Dissens Begriff Materie: Unterschied zwischen den Versionen

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Bayertz, Kurt: Wissenschaft als historischer Prozess, die antipositivistische Wende in der Wissenschaftstheorie. Fink, München 1980 (Promotion).
  
 
Ernst, Gernot/Heinz, Andreas: Die widerspenstige Materie, Neues aus der Naturwissenschaft und Konsequenzen für linke Theorie und Praxis, Stuttgart 2013.
 
Ernst, Gernot/Heinz, Andreas: Die widerspenstige Materie, Neues aus der Naturwissenschaft und Konsequenzen für linke Theorie und Praxis, Stuttgart 2013.

Version vom 4. Januar 2019, 11:25 Uhr

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Einleitung[Bearbeiten]

Kommunisten verstehen sich als Materialisten. Damit ist nicht irgendein Materialismus gemeint, sondern historisch-dialektischer Materialismus. Das gilt nicht unbedingt für „Marxisten“, wobei wir im Rahmen des kommunistischen Klärungsprozesses noch werden eine genauere Trennlinie zwischen „Marxisten“ und Kommunisten ziehen müssen, um die allgemeine Verwirrung, was denn eigentlich der „Marxismus“ sei, soweit wie möglich aufzuheben. Die Identifikation mit dem historisch-dialektischen Materialismus entbindet aber die Kommunisten nicht von der Aufgabe ihre eigenen Begriffe zu schärfen und sich Klarheit über deren Inhalte zu verschaffen. Dazu gehört es auch die unterschiedlichen Auffassungen zu kennen, auf ihre Stichhaltigkeit zu überprüfen, mit unseren Grundannahmen abzugleichen und zu tieferen Einsichten zu kommen. Was den Materialismus angeht, können wir feststellen, dass sich vor allem anhand der Fragestellung, was überhaupt unter Materie zu verstehen sei, sich bis heute unterschiedliche Positionen und Fragen herausgebildet haben. Allgemeine Fragen, an denen sich der Dissens zum Begriff Materie entzündet sind: Ist Materie eine Kategorie für rein stoffliche Phänomene oder ist Materie ein philosophischer Begriff für die objektive Realität überhaupt? Vorausgesetzt er sei ein philosophischer Begriff, kann auch unser Bewusstsein, das Denken, unsere Empfindungen etc. darin eingeschlossen sein? Und: kann es etwas geben, was nicht unter dem Begriff der Materie im dialektisch- materialistischem Sinne zu fassen ist?
 Wiederum davon ausgehend, dass der philosophische Begriff für die objektive Realität, Materie, richtig sei, hat diese Begriffsbildung zur Folge, dass Materie von seiner Stofflichkeit entbunden werden kann? Wenn ja, welche Eigenschaften und Beschaffenheiten schreiben wir einer nicht-stofflichen Materie zu? Wie können wir z.B. Denkbewegung, Bewusstsein, Emotionen fassen, begreifen?

Materie als Gegenpol zu Bewusstsein[Bearbeiten]

Unter der Prämisse, Materie sei eine philosophische Kategorie für die objektive Realität, wird darüber gestritten, ob darin das Bewusstsein eingeschlossen werden kann oder nicht. In jüngster Zeit hat sich hierüber eine Auseinanderetzung in der Zeitschrift für dialektische Philosophie „Aufhebung“ eine Diskussion zwischen Renate Wahsner, Thomas Metscher und Wolfgang Schmidt entzündet [1]. Wahsner plädiert für eine Entgegensetzung von Bewusstsein und Materie. Thomas Metscher wirft ihr einen dualistischen Ansatz vor und verweist dabei auf Karl Marx’ Ausführungen zum Arbeitsprozess im ersten Band des Kapitals, worin Marx den Stoffwechsel zwischen (Natur-)mensch und Natur, als historischen-dialektischen Prozess der Entwicklung des Bewusstseins beschreibt. Wolfgang Schmidt kritisiert Wahsners Entgegensetzung von „Denken“ und „Materie“ als einen von vornherein dem „weltanschaulichen Grundsatz des Materialismus überhaupt“ widersprechenden Ansatz, der nicht von der „Einheit der Welt in ihrer Materialität“ ausgeht.

