Distribution im Sozialismus

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Einleitung[Bearbeiten]

„Die Distribution in der flachsten Auffassung erscheint als Verteilung der Produkte, und so weiter entfernt von und quasi selbstständig gegen die Produktion. Aber ehe die Distribution Verteilung der Produkte ist, ist sie:
1) Verteilung der Produktionsinstrumente, und
2), was eine weitere Bestimmung desselben Verhältnisses ist, Verteilung der Mitglieder der Gesellschaft unter die verschiedenen Arten der Produktion.[…]
Die Verteilung der Produkte ist offenbar nur Resultat dieser Verteilung […]“
Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, MEW Bd. 42, S. 31.


Als Distribution behandeln wir in diesem Abschnitt lediglich die Verteilung der Produkte, die Möglichkeit zur Konsumtion, ergo den Anteil der Distribution, der für die individuelle Konsumtion vorgesehen ist, und wie er verausgabt wird. Einen Dissens sehen wir hier in der Frage 1) ob der individuelle Anteil am Gesamtprodukt in irgendeiner Form wertgebunden bestimmt werden soll, 2) ob der individuelle Anteil am Gesamtprodukt generell nach Arbeitszeit oder Quantität und Qualität der Arbeit bestimmt werden soll und 3) welche/s Anreizsystem/e im sozialistischen Wirtschaftssystem Anwendung finden sollen. Der Dreh- und Angelpunkt des Dissens ist der Widerspruch zwischen dem egalitaristischen Anspruch der sozialistischen Gesellschaft und der angenommenen Notwendigkeit, nach dem Prinzip „jedem nach seiner Leistung“ materielle Arbeitsanreize zu nutzen. Dabei spielen die Themen „Bewusstseinsentwicklung der breiten Massen“, „praktische Umsetzbarkeit“ und „Produktivität“ besonders wichtige Rollen.

Der Dissens hat für uns Relevanz, da er in der Analyse der Niederlage des Realsozialismus von unterschiedlichen Seiten als zentral aufgefasst wird. Etwa die krisenhafte Umbruchphase in der Sowjetunion in den 50er Jahren wird von einigen zwar als Produkt zu grober Planungsmechanismen, aber auch als Produkt fehlender Motivation der Arbeiter gekennzeichnet. Vor allem die Frage des materiellen Anreizes durch den Lohn ist hier von Bedeutung. Entsprechende Diskussionen prägten die gesamte Existenz der realsozialistischen Länder. Der energische Einsatz des sowjetischen Generalsekretärs Yuri Andropov, die relative Gleichheit der Löhne durch eine stärkere Lohnstaffelung zu ersetzen, ist hierfür exemplarisch. Eine Arbeitszeitrechnung als alternatives Modell zum sowjetischen Lohnsystem hat es bisher nur in den chinesischen Volkskommunen gegeben. Gleiche Dringlichkeit in der Klärung dieses Dissens liefern uns aktuelle sozialistische Projekte wie Kuba, in denen mitunter eine Vielzahl sozialer Spannungen und Widersprüche auf die sehr unterschiedlichen Lohnhöhen in den Wirtschaftssektoren zurückzuführen sind. Nicht zuletzt soll uns die Klärung dieses Dissens natürlich auch dazu verhelfen, ein möglichst vollständiges Bild einer zukünftigen sozialistischen Gesellschaft in Deutschland zeichnen zu können.


Herrschende Theorie und Praxis in der Sowjetunion[Bearbeiten]

Es soll hier vorangestellt sein, dass in der Sowjetunion bei den folgenden Erwägungen die Gültigkeit der Warenproduktion vorausgesetzt wird. Der Vollständigkeit halber sei deshalb an dieser Stelle noch auf den Dissens zu "Plan, Markt und Wertgesetz" verwiesen.

In den sowjetischen Lehrbüchern wurde von Beginn an das Prinzip der Verteilung nach Quantität und Qualität der Arbeitsleistung festgehalten. Das System der Arbeitszeitrechnung wurde zugunsten eines gestaffelten Entlohnungssystems vorerst beiseitegelegt, wobei dieses Entlohnungssystem als fester Bestandteil des Sozialismus deklariert wurde. Lohnunterschiede sollte es nach Möglichkeit sowohl bei verschiedener Intensität bei gleicher Arbeit als auch bei verschiedenen Qualifikationsstufen geben. Unter dem gleichen Prinzip gab es in der Sowjetunion im Wesentlichen zwei unterschiedliche Phasen der Entlohnung. In der Stalin-Ära waren die Lohnunterschiede sehr hoch, um die Arbeiter zur Höherqualifikation zu drängen und ihnen einen materiellen Anreiz zur Erhöhung der Arbeitsproduktivität zu geben.

