Einschätzung der Sowjetunion: Unterschied zwischen den Versionen

K (War die Sowjetunion „staatskapitalistisch“ und „sozialimperialistisch“?)
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Eine andere Variante dieser These wird von verschiedenen Strömungen vertreten, die sich an der historischen Linie der KP Chinas und Mao oder an Enver Hoxha orientieren. Diese sehen zwar die Sowjetunion bis zum 20. Parteitag der KPdSU als sozialistischen Staat an, dann jedoch sei eine revisionistische Gruppe an die Macht gekommen, die den Sozialismus abgeschafft habe. Seit 1956 sei daher die Sowjetunion ein kapitalistischer und „sozialimperialistischer“ Staat gewesen, ein Feind der revolutionären Arbeiterbewegung, der seine eigenen Arbeiter sowie die abhängigen Länder ausgebeutet habe. Zur Untermauerung dieser These wird zumeist darauf hingewiesen, dass mit der Kossygin-Reform bestimmte Elemente der Warenproduktion, wie Austauschbeziehungen zwischen den Betrieben, Eigenerwirtschaftung der betrieblichen Mittel und die Orientierung der materiellen Anreize an den Gewinnen des Betriebs eingeführt wurden. Außerdem wird oft behauptet, die Wirtschaftsbeziehungen der Sowjetunion zu ihren Verbündeten in Osteuropa und zu anderen Ländern hätten ausbeuterischen Charakter angenommen und seien mit den Beziehungen des westlichen Imperialismus zu den Ländern der „Dritten Welt“ vergleichbar. Die osteuropäischen Länder seien der Sowjetunion völlig untergeordnet gewesen. Auch militärischen Aktionen der Sowjetunion und des Warschauer Vertrags (1968 in der Tschechoslowakei, 1979 in Afghanistan) wird ein imperialistischer Charakter zugeschrieben. Dabei sei es nicht um die Verteidigung und Verbreitung des Sozialismus gegangen, sondern allein um wirtschaftliche und Machtinteressen der Sowjetunion.
 
Eine andere Variante dieser These wird von verschiedenen Strömungen vertreten, die sich an der historischen Linie der KP Chinas und Mao oder an Enver Hoxha orientieren. Diese sehen zwar die Sowjetunion bis zum 20. Parteitag der KPdSU als sozialistischen Staat an, dann jedoch sei eine revisionistische Gruppe an die Macht gekommen, die den Sozialismus abgeschafft habe. Seit 1956 sei daher die Sowjetunion ein kapitalistischer und „sozialimperialistischer“ Staat gewesen, ein Feind der revolutionären Arbeiterbewegung, der seine eigenen Arbeiter sowie die abhängigen Länder ausgebeutet habe. Zur Untermauerung dieser These wird zumeist darauf hingewiesen, dass mit der Kossygin-Reform bestimmte Elemente der Warenproduktion, wie Austauschbeziehungen zwischen den Betrieben, Eigenerwirtschaftung der betrieblichen Mittel und die Orientierung der materiellen Anreize an den Gewinnen des Betriebs eingeführt wurden. Außerdem wird oft behauptet, die Wirtschaftsbeziehungen der Sowjetunion zu ihren Verbündeten in Osteuropa und zu anderen Ländern hätten ausbeuterischen Charakter angenommen und seien mit den Beziehungen des westlichen Imperialismus zu den Ländern der „Dritten Welt“ vergleichbar. Die osteuropäischen Länder seien der Sowjetunion völlig untergeordnet gewesen. Auch militärischen Aktionen der Sowjetunion und des Warschauer Vertrags (1968 in der Tschechoslowakei, 1979 in Afghanistan) wird ein imperialistischer Charakter zugeschrieben. Dabei sei es nicht um die Verteidigung und Verbreitung des Sozialismus gegangen, sondern allein um wirtschaftliche und Machtinteressen der Sowjetunion.
  