Eigenschaften der Materie[Bearbeiten]

Die philosophische Frage nach den Eigenschaften der Materie wird insbesondere in Zusammenhang mit der Physik aufgeworfen. Auf einer allgemeinen Ebene geht es hier um Fragen der Unendlichkeit und der Stofflichkeit der Materie. "Die objektive Realität ist in ihren Objekten, Prozessen und Beziehungen unerschöpflich. Materielle Objekte, Prozesse und Beziehungen unterliegen einem ewigen quantitativen und qualitativen Formenwandel. Bewegung ist die Daseinsweise der Materie; diese ist von ihrer Bewegung in Raum und Zeit, den Existenzformen der Materie, nicht zu trennen. Aus der Unerschöpflichkeit der Materie folgt die Existenz objektiver Zufälle. Das sind objektive Beziehungen zwischen verschiedenen Ereignissen, die ihren Grund nicht in den wesentlichen inneren Bedingungen der Ereignisse haben. [...] Das Prinzip der Unerschöpflichkeit der Materie bringt den erkenntniskritischen Charakter materialistischer Dialektik mit der Forderung zum Ausdruck, keine endgültigen Wahrheiten über die Materiestruktur, d. h. die Gesamtheit der Struktur-, Bewegungs- und Entwicklungsformen von Materiearten anzuerkennen." [2] Eigenschaft der Materie (Unerschöpflichkeit / Unendlichkeit / Formwandlung) und Begriff der Materie durch materialistische Dialektik zusammenzubringen, scheint hier eingefordert zu werden. Es wird bis heute darum gerungen, diesen Anspruch mit den konkreten naturwissenschaftlichen Erkenntnissen zu verbinden.

Der Streit um die Haltbarkeit der Urknalltheorie ist ein Beispiel hierfür. Verschiedene Wissenschaftler mit dem Anspruch den dialektischen Materialismus konsequent zu Ende zu denken, lehnen die so genannte „Urknalltheorie“ als alternative Schöpfungsthese ab. Diese Theorie würde der These der Unendlichkeit und Selbstbewegung und damit Selbstorganisation der Materie widersprechen. Zu nennen wären hier z.B. Alfred Kosing und Erich Hahn in den 80er Jahren, die in der DDR-Akademie führende Positionen einnahmen, wie Alan Woods und Ted Grant Anfang des zweiten Jahrtausends, die der trotzkistischen Strömung zuzurechnen sind und Christian Jooß, der dem Kreise der maoistisch orientierten MLPD zugeordnet werden kann, ganz aktuell. Die Autoren gehen allesamt auf die neuesten Entwicklungen der „Urknall“-Theorie ein und halten an der Kritik und Ablehnung dieser Theorie fest.
 Hinsichtlich der Frage nach den Eigenschaften der Materie gibt es desweiteren Kritik an der Allgemeinen Relativitätstheorie trotz der Anerkennung der „genialen dialektische Synthese und Antwort auf Unzulänglichkeiten und Probleme der Newton’schen klassischen Mechanik und Gravitationslehre.“ durch Einstein, so z.B. Jooß. (Jooß 2017, S.174) Dabei stellt Jooß eine Konkretisierung der Thesen von Woods/Grant auf, die in der Allgemeinen Relativitätstheorie von Einstein die Möglichkeit idealistischer Antworten auf die Frage was Zeit und Materie sind, sehen. Sie versuchen das anhand von Beispielen in der Geschichte und Gegenwart der Physik nachzuweisen, so auch Jooß.

Bezug zu unseren Grundannahmen[Bearbeiten]

Aus unserer bisherigen Erschließung / Aneignung der Werke der Klassiker haben wir folgende Kernaussagen herausgefiltert, die mit den entsprechenden Zitaten unter unseren Grundannahmen zum Begriff der Materie zu finden sind:

Materie ist ein philosophischer Begriff für die objektive Realität.

Materie existiert unabhängig vom Bewusstsein

Bewegung ist nicht zerstörbar, damit ist also Materie auch nicht zerstörbar.

Die Nicht-Zerstörbarkeit ist nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ zu fassen.