Ab Chruschtschow und nochmals verstärkt unter Breschnew wurden die Lohndifferenzierungen unter den Schlagwörtern Gleichheit und Gerechtigkeit massiv gemindert. Da jedoch anstelle des materiellen Arbeitsanreizes kein ideeller Arbeitsanreiz ausreichend Wirkung entfaltete, brach die Produktivität immer weiter ein. Im Jahre 1982, als Andropov Generalsekretär wurde, hatte die Sowjetunion die historisch schlechteste Arbeitsproduktivität und den schlechtesten Wirtschaftsoutput. Um dies zu überwinden, machte er die Idee stark, den Problemen durch eine schnelle Verbesserung des Planungs- und Leitungssystems auf den höheren Ebenen in der sowjetischen Gesellschaft und eine Verbesserung von Disziplin und Anreizen an der Basis zu begegnen. Das Breschnew’sche egalitaristische Entlohnungssystem hätte den Arbeitern maßgeblich den materiellen Arbeitsanreiz genommen und die Effizienz krass negativ beeinflusst. Es wäre eine Verletzung des zentralen Prinzips im Sozialismus „jedem nach seiner Leistung“ gewesen. Ein Mittel, welches für Andropov von Bedeutung war, war die Einführung von Computertechnik in der Produktion. Damit hätte z. B. die Kontrolle der Arbeitsleistung und somit eine Entlohnung nach Quantität und Qualität der Arbeitsleistung sehr effektiv und genau gewährleistet werden können. Nach einem guten Jahr als Generalsekretär verstarb Andropov jedoch, worauf die Reforminitiativen in diese Richtung nicht mehr weiterverfolgt wurden.

Wie nun auch die konkrete Praxis in der Sowjetunion aussah, die theoretische Grundlage war immer die gleiche. Das Prinzip „jedem nach seiner Leistung“ wurde interpretiert und praktiziert als Entlohnungsprinzip nach Quantität und Qualität der Arbeit und nicht nur nach der Arbeitszeit. Lohndifferenzierungen sollten einen materiellen Anreiz zur produktiven Arbeit schaffen, aber mit der Fortentwicklung der ersten Phase der kommunistischen Gesellschaft langsam aufgehoben werden. Die verschiedenen Praxen waren Ausdruck verschiedener Einschätzungen des Entwicklungsstandes des Sozialismus.

Schauen wir uns nun genauer die Theorieelemente zu dem Dissens in einem sowjetischen Lehrbuch an.


„Der Arbeitslohn ist das ökonomische Gesetz der Verteilung nach Arbeitsleistung[...] Da die Arbeitskraft in der sozialistischen Gesellschaft keine Ware mehr ist, stellt auch der Arbeitslohn nicht den Preis der Arbeitskraft dar. Er bringt nicht eine Beziehung zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten zum Ausdruck, sondern die Beziehung zwischen der Gesellschaft als Ganzem in Gestalt des sozialistischen Staates und dem einzelnen Werktätigen, der für sich selbst, für die sozialistische Gesellschaft arbeitet.“
Autorenkollektiv, Politische Ökonomie, S. 513.


Obwohl Arbeitslohn verausgabt wird, handle es sich dabei in der Sowjetunion nicht mehr um Lohnarbeit, da der Wert der Arbeitskraft nicht mehr Regulator des Arbeitslohns ist. Regulator des Arbeitslohns ist nun unmittelbar die Produktivität des Produzenten. Der Lohn drücke auch kein Klassenverhältnis mehr aus, sondern das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft.


„Der Arbeitslohn ist eines der wichtigsten ökonomischen Instrumente, mit deren Hilfe in der sozialistischen Gesellschaft erreicht wird, daß jeder Arbeitende ein persönliches materielles Interesse an den Ergebnissen seiner Arbeit gewinnt. Wer mehr und besser arbeitet, erhält auch mehr. Dadurch wird der Arbeitslohn zu einem mächtigen Faktor für die Steigerung der Arbeitsproduktivität, bietet er die Möglichkeit, die persönlichen materiellen Interessen des Staates (des gesamten Volkes) zu verknüpfen.“
Ebd., S. 514.