Diese These vom „sowjetischen Staatskapitalismus“ bzw. „Sozialimperialismus“ war immer sehr umstritten. Natürlich bestanden die kommunistischen Parteien der Länder des Warschauer Paktes weiterhin darauf, in ihren Ländern den Sozialismus aufzubauen. Aber auch Marxisten in den westlichen kapitalistischen Ländern widersprachen der Sozialimperialismusthese vehement. So z.B. Albert Szymanski, der in verschiedenen Texten ausführlich argumentierte, dass die Sowjetunion weiterhin eine sozialistische Planwirtschaft gewesen sei, die ihre sozialen und demokratischen Errungenschaften keineswegs abgeschafft, sondern sogar immer weiter ausgebaut hätte. Auch die Beziehungen zu anderen Ländern hätten eher den Charakter einer solidarischen Unterstützung durch die Sowjetunion und hätten keineswegs ausbeuterischen Charakter gehabt. Die UdSSR habe außerdem Befreiungsbewegungen auf der ganzen Welt in ihrem Kampf gegen den Imperialismus unterstützt und dafür hohe Kosten in Kauf genommen.
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Diese These vom „sowjetischen Staatskapitalismus“ bzw. „Sozialimperialismus“ war immer sehr umstritten. Natürlich bestanden die kommunistischen Parteien der Länder des Warschauer Vertrags weiterhin darauf, in ihren Ländern den Sozialismus aufzubauen. Aber auch Marxisten in den westlichen kapitalistischen Ländern widersprachen der Sozialimperialismusthese vehement. So z.B. Albert Szymanski, der in verschiedenen Texten ausführlich argumentierte, dass die Sowjetunion weiterhin eine sozialistische Planwirtschaft gewesen sei, die ihre sozialen und demokratischen Errungenschaften keineswegs abgeschafft, sondern sogar immer weiter ausgebaut hätte. Auch die Beziehungen zu anderen Ländern hätten eher den Charakter einer solidarischen Unterstützung durch die Sowjetunion und hätten keineswegs ausbeuterischen Charakter gehabt. Die UdSSR habe außerdem Befreiungsbewegungen auf der ganzen Welt in ihrem Kampf gegen den Imperialismus unterstützt und dafür hohe Kosten in Kauf genommen.
  
 
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Aktuelle Version vom 12. Dezember 2019, 16:13 Uhr

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Einleitung[Bearbeiten]

Die Einschätzung der Geschichte der sozialistischen Länder ist in der Vergangenheit immer wieder ein Punkt gewesen, an dem sich die kommunistische Bewegung gespalten und an dem sich der Streit zwischen verschiedenen Strömungen entzündet hat. Auch die antikommunistische Propaganda der herrschenden Klasse bezieht sich wiederholt in verfälschender Weise auf die Erfahrungen des Aufbaus des Sozialismus im 20. Jahrhundert. Besonders umstritten war und ist dabei die Sowjetunion. Die Auseinandersetzung damit ist einerseits relevant, um Klarheit innerhalb der kommunistischen Bewegung zu schaffen, andererseits aber auch, weil die richtige Analyse der Geschichte der sozialistischen Staaten die Voraussetzung dafür ist, richtige Schlussfolgerungen über den sozialistischen Aufbau und seine Gesetzmäßigkeiten zu ziehen.

War die Sowjetunion „staatskapitalistisch“ und „sozialimperialistisch“?[Bearbeiten]

Von verschiedenen Strömungen in der Arbeiterbewegung ist der sozialistische Charakter der Sowjetunion und anderer sozialistischer Länder immer wieder infrage gestellt worden.

Die Diskussion um den "staatskapitalistischen" Charakter der Sowjetrepublik begann schon nach der Oktoberrevolution. Lenin setzt sich mit der Kritik der "linken Kommunisten" auseinander, die eine Entwicklung hin zum Staatskapitalismus befürchteten. Er hielt ihnen entgegen, dass eine staatskapitalistische Übergangsphase zum Sozialismus eine Notwendigkeit sei: Sie haben nicht daran gedacht, daß der Staatskapitalismus ein Schritt vorwärts wäre gegenüber der jetzigen Lage der Dinge in unserer Sowjetrepublik. Hätten wir in etwa einem Jahr den Staatskapitalismus errichtet, so wäre das ein gewaltiger Erfolg und die sicherste Garantie dafür, daß sich in einem Jahr der Sozialismus bei uns endgültig festigt und unbesiegbar wird[1]. Lenin begründet das damit, dass die Hauptgefahr für den Sozialismus in der Übergangsphase vom kleinbürgerlichen Eigentum ausgehe. Daher sei eine staatskapitalistische, noch nicht sozialistische Ökonomie, die aber bereits sozialistische Elemente habe, bereits ein Fortschritt – allerdings immer unter der Voraussetzung, dass die Staatsmacht fest in den Händen der Arbeiter und armen Bauern liege.

Ab der Wahl Stalins zum Generalsekretär gewann der Begriff "Staatskapitalismus" bei manchen Strömungen des Trotzkismus, aber auch manchen anarchistischen oder „rätekommunistischen“ Strömungen eine ganz andere Bedeutung. Sie sprachen davon, dass in der Sowjetunion trotz der Schaffung der zentralen Planwirtschaft nicht der Sozialismus, sondern eine Form des „Staatskapitalismus“ geschaffen worden sei. Das wird damit begründet, dass der Staat zwar Eigentümer der Produktionsmittel gewesen sei, aber der Staat selbst wiederum nicht von den Arbeitern, sondern von einer Schicht von „Bürokraten“ beherrscht gewesen sei (vgl. Dissens "Staatseigentum, Vergesellschaftung und Bürokratie im Sozialismus"). Entsprechend werden auch andere sozialistische Staaten, z. B. in Osteuropa, als „staatskapitalistisch“ bezeichnet.