Bewegung wird aus der Materie selbst erzeugt, weil Materie in sich Dynamis und Energeia besitzt.

Die Erde ist durch Bewegungsumwandlungen der bestehenden Materie — sozusagen auf natürlichem Wege und ohne äußere Einwirkung i.S. eines Schöpfers — entstanden.

Die Bewegungsverwandlungen der Materie verlaufen „mehr oder weniger zufällig, aber mit der auch dem Zufall inhärenten Notwendigkeit.“

Wie wollen wir den Dissens bearbeiten?[Bearbeiten]

Die Klärung des Dissens zum Begriff der Materie muss auf verschiedenen Ebenen stattfinden. Eine davon ist die Ebene der Begriffsklärung. Was also meint die philosophische Kategorie Materie? Unerlässlich ist hier die Aneignung der Klassikertexte und in diesem Zusammenhang die darauf aufbauende Auseinandersetzung. Auch hier gilt es die Wissenschaftsgeschichte erst einmal zu erschließen. Eine der Hauptwerke, die wir zu diesem Zwecke heranziehen sollten, ist die erst nach der Konterrevolution veröffentlichte Arbeit "Dialektik der Natur und der Naturerkenntnis" von Hörz / Röseberg. Der Anspruch der Herausgeber war die Engels'sche "Dialektik der Natur" auf die neuesten Erkenntnisse der Naturwissenschaft anzuwenden und fortzuschreiben.

Eine weitere Ebene der Klärung, die wir leisten wollen, ist die tatsächliche Erschließung der aktuellen Debatten, die vor allem, aber nicht ausschließlich im naturwissenschaftlichem Bereich geführt werden. Das ist als Aufruf an diejenigen zu verstehen, die in der Naturwissenschaft arbeiten, studieren oder eine besondere Affinität zu den Naturwissenschaften haben.

Literatur zum Thema[Bearbeiten]

Bayertz, Kurt: Wissenschaft als historischer Prozess, die antipositivistische Wende in der Wissenschaftstheorie. Fink, München 1980 (Promotion).

Ernst, Gernot/Heinz, Andreas: Die widerspenstige Materie, Neues aus der Naturwissenschaft und Konsequenzen für linke Theorie und Praxis, Stuttgart 2013.

Jooß, Christian: Selbstorganisation der Materie, Dialektische Entwicklungstheorie von Mikro- und Makrokosmos, Essen 2017.

Hahn, Erich / Kosing, Alfred: Marxistisch-leninistische Philosophie, geschrieben für die Jugend, Berlin 1984.

Hörz, Herbert / Röseberg, Ulrich: Dialektik der Natur und der Naturerkenntnis, Leipzig 2013, URL: http://www.max-stirner-archiv-leipzig.de/dokumente/Hoerz-Roeseberg-Dialektik.pdf (zuletzt abgerufen am 29.12.18).

Klaus, Georg / Buhr, Manfred: Philosophisches Wörterbuch Band 2, Berlin 1971.

Metscher, Thomas: Zwei Anmerkungen zu Renate Wahsners "Bemerkungen zum Materiebegriff", in: Aufhebung Zeitschrift für dialektische Philosophie 11/2018, Berlin 2018.

Schmidt, Wolfgang: Adieu Materie - Materialismus Adieu. Statt einer Replik, in: Aufhebung Zeitschrift für dialektische Philosophie 11/2018, Berlin 2018.

Wahsner, Renate Bemerkungen zum Materiebegriff, in: Aufhebung Zeitschrift für dialektische Philosophie 10/2017, Berlin 2017.

Woods, Alan / Grant, Ted: Aufstand der Vernunft, Marxistische Philosophie und moderne Wissenschaft, Wien 2002.

Zweiling, Klaus: Der Leninsche Materiebegriff und seine Bestätigung durch die moderne Atomphysik, in der Reihe: Bibliothek des Propagandisten, Dialektischer und Historischer Materialismus, Heft 7, Dietz-Verlag 1958.

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. Aufhebung, Zeitschrift für dialektische Philosophie 10/2018 und 11/2018
  2. Hörz, Herbert / Röseberg, Ulrich: Dialektik der Natur und der Naturerkenntnis, Leipzig 2013, S.29