„Die Lohnpolitik des Staates geht davon aus, die Entlohnung allseitig zu differenzieren. Dem sozialistischen Wirtschaftssystem ist Gleichmacherei in der Entlohnung, die die Unterschiede zwischen qualifizierter und unqualifizierter, schwerer und leichter Arbeit ignorieren, zutiefst feind. Die qualifizierte Arbeit als Arbeit höherer Qualität setzt eine bestimmte Ausbildung des Werktätigen voraus und bewirkt eine größere Produktionsleistung als die unqualifizierte Arbeit. Deshalb wird sie auch höher bezahlt als die unqualifizierte Arbeit. Dieses System der Entlohnung hält den Werktätigen dazu an, seine Qualifikation zu steigern. Innerhalb der gleichen Qualifikationsstufe wird die schwere Arbeit höher bezahlt als die weniger schwere […].“
Ebd., S. 515.


Ergo: Der differenzierte Arbeitslohn sei mitunter notwendig, um die Steigerung der Arbeitsproduktivität durch ein persönliches materielles Interesse voranzutreiben.


„Da es im Sozialismus Warenproduktion gibt und das Wertgesetz wirkt, muß der Arbeitslohn Geldform haben. Die für die Deckung des Aufwands an Arbeitskraft erforderlichen Konsumgüter werden im Sozialismus, wie bereits dargelegt, als Waren produziert und realisiert die der Wirkung des Wertgesetzes unterliegen. Da der Arbeitslohn Geldform hat, kann der Anteil jedes Werktätigen am gesellschaftlichen Gesamtprodukt in Abhängigkeit von den Ergebnissen seiner Arbeit elastisch und differenziert bestimmt werden.“
Ebd., S. 514.


Die Geldform des Arbeitslohns ist also durch die immer noch herrschende Warenproduktion in der SU vorbestimmt und ermöglicht überhaupt erst die Lohndifferenzierungen.


„Somit ist der Arbeitslohn im Sozialismus der in Geld ausgedrückte Anteil des Werktätigen an dem Teil des gesellschaftlichen Gesamtprodukts, der den Arbeitern und Angestellten in Übereinstimmung mit der Quantität und Qualität der Arbeit eines jeden vom Staat ausgehändigt wird.“
Ebd.


Auch wenn dies hier nicht explizit gesagt wird, soll dieses Lohnmodell wertgebunden sein, denn genau das bedeutet die Übereinstimmung des Anteils vom gesellschaftlichen Gesamtprodukt mit Quantität und Qualität der Arbeit. Der Lohn soll dabei nicht mehr gebunden an den Wert der Arbeitskraft sein, sondern an den individuell geschaffenen Wertanteil vom Gesamtprodukt. Wie genau die Qualität, also die konkrete Wertschöpfung (z. B. im Dienstleistungssektor) gemessen werden soll, ist leider unklar. Insgesamt wurde dieses Prinzip eher nach subjektiven Schätzungen und stärkerem oder schwächerem Willen hier oder da den materiellen Arbeitsanreiz zu verstärken umgesetzt. Eine detailgetreue Lohnausgabe nach der konkreten Wertschöpfung des einzelnen Produzenten, wie es hier theoretisch festgehalten wird, gab es in der Praxis in der Sowjetunion an keiner Stelle.

Gegenstandpunkt[Bearbeiten]

Der GSP vertritt im Kontext dieses Dissens die These, dass jede Form von Lohnsystem im Sozialismus ein falsches, individualistisches Bewusstsein unter den Produzenten fördere und unmarxistisch sei. Das Lohnsystem an sich sei im Sozialismus Ursprung für unhaltbare (Interessen-)Widersprüche. Es stehe in Widerspruch mit der Erhöhung des gesellschaftlichen Nutzens der Produktion, denn der Einzelne habe im Lohnsystem nur ein Interesse daran, möglichst einfach möglichst viel Geld zu verdienen, anstatt sich um den gesellschaftlichen Nutzen zu sorgen. Der Versuch, das fehlende gesellschaftliche Verantwortungsgefühl der Produzenten durch „sinnreiche Modifikationen des Lohns“, also materiellen Arbeitsanreiz, in bestimmten Bereichen zu bekämpfen, unterminiere schließlich die sozialistischen Verhältnisse noch weiter. Implizit stehe also alles außer Arbeitszeitrechnung in unmittelbarem Widerspruch mit der sozialistischen Idee[1].

Abgesehen davon, dass der GSP der Meinung ist, das Lohnsystem stehe allgemein in Widerspruch mit dem Sozialismus, hätte in ihm keine Berechtigung, fechtet er auch allgemein die Idee an, dass Lohndifferenzierung als produktivitätssteigerndes Element ernstzunehmend vorteilhaft wirken könne.