Eine andere Variante dieser These wird von verschiedenen Strömungen vertreten, die sich an der historischen Linie der KP Chinas und Mao oder an Enver Hoxha orientieren. Diese sehen zwar die Sowjetunion bis zum 20. Parteitag der KPdSU als sozialistischen Staat an, dann jedoch sei eine revisionistische Gruppe an die Macht gekommen, die den Sozialismus abgeschafft habe. Seit 1956 sei daher die Sowjetunion ein kapitalistischer und „sozialimperialistischer“ Staat gewesen, ein Feind der revolutionären Arbeiterbewegung, der seine eigenen Arbeiter sowie die abhängigen Länder ausgebeutet habe. Zur Untermauerung dieser These wird zumeist darauf hingewiesen, dass mit der Kossygin-Reform bestimmte Elemente der Warenproduktion, wie Austauschbeziehungen zwischen den Betrieben, Eigenerwirtschaftung der betrieblichen Mittel und die Orientierung der materiellen Anreize an den Gewinnen des Betriebs eingeführt wurden. Außerdem wird oft behauptet, die Wirtschaftsbeziehungen der Sowjetunion zu ihren Verbündeten in Osteuropa und zu anderen Ländern hätten ausbeuterischen Charakter angenommen und seien mit den Beziehungen des westlichen Imperialismus zu den Ländern der „Dritten Welt“ vergleichbar. Die osteuropäischen Länder seien der Sowjetunion völlig untergeordnet gewesen. Auch militärischen Aktionen der Sowjetunion und des Warschauer Vertrags (1968 in der Tschechoslowakei, 1979 in Afghanistan) wird ein imperialistischer Charakter zugeschrieben. Dabei sei es nicht um die Verteidigung und Verbreitung des Sozialismus gegangen, sondern allein um wirtschaftliche und Machtinteressen der Sowjetunion.

Diese These vom „sowjetischen Staatskapitalismus“ bzw. „Sozialimperialismus“ war immer sehr umstritten. Natürlich bestanden die kommunistischen Parteien der Länder des Warschauer Vertrags weiterhin darauf, in ihren Ländern den Sozialismus aufzubauen. Aber auch Marxisten in den westlichen kapitalistischen Ländern widersprachen der Sozialimperialismusthese vehement. So z.B. Albert Szymanski, der in verschiedenen Texten ausführlich argumentierte, dass die Sowjetunion weiterhin eine sozialistische Planwirtschaft gewesen sei, die ihre sozialen und demokratischen Errungenschaften keineswegs abgeschafft, sondern sogar immer weiter ausgebaut hätte. Auch die Beziehungen zu anderen Ländern hätten eher den Charakter einer solidarischen Unterstützung durch die Sowjetunion und hätten keineswegs ausbeuterischen Charakter gehabt. Die UdSSR habe außerdem Befreiungsbewegungen auf der ganzen Welt in ihrem Kampf gegen den Imperialismus unterstützt und dafür hohe Kosten in Kauf genommen.

Fazit[Bearbeiten]

Die Frage, ob die Sowjetunion und andere Länder mit sozialistischem Anspruch, wie z.B. die DDR, sozialistischen oder kapitalistischen, gar imperialistischen Charakter hatten, ist von großer Wichtigkeit für uns. Die Bewertung dieser Länder und die Klärung der Ursachen, weshalb die dortigen sozialistischen Versuche letztlich abgebrochen wurden, spielt sowohl für die Entwicklung von Klassenbewusstsein und die Glaubwürdigkeit unserer sozialistischen Zukunftsperspektive als auch für die Vermeidung von Fehlern in der Zukunft eine wichtige Rolle. All dies ist nicht möglich ohne eine klare marxistische Analyse des gesellschaftlichen Charakters dieser Länder.

Bezug zu den Grundannahmen[Bearbeiten]

Für die Frage des „Staatskapitalismus“ oder „Sozialimperialismus“ sind dieselben Zitate aus den Grundannahmen relevant wie für die Frage nach dem Verhältnis von zentraler Planung und Wertgesetz.

