. Auf dieser Situation beruhte die Wendung zum Faschismus, wie sie 1922 in Italien, 1933 in Deutschland und in Österreich durchgespielt worden ist […] Dadurch wurde es […] möglich, daß diese Parteien und ihre militärischen Verbände in Zusammenarbeit mit der traditionellen Staatsorganisation die Unterdrückungsfunktion der öffentlichen Gewalt gegenüber den Unterklassen generalisierten und extrem verstärkten[…].“
zitiert nach Kühnl, Reinhard: Faschismustheorien, Hamburg 1979, S.214.

Interessant ist vor allem, dass Abendroth anscheinend für die Zeit vor dem Faschismus von einem Dualismus von Staat, (Para-)Militär und Monopolkapital ausgeht. Erst so kann schließlich ein Bündnis zwischen davor getrennten Gruppen, geschlossen werden.

Die Auseinandersetzung zwischen DDR-Historiographie und Vertretern der Marburger Schule lässt sich gut anhand der Debatte zwischen Kurt Gossweiler und Reinhard Kühnl nachvollziehen. Während Kurt Gossweiler die These vertritt, die NSDAP hätte ohne die Finanzierung und die Förderung durch das deutsche Monopolkapital ein “Sektendasein” gefristet [3], kritisiert der westdeutsche Historiker Reinhard Kühnl solche Vorstellungen der damaligen DDR-Forschung und auch von DKP-Historikern wie Reinhard Opitz. Eine solche ”Agententheorie” in der Hitler eben nur ein bezahlter Agent des MoKap gewesen sei, käme einer ”Verschwörungstheorie” nahe. Der Masseneinfluss der NSDAP müsse insbesondere durch die Weltwirtschaftskrise und die objektive Lage des Kleinbürgertums erklärt werden, welches es anfällig für faschistische Propaganda gemacht habe und sich ”antibürgerlich” gegeben habe. Er kritisiert stellvertretend für viele linke Westhistoriker die „staatssozialistische“ Forschung dafür, dass sie sozialpsychologischen Faktoren zu wenig Beachtung schenke. Außerdem sei die Verwobenheit zwischen Monopolkapital weniger ”unmittelbar”, sondern eher strukturell-systemisch in ihrer Komplexität zu fassen:

„Die in der Tat bestehende Kausalbeziehung zwischen Kapitalismus und Faschismus wird hier allzu direkt und personalistisch-voluntaristisch aufgefasst, so dass die Nähe zu Verschwörungstheorien nicht zu übersehen ist. Tatsächlich muss diese Verbindung stärker als eine vermittelte und strukturelle gesehen werden. Nicht die direkte Unterstützung des Großkapitals bewirkte den Faschismus, sondern die im kapitalistischen System begründete Wirtschaftskrise trieb die verängstigten Massen, vorab die proletarisierten […] zum Faschismus[…].“
Kühnl, Reinhard: Faschismustheorien, Hamburg 1979, S.228.

Kühnl betont dagegen den Charakter des Faschismus als den eines Bündnisses zwischen faschistischer Partei, Vertretern des Großkapitals, des Militärs und der obersten Beamtenschicht, welches sich durch gleichartige Ziele und Gegner der Verbündeten auszeichnete.[4]

In einer Antwort auf Kühnl, wirft Gossweiler diesem eine Verkürzung der KI-Definition mit dem Ziel, diese widerlegen zu können, vor. Seine wissenschaftliche Analyse sei letztendlich oberflächlich, da es nicht um die soziale Herkunft des Personals der faschistischen Partei, sondern eine Wesensbestimmung des Faschismus gehe müsse. Kühnl gehe von einer “partiellen Verselbständigung der Exekutive”[5] aus. Dessen Analyse, dass Konflikte zwischen den verschiedenen Machtgruppen des Kapitals nicht zu regeln waren und sie deswegen eine unabhängige ”Instanz benötigten, die zu verbindlichen Entscheidungen in der Lage war.”[6] laufe auf die gleiche Argumentation wie die unmarxistische Bonapartismustheorie hinaus (siehe Dissens ”Bonapartismustheorie”).[7]

Eine ähnliche Stoßrichtung wie Kühnl verfolgt auch Nicos Poulantzas, der seine Ablehnung der „Agententheorie“ mit einer Kritik an der "Sozialfaschismusthese" verbindet. Diese habe sich fatal auf die politische Strategie der Kommunisten in der Weimarer Republik ausgewirkt, da sie die NSDAP lediglich als "besoldete Agenten" des Großkapitals eingeschätzt habe, „[o]bgleich das organisatorische Verhältnis der faschistischen Partei zur Bourgeoisie viel komplexer“ gewesen sei. [8]

Bezug zu den Grundannahmen[Bearbeiten]

Arbeitsschritte / Klärung des Dissenses[Bearbeiten]

Untersuchen wo heute die Bündnistheorie in der Linken vertreten wird (VVN & Co.)

Weitere Vertreter, auch aktuelle benennen: Wippermann & Co.

Verhältnis der “traditionellen Rechten” zu den Faschisten nachvollziehen und historisch aufarbeiten. Sowohl theoretisch als auch historisch-empirisch zu klären ist die Frage nach dem Inhalt des „Klassencharakter“-Begriffs in den Analysen der Komintern. War damit die empirische Klassenzusammensetzung der faschistischen Bewegung, also die jeweilige Klassenzugehörigkeit der in ihr organisierten oder ihn nahestehenden Individuen gemeint? Oder ging es vor allem darum, welche Klasse ihre strategische Ausrichtung besonders beeinflusste und wessen Klasseninteresse sich in ihr letzten Endes durchsetze.

Literatur zum Thema[Bearbeiten]

  • Gossweiler, Kurt: Über Wesen und Funktion des Faschismus, in: Kurt Gossweiler, Reinhard Kühnl, Reinhard Opitz (Hrsg.): Faschismus. Entstehung und Verhinderung, Frankfurt am Main 1972, S. 3-38.
  • Kühnl, Reinhard: Faschismus als Bündnis, in: Kühnl, Reinhard (Hrsg.): Faschismustheorien. Texte zur Faschismusdiskussion 2. Ein Leitfaden, Hamburg 1979, S.167-208.
  • Kühnl, Reinhard: Faschismus als Diktatur des Monopolkapitals, in: Kühnl, Reinhard (Hrsg): Faschismustheorien. Texte zur Faschismusdiskussion 2. Ein Leitfaden, Hamburg 1979, S. 213-250.
  • Poulantzas, Nicos: Faschismus und Diktatur. Die Kommunistische Internationale und der Faschismus. Übersetzung aus dem Französischen und dt. Bearbeitung Hartmut Mehringer, München 1973.
  • Saage, Richard: Faschismus. Konzeptionen und historische Kontexte, Wiesbaden 2007.

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. Kühnl, Reinhard: Faschismustheorien, Hamburg 1979, S.184.
  2. Ebd., S.222.
  3. vgl. ebd., S.241.
  4. vgl. ebd., S.209.
  5. Gossweiler, Kurt: Über Wesen und Funktion des Faschismus, Frankfurt am Main 1972, S.14.
  6. Kühnl zitiert nach ebd., S.14.
  7. Ebd.
  8. Poulantzas, Nicos: Faschismus und Diktatur. Die Kommunistische Internationale und der Faschismus, München 1973, S. 86 zitiert nach Saage, Richard: Faschismus. Konzeptionen und historische Kontexte, Wiesbaden 2007, S.35.