Von besonderer Bedeutung scheint dem GSP zu sein, dass es eben das Bewusstsein der arbeitenden Menschen braucht, selbstständig und selbstbewusst bestimmte Arbeiten aufzunehmen, bzw. mehr zu arbeiten, weil eingesehen wird, dass mit der Steigerung des gesamtgesellschaftlichen Reichtums auch der individuelle Reichtum zusammenfällt.


„Auch im ‚realen Sozialismus‘ bleibt es bei den Einwänden von Karl Marx gegen das Lohnsystem. Der Lohn ist das ökonomische Mittel dessen, der ihn zahlt.“
Ebd., S. 139.


Welcher „gesamtgesellschaftliche Arbeitgeber“ dabei unabhängig und in Widerspruch zu den Produzenten stehe, wenn doch der Staat ein proletarischer ist, bleibt hier leider unklar. Festzuhalten bleibt trotzdem die Position des GSP, die sich weniger (im Gegensatz zu Cockshott/Cottrell) auf die Umsetzbarkeit der Arbeitszeitrechnung fokussiert, als vielmehr auf die Fehlerhaftigkeit sie nicht anzuwenden: Lohnsystem und Sozialismus widersprechen sich.

KKE[Bearbeiten]

Die KKE vertritt die Position, dass in der ersten Phase der kommunistischen Gesellschaft schon die Arbeitszeit das alleinige Maß des individuellen Beitrages am Gesamtprodukt ist, nach dem verteilt wird. Demnach soll es keine „Lohn-“Unterschiede mehr in den verschiedenen Bereichen der Arbeit oder bei verschiedener Intensität der Arbeit geben. Der Arbeitsanreiz soll nicht materiell, sondern ideologisch hergestellt werden:


„Die Arbeitszeit im Sozialismus ist das Maß des individuellen Beitrages an der gesellschaftlichen Arbeit zur Produktion des Gesamtproduktes. Sie funktioniert als Maß für die Verteilung jener Produkte des individuellen Verbrauchs, die noch ‚nach der geleisteten Arbeit‘ verteilt werden.
Der Zugang zum Teil des gesellschaftlichen Produktes, das ‚nach der geleisteten Arbeit‘ verteilt wird, wird vom individuellen Arbeitsbeitrag jedes Einzelnen zur gesamtgesellschaftlichen Arbeit bestimmt, ohne dass die Arbeit in komplexe oder einfache, manuelle oder nicht-manuelle unterschieden wird. Maß des individuellen Beitrages ist die Arbeitszeit, die vom Plan auf der Grundlage der gesamten Bedürfnisse der gesellschaftlichen Produktion und der materiellen Bedingungen des Produktionsprozesses bestimmt wird. Bei der Bestimmung der Arbeitszeit werden die besonderen Bedürfnisse der gesellschaftlichen Produktion für die Konzentrierung der Arbeitskraft in Regionen, Sparten usw. berücksichtigt. Auch besondere gesellschaftliche Erfordernisse, wie die Mutterschaft, die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen und anderen Bevölkerungsgruppen werden berücksichtigt. Die individuelle Haltung gegenüber der Organisation und Realisierung des Produktionsprozesses spielt eine entscheidende Rolle bei der Arbeitsproduktivität, der Ersparnis von Rohstoffen, der Anwendung produktiverer Technologien, der rationaleren Organisation der Arbeit und der Ausübung der Arbeiterkontrolle in der Leitung und Verwaltung.
Es werden Voraussetzungen zur Herausbildung kommunistischer Vorbildhaltung bei der Organisation und der Ausführung der Arbeit im Produktionsbetrieb oder der sozialen Dienststelle geschaffen, durch die Reduzierung der rein unqualifizierten und manuellen Arbeiten, die Verringerung der Arbeitszeit in Kombination mit dem Zugang zu Fortbildungsmaßnahmen, Erholungsdienstleistungen, Kultur und Beteiligung an der Arbeiterkontrolle. Die Form der Geldanreize wird verworfen.“
KKE-Programm.