Arbeitsschritte[Bearbeiten]

Hier sollten die Kriterien noch besser herausgearbeitet werden, unter welchen Bedingungen man eine Gesellschaft als sozialistisch oder kapitalistisch bezeichnen kann. Neben der Sowjetunion wären auch andere Länder mit sozialistischem Anspruch zu untersuchen, die zum Teil sehr weitgehende Marktmechanismen eingeführt haben (z.B. Ungarn, Jugoslawien) und zu analysieren, welche ökonomischen Gesetzmäßigkeiten in diesen Ländern wirkten und welche die dominierende Rolle spielten.

Bezug zu den Programmatischen Thesen[Bearbeiten]

Folgende Textstellen aus unseren Programmatischen Thesen werden wir uns bezüglich der Frage der Einschätzung der Sowjetunion und des real existierenden Sozialismus vertieft ansehen:


„Nach der Befreiung durch die Rote Armee bauten die Arbeiterklasse und das Volk in der DDR auf deutschem Boden unter Führung der Kommunisten den Sozialismus auf. Der deutsche Imperialismus hatte damit auf einen großen Teil seines historischen Herrschaftsgebiets keinen Zugriff mehr. Die faschistischen Verbrecher, das Kapital und die Großgrundbesitzer wurden enteignet, ihr ehemaliges Privateigentum wurde Volkseigentum, die Ausbeutung des Menschen abgeschafft. Die gesamte Wirtschaft der DDR unterlag der zentralen staatlichen Planung und die Landwirtschaft wurde kollektiviert, sodass die Produktion gesellschaftlichen Bedürfnissen statt dem Profit der Kapitalisten diente. Über die Gewerkschaften und andere Organisationen und Mechanismen waren die Massen in den Planungsprozess eingebunden, ebenso wie sie an der Mitwirkung in den Staatsorganen beteiligt wurden. Es bestanden bewaffnete Organe des Sozialismus, die der Macht der westdeutschen Bourgeoisie Grenzen setzten. Auf dieser Grundlage führte die SED die ostdeutsche Arbeiterklasse beim Aufbau des Sozialismus an. Obwohl es in der DDR verschiedene problematische Entwicklungen gab, war sie ein sozialistischer Staat und erst die Konterrevolution und Zerschlagung der DDR 1989/90 hat daran etwas geändert. Die kritische Auseinandersetzung mit der Entwicklung revisionistischer Positionen und entsprechenden ökonomischen Maßnahmen ist notwendig. Allerdings ist dafür die Zurückweisung der verfälschenden und selbst revisionistischen Thesen über einen angeblichen ‚Staatskapitalismus‘ in der DDR und der Sowjetunion eine Voraussetzung. Die Erfahrungen der Genossen aus der DDR sowie der Millionen Menschen, die im Sozialismus gelebt haben, müssen beim Aufbau der kommunistischen Partei in Deutschland einbezogen werden. Außerdem verteidigen wir als Kommunisten die DDR als größte Errungenschaft der deutschen Arbeiterbewegung gegen alle feindlichen Angriffe. Dies steht nicht im Widerspruch zu einer kritischen wissenschaftlichen Aufarbeitung der DDR-Geschichte, sondern ist die Voraussetzung dafür. Der erste große Anlauf zum Sozialismus, der 1917 begann und 1989/90 endete, führte zu großen Siegen, gewaltigen Errungenschaften, schweren Fehlern und schließlich zu einer zerschmetternden Niederlage. Maßgebliche Ursache der Konterrevolution war die Verbreitung und schließlich Vorherrschaft revisionistischer Auffassungen und ‚marktsozialistischer‘ Tendenzen.“


„Der antikommunistische Kampfbegriff des ‚Stalinismus‘, der von bürgerlichen Strömungen, aber auch den Trotzkisten verwendet wird, um den realen Sozialismus zu diffamieren, ist unwissenschaftlich und zu bekämpfen. Gleiches gilt für die These, wonach die Sowjetunion ab einem bestimmten Punkt ihrer Entwicklung nicht mehr sozialistisch, sondern ‚staatskapitalistisch‘, in manchen Varianten gar ‚sozialimperialistisch‘ und ‚faschistisch‘ gewesen sei. Diesen Auffassungen, die sich in bestimmten trotzkistischen, aber auch maoistischen oder hoxhaistischen (d.h. historisch an der Partei der Arbeit Albaniens orientierten) Strömungen zu finden sind, ist ein unwissenschaftliches Verständnis vom Kapitalismus sowie vom Sozialismus gemein.“


Literatur[Bearbeiten]

  • Lenin, W. I.: Über "linke" Kinderei und über Kleinbürgerlichkeit. LW Bd. 27, S.315-347
  • Lotta, Raymond / Szymanski, Albert: The Soviet Union: Socialist or Social-Imperialist?, Chicago, 1983.
  • Szymanski, Albert: Is the Red Flag Flying? The Political Economy of the Soviet Union, London, 1979.

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. Lenin, S. 327.