Um die Vorstellungen der KKE zusammenzufassen: Die Verteilung soll nicht nach der konkreten Produktivität des einzelnen Produzenten erfolgen. Nach den Abzügen für die gesellschaftlichen Fonds soll das gesellschaftliche Gesamtprodukt in den individuellen Anteilen der gesellschaftlich geleisteten Arbeitszeit verteilt werden. Hätten wir also ein gesellschaftliches Gesamtprodukt X für das 1000 Stunden Arbeit aufgewandt werden müssen, hätte der Produzent, nach den Abzügen für die gesellschaftlichen Fonds, ganz gleich welcher gesellschaftlich nützlichen Arbeit er nachgegangen ist, nach einer Stunde Arbeit, das Anrecht auf ein Tausendstel des gesellschaftlichen Gesamtprodukts. Das Wachstum der Menge an Gütern, die der Einzelne für eine Stunde Arbeit in Anspruch nehmen könnte, ist dann nur noch an das Wachstum der Volkswirtschaft gekoppelt. Der Teil, der noch nach geleisteter Arbeit verteilt wird, soll in der Entwicklung zum Kommunismus immer kleiner werden, bis schließlich nur noch für gesellschaftliche Fonds produziert wird und sich daraus jeder frei nehmen kann, frei nach seinen Bedürfnissen. Diesem Prozess soll eine intensive ideologische Arbeit zugrunde liegen – die Massen müssen ein Verantwortungsgefühl der Gesellschaft gegenüber entwickeln, was sie zur Arbeit antreibt. Materielle Arbeitsanreize sind ausgeschlossen.

Inwiefern ein rein ideologischer Arbeitsanreiz schon unmittelbar nach der Revolution genutzt werden kann, ohne dass die Produktivität bedeutend nachlässt, muss im Rahmen des Klärungsprozesses anhand historischer Beispiele, aber auch möglicher zukünftiger Kontexte analysiert werden. Gleiches gilt für die gleiche Entlohnung verschiedener Arten von Arbeit. Würde etwa besonders anstrengende, verantwortungsvolle oder ekelige Arbeit ausreichend geleistet werden, wenn es an dem Anteil des Einzelnen nichts ändert?

Cockshott/Cottrell[Bearbeiten]

In dem Buch Alternativen aus dem Rechner stellen die beiden Schotten W. Paul Cockshott und Allin Cottrell ein umfassendes Modell dar, wie bei gegebenen technischen Voraussetzungen eine sozialistische Ökonomie zu organisieren sei. Das Eindringen von Marktmechanismen in sozialistische Länder und den Zusammenbruch des realen Sozialismus reflektierend, bauen sie ihre Vision einer Organisierung der Ökonomie rein auf der Basis der Arbeitszeitrechnung. Anstatt Geld werden den Menschen Zeiteinheiten (auf einer „Arbeitskreditkarte“) gutgeschrieben, die personifizierbar sind und nicht zirkulieren können. Die Güter werden auf der Basis der in ihnen enthaltenen Arbeit verteilt, mit entsprechenden Abzügen bei den Arbeitsguthaben[2]. Wie in der Vorstellung der KKE soll hier also schnellstmöglich nach der Revolution eine Ökonomie installiert sein, die auf der Arbeitszeitrechnung basiert, also der individuelle Anteil am Gesamtprodukt vornehmlich aus dem individuellen Anteil der Arbeitszeit errechnet werden, die zur Herstellung des Gesamtproduktes notwendig war.

In dem Falle, dass unliebsame Arbeit nicht gemacht werden möchte, bzw. Arbeitskräfte mit bestimmten Ausbildungen fehlen, könne man moralische Überzeugungsarbeit leisten oder die Arbeitsbedingungen und die Art der Arbeit verbessern, sonst ggf. die Tätigkeit vorerst einstellen. Die letzte Option ist es Anreize dafür zu zahlen, die unliebsame Arbeit zu machen. Letzteres wird bei Cockshott und Cottrell zwar als (Notfall-)Option genannt, die über leicht erhöhte Steuern der anderen Produzenten ausgeglichen werden könnte, sie warnen jedoch streng vor den dazugehörigen Konsequenzen; Entwertung der „Stunde“ und Einkommenssenkung der breiten Massen[3].

Den Arbeitsanreiz an sich zu erhöhen, ließe sich jedoch neben ideologischer/moralischer Arbeit nach Cockshott/Cottrell auch durch ein nicht-wertgebundenes allgemeines ökonomisches System der Arbeitsbewertung bewerkstelligen lassen. Zum Beispiel könnte es drei Kategorien der Arbeit geben, A, B und C, wobei B die durchschnittliche Produktivität bedeutet, A über dem Durchschnitt und C unter dem Durchschnitt. [...] Wichtig ist, dass diese Bewertungen nichts mit dem Niveau der Bildung oder der Ausbildung zu tun haben, sondern ausschließlich mit der Produktivität des Arbeiters relativ zur durchschnittlichen Produktivität seines oder ihres Berufs oder Gewerbes. [...] Die Bezahlung müsste in solchen Proportionen festgelegt werden, dass die Gesamtsumme der Arbeitsanleihen der Gesamtsumme der geleisteten Arbeitsstunden entspricht[4].

Das Buch liefert zweifelsohne die detailliertesten Ausführungen eines möglichen Systems der Arbeitszeitrechnung. Ihre Vorstellungen zur Distribution zu prüfen muss daher Bestandteil des Klärungsprozesses sein.

Weitere Fragen[Bearbeiten]

Wenn von einem System der Lohnstaffelung ausgegangen wird, stellt sich in der Praxis natürlich die Frage, nach welchen Kriterien die Lohnpyramide geordnet sein soll. Die Debatten der letzten Jahre auf Kuba legen das Problem offen. Das kubanische Lohnsystem wurde bis vor einigen Jahren mit dem Schlagwort "umgekehrte Lohnpyramide" charakterisiert. Damit war gemeint, dass besonders harte Arbeiten höher entlohnt wurden als Arbeiten mit viel Verantwortung. Demnach hat der Feldarbeiter, der den ganzen Tag harte körperliche Arbeit in der prallen Sonne verrichten musste, mehr bekommen als z. B. die Arbeiter im Büro. Diese Lohnpyramide wurde inzwischen wieder umgedreht, bspw. um mehr Menschen den Anreiz zu geben, Medizin zu studieren und Arzt zu werden.

Eine weitere Frage, die sich uns stellt, ist also die, ob, falls man denn von der Notwendigkeit einer Lohnstaffelung ausgeht, die Entlohnung nach der Härte bzw. Unliebsamkeit der Arbeit oder nach der Höhe der Qualifikation gestaffelt sein soll – oder nach beidem.

Bezug Dissens – Grundannahmen[Bearbeiten]

Um diesen Dissens zu bearbeiten, schauen wir uns folgende Grundannahmen an.


„Die jedesmalige Verteilung der Konsumtionsmittel ist nur Folge der Verteilung der Produktionsbedingungen selbst. Die kapitalistische Produktionsweise z.B. beruht darauf, daß die sachlichen Produktionsbedingungen Nichtarbeitern zugeteilt sind unter der Form von Kapitaleigentum und Grundeigentum, während die Masse nur Eigentümer der persönlichen Produktionsbedingung, der Arbeitskraft, ist. Sind die Elemente der Produktion derart verteilt, so ergibt sich von selbst die heutige Verteilung der Konsumtionsmittel. Sind die sachlichen Produktionsbedingungen genossenschaftliches Eigentum der Arbeiter selbst, so ergibt sich ebenso eine von der heutigen verschiedne Verteilung der Konsumtionsmittel. Der Vulgärsozialismus (und von ihm wieder ein Teil der Demokratie) hat es von den bürgerlichen Ökonomen übernommen, die Distribution als von der Produktionsweise unabhängig zu betrachten und zu behandeln, daher den Sozialismus hauptsächlich als um die Distribution sich drehend darzustellen. Nachdem das wirkliche Verhältnis längst klargelegt, warum wieder rückwärtsgehn?“
Marx, Kritik des Gothaer Programms, MEW Bd. 19, S. 22.


Die Verteilung ist der Produktion also untergeordnet und von ihr bestimmt. Die Gesellschaft kann nicht willkürlich diese oder jene Form der Verteilung wählen. Jeder Produktionsweise entspricht ihre spezielle Verteilungsweise der Produkte.


„Die Produktionsmittel sind [in der ersten Phase der kommunistischen Gesellschaft, Anm. KO] schon nicht mehr Privateigentum einzelner Personen. Die Produktionsmittel gehören der ganzen Gesellschaft. Jedes Mitglied der Gesellschaft leistet einen gewissen Teil gesellschaftlich notwendiger Arbeit und erhält von der Gesellschaft einen Schein darüber, dass es ein gewisses Quantum Arbeit geliefert hat. Auf diesen Schein erhält es ein entsprechendes Quantum Produkte aus den gesellschaftlichen Vorräten an Konsumtionsmitteln. Nach Abzug des Arbeitsquantums, das für die gemeinschaftlichen Fonds bestimmt ist, erhält jeder Arbeiter also von der Gesellschaft so viel zurück wie er ihr gegeben hat.
Es herrscht gewissermaßen ‚Gleichheit‘.
[…]Indes sind die einzelnen Menschen nicht gleich: Der eine ist stärker, der andere schwächer; der eine ist verheiratet, der andere nicht; der eine hat mehr Kinder als der andere usw.“
Lenin, Staat und Revolution, Lenin Werke Bd. 25, S. 479.


In der ersten Phase der kommunistischen Gesellschaft gibt es also schon kein Privateigentum mehr.

Die Distribution findet in der ersten Phase der kommunistischen Gesellschaft schon nicht mehr vermittels Geld, sondern über Arbeitsscheine statt. [Sie kann dadurch nicht wertgebunden sein, denn es ist weder der konkret geschaffene Wert noch der Wert der Ware Arbeitskraft der die Höhe des Anteils am Gesamtprodukt bestimmt, sondern eben der Anteil der individuellen Arbeitszeit an der gesamtgesellschaftlichen, Anm. KO].

Der Arbeiter bekommt nicht den unverkürzten Arbeitstag ausgezahlt, sondern ein gewisser Teil des Arbeitsquantums ist für gemeinschaftliche Fonds bestimmt.

Durch dieses „Leistungsprinzip herrscht Gleichheit im bürgerlichen Sinne, also ohne Rücksicht auf die spezifischen Eigenarten der jeweiligen Menschen.


„Wir streben die gleiche Entlohnung für jede Arbeit und den vollendeten Kommunismus an, doch können wir uns keinesfalls die Aufgabe stellen, diese Gleichheit im gegenwärtigen Augenblick, da lediglich die ersten Schritte zum Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus getan werden, unverzüglich zu verwirklichen. Darum ist es notwendig, den Spezialisten für eine gewisse Zeit eine höhere Bezahlung zu belassen, damit sie nicht schlechter, sondern besser arbeiten als früher; und aus eben diesem Grunde kann auch nicht auf ein System von Prämien für die erfolgreichste Arbeit und besonders für organisatorische Arbeit verzichtet werden; Prämien werden im System des vollendeten Kommunismus unzulässig sein, aber in der Übergangsepoche vom Kapitalismus zum Kommunismus kann man ohne Prämien nicht auskommen, wie das sowohl theoretische Erwägungen als auch die einjährige Erfahrung der Sowjetmacht zeigen.“
Lenin, Entwurf des Programms der KPR(B), Lenin Werke Bd. 29, S. 98.


In der ersten Phase ist also ein System von Prämien für die erfolgreichste Arbeit und besonders für organisatorische Arbeit noch notwendig. Im vollendeten Kommunismus werden Prämien unzulässig sein. In Lenins Schriften lässt sich dabei eine Entwicklung beobachten, wie sie auch in seinen beiden letzten, hier vorgeführten Zitaten beispielhaft zu fassen ist. Vor der Oktoberrevolution schrieb er noch von einer unmittelbar einzusetzenden, direkten Arbeitszeitrechnung im Sozialismus. Nach den ersten Erfahrungen im Aufbau des Sozialismus revidierte er seine Position dahingehend, dass in der ersten Phase nicht nur nach der Arbeitszeit, sondern auch nach der Qualität der Arbeit verteilt werden müsste, da ein materieller Arbeitsanreiz noch notwendig sei.

Beim Studium der Klassikertexte herrscht zudem teilweise Unklarheit darüber, was mit „Leistung“ gemeint ist. Ist damit schlicht die verausgabte Arbeitszeit gemeint oder auch die Qualität ihrer Arbeit? In den weiter unten dargestellten Auffassungen von Vertretern verschiedener Positionen zu diesem Dissens lassen sich mitunter diese verschiedenen Lesarten als Grundlage erkennen. Schon in der Schrift Kritik des Gothaer Programms von Marx lässt sich die Unklarheit darüber erahnen:


„Was er ihr gegeben hat, ist sein individuelles Arbeitsquantum. Z. B. der gesellschaftliche Arbeitstag besteht aus der Summe der individuellen Arbeitsstunden. Die individuelle Arbeitszeit des einzelnen Produzenten ist der von ihm gelieferte Teil des gesellschaftlichen Arbeitstags, sein Anteil daran.“
Marx, Kritik des Gothaer Programms, MEW Bd. 19, S. 20.


Die Arbeitszeit soll hier das alleinige Maß des Anteils am Gesamtprodukt sein.


„Das Recht der Produzenten ist ihren Arbeitslieferungen proportionell; die Gleichheit besteht darin, daß an gleichem Maßstab, der Arbeit, gemessen wird. Der eine ist aber physisch oder geistig dem andern überlegen, liefert also in derselben Zeit mehr Arbeit oder kann während mehr Zeit arbeiten; und die Arbeit, um als Maß zu dienen, muß der Ausdehnung oder der Intensität nach bestimmt werden, sonst hörte sie auf, Maßstab zu sein.“
Marx, Kritik des Gothaer Programms, MEW Bd. 19, S. 20 f.


Hier soll auch die Intensität der Arbeit als Maß gelten.

Marx macht hier mit einer kurzen Formulierung aber bereits den Konflikt auf. [D]ie Arbeit, um als Maß zu dienen, muß der Ausdehnung oder der Intensität nach bestimmt werden [...][5]. Wenn im Sozialismus nicht mehr der Wert der Ware Arbeitskraft ausschlaggebend für den Anteil am Gesamtprodukt ist, kann es nur die Arbeit nach ihrer Ausdehnung oder Intensität sein.

An dieser Stelle stellt sich für uns die Frage, inwieweit sich Arbeitszeitrechnung und der Faktor der Qualität der Arbeit (Intensität) widersprechen.

Arbeitsschritte[Bearbeiten]

Zu Beginn müssen wir festhalten, dass sich die Verteilungsweise maßgeblich aus der Produktionsweise herleitet; ein Aufbauen auf den Schlussfolgerungen der Auseinandersetzung mit dem Dissens zu Plan, Markt und Wertgesetz ist also maßgeblich.

Unser Theoriegerüst zu dieser Frage muss zu Beginn der Auseinandersetzung verbreitert werden. Die verschiedenen Auffassungen müssen weiter aufgeschlüsselt, deren Grundannahmen und Argumentationslinien, aber auch Begriffsdefinitionen (wie die zum Lohn) herausgearbeitet werden. Es ist nur bedingt möglich, die Breite der Positionen in der historischen Praxis zu prüfen, da etwa eine – auf Computertechnik basierende – planwirtschaftliche Arbeitszeitrechnung wie sie sich Cottrell und Cockshott vorstellen, noch nicht ausgereift existiert hat. Die Praxis des differenzierten Lohnsystems in Sowjetunion, DDR, usw., des Arbeitspunktesystems in den Volkskommunen in China, der Stachanow-Bewegung in der Sowjetunion und CyberSyn in Chile können uns jedoch als Referenzpunkte dienen, aus dessen Analyse wir auf die Bewusstseinsentwicklung der breiten Massen, die praktische Umsetzbarkeit und die Produktivität des jeweiligen Systems – zumindest in Ansätzen – schließen können. Die unterschiedlichen Theoriemodelle müssen schließlich an diesen Erfahrungen geprüft werden. Der letzte Schritt im Klärungsprozess muss sein, auf Basis der angehäuften Schlussfolgerungen und einer gründlichen Analyse der ökonomischen und gesellschaftspolitischen Voraussetzungen in Deutschland, ein Modell zur sozialistischen Verteilungsweise eines zukünftigen Sozialismus in Deutschland zu entwerfen. Die Voraussetzungen in Deutschland werden in Kooperation mit den AGen „Deutscher Imperialismus“ und „Klassenanalyse“ erarbeitet.

Bezugnahme Dissens – unsere Behauptungen[Bearbeiten]

In den Dissens zur Distribution treten wir gänzlich ohne kollektiven Diskussionsstand. Einzig und allein die gesellschaftliche Kontrolle der Verteilung ist in den Programmatischen Thesen festgehalten. Durch gesellschaftliche Planung der Produktion und Verteilung und unter gesellschaftlicher Kontrolle werden so die materiellen und kulturellen Grundlagen für die klassenlose Gesellschaft, den Kommunismus geschaffen.

Literatur[Bearbeiten]

  • Autorenkollektiv: Politische Ökonomie. Lehrbuch, Berlin, 1955.
  • Cockshott, Paul W. / Cottrell, Allin: Alternativen aus dem Rechner. PapyRossa Verlag, Köln, 2012
  • Decker, Peter / Held, Karl: DDR kaputt- Deutschland ganz. Eine Abrechnung mit dem „realen Sozialismus“ und dem Imperialismus deutscher Nation, München, 1989.
  • Lenin: Staat und Revolution, Lenin Werke Bd. 25
  • Lenin: Entwurf des Programms der KPR(B), Lenin Werke Bd. 29
  • Marx: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie. MEW Bd. 42
  • Marx: Kritik des Gothaer Programms, MEW Bd. 19

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. Vgl. Decker/Held (1989), S. 132 f.
  2. Cockshott/Cottrell (2012), S. 46.
  3. Vgl. Ebd., S. 56.
  4. Ebd., S. 58.
  5. Marx