„Antinationale“ Staatskritik: Unterschied zwischen den Versionen

(Thesen und Positionen)
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Natürlich sind die Interessen der Klassen innerhalb einer Nation gegensätzlich. Für die Arbeiter eines Landes sind die Kapitalisten desselben Landes nicht nur irgendwelche Gegner, sondern ihre unmittelbaren, größten Gegner. Ein Allgemeininteresse der Nation kann es deshalb nicht geben, im Gegensatz übrigens zur Vorstellung des GSP, der, wie der bürgerliche Nationalismus, genau dieses „Allgemeinwohl“ als reale Zielgröße der bürgerlichen Politik annimmt. Die Grenze zum Nationalismus liegt nämlich genau da, wo das imaginäre Allgemeinwohl der Nation, das in Wirklichkeit das Interesse der herrschenden Klasse ist, zum übergeordneten Ziel erklärt wird. Insofern hat der GSP auch durchaus Recht damit, dass der faschistische Nationalismus eine Variante des in der bürgerlichen Gesellschaft angelegten Nationalismus ist, […] Denn der nationale Staat beruht auf der Kapitalakkumulation, weshalb die Unterordnung aller entgegengesetzten Klasseninteressen unter dieses Ziel tatsächlich eine naheliegende und häufige Forderung bürgerlicher Politik ist. Der Fehler des GSP liegt eben an anderer Stelle, nämlich in seiner üblichen Methode, jedes soziale Phänomen, so auch die Nation, außerhalb seiner Geschichte und nur unter Betrachtung eines seiner Aspekte zu betrachten.|}}  
 
Natürlich sind die Interessen der Klassen innerhalb einer Nation gegensätzlich. Für die Arbeiter eines Landes sind die Kapitalisten desselben Landes nicht nur irgendwelche Gegner, sondern ihre unmittelbaren, größten Gegner. Ein Allgemeininteresse der Nation kann es deshalb nicht geben, im Gegensatz übrigens zur Vorstellung des GSP, der, wie der bürgerliche Nationalismus, genau dieses „Allgemeinwohl“ als reale Zielgröße der bürgerlichen Politik annimmt. Die Grenze zum Nationalismus liegt nämlich genau da, wo das imaginäre Allgemeinwohl der Nation, das in Wirklichkeit das Interesse der herrschenden Klasse ist, zum übergeordneten Ziel erklärt wird. Insofern hat der GSP auch durchaus Recht damit, dass der faschistische Nationalismus eine Variante des in der bürgerlichen Gesellschaft angelegten Nationalismus ist, […] Denn der nationale Staat beruht auf der Kapitalakkumulation, weshalb die Unterordnung aller entgegengesetzten Klasseninteressen unter dieses Ziel tatsächlich eine naheliegende und häufige Forderung bürgerlicher Politik ist. Der Fehler des GSP liegt eben an anderer Stelle, nämlich in seiner üblichen Methode, jedes soziale Phänomen, so auch die Nation, außerhalb seiner Geschichte und nur unter Betrachtung eines seiner Aspekte zu betrachten.|}}  
  
Typisch für die „Antinationalen“ ist neben den hier bereits aufgezählten Punkten eine einseitige Auffassung des Kapitalismus als „automatisches Subjekt“ (die Formulierung geht auf Marx zurück), dem sowohl Bourgeoisie als auch Proletariat gleichermaßen hilflos unterworfen sind. Die Skandalisierung der Bereicherung und der „Gier“ der Kapitalisten wird als „strukturell antisemitisch“ diffamiert, der Begriff der Ausbeutung als Wesen der kapitalistischen Produktionsweise in der Regel nicht verwendet bzw. als angeblich rein moralisch verworfen. Der Staat erscheint aus dieser Sichtweise entweder als leidenschaftsloses Herrschaftsinstrument des „automatischen Subjekts“, oder als eigenständiges ökonomisches Subjekt zwischen bzw. über den Klassen (siehe: [[Staatsableitung, der Staat als Subjekt und Poulantzas Kritik an der Staatsableitung]]), anstatt als [[Grundannahmen_Staat#.E2.80.9EDiktatur_der_Bourgeoisie.E2.80.9C:_Der_b.C3.BCrgerliche_Staat_als_Herrschafts-_und_Machtinstrument_des_Kapitals|Unterdrückungsapparat der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse]].  
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Typisch für die „Antinationalen“ ist neben den hier bereits aufgezählten Punkten eine einseitige Auffassung des Kapitalismus als „automatisches Subjekt“ (die Formulierung geht auf Marx zurück), dem sowohl Bourgeoisie als auch Proletariat gleichermaßen hilflos unterworfen sind. Der Staat erscheint aus dieser Sichtweise entweder als leidenschaftsloses Herrschaftsinstrument des „automatischen Subjekts“, oder als eigenständiges ökonomisches Subjekt zwischen bzw. über den Klassen (siehe: [[Staatsableitung, der Staat als Subjekt und Poulantzas Kritik an der Staatsableitung]]), anstatt als [[Grundannahmen_Staat#.E2.80.9EDiktatur_der_Bourgeoisie.E2.80.9C:_Der_b.C3.BCrgerliche_Staat_als_Herrschafts-_und_Machtinstrument_des_Kapitals|Unterdrückungsapparat der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse]].  
  
 
Weit verbreitet ist außerdem die der Frankfurter Schule entlehnte These, die Arbeiter seien einem undurchdringbaren „Verblendungszusammenhang“ durch „Warenfetisch“ (Marx) und „Kulturindustrie“ (Adorno) unterworfen. Damit kapitulieren die Antinationalen im ideologischen Klassenkampf, bevor sie ihn überhaupt begonnen haben und ziehen sich theoretisch auf das Terrain der rein akademischen Ideologiekritik zurück, während sie sich praktisch in ihren elitären und hermetisch abgeschlossenen Szene-Biotopen („Freiräumen“) vom Rest der Gesellschaft isolieren.
 
Weit verbreitet ist außerdem die der Frankfurter Schule entlehnte These, die Arbeiter seien einem undurchdringbaren „Verblendungszusammenhang“ durch „Warenfetisch“ (Marx) und „Kulturindustrie“ (Adorno) unterworfen. Damit kapitulieren die Antinationalen im ideologischen Klassenkampf, bevor sie ihn überhaupt begonnen haben und ziehen sich theoretisch auf das Terrain der rein akademischen Ideologiekritik zurück, während sie sich praktisch in ihren elitären und hermetisch abgeschlossenen Szene-Biotopen („Freiräumen“) vom Rest der Gesellschaft isolieren.

Version vom 19. November 2019, 15:40 Uhr

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Worum geht es?[Bearbeiten]

„Antinationale“ kritisieren den bürgerlichen Nationalismus nicht vor allem als Integrations- oder Spaltungsideologie, die der Bourgeoisie einerseits zur Einbindung von Teilen der Arbeiterklasse und andererseits zur Aufhetzung der Arbeiter gegeneinander und zur Mobilisierung der Massen für den imperialistischen Krieg nutzt. Die „antinationale“ Kritik an Staat und Nation kritisiert diese Phänomene der bürgerlichen Gesellschaft nicht aufgrund ihres konkreten Klasseninhalts und ihrer konkreten Herrschaftsfunktion im Kapitalismus, sondern als abstrakte Dinge an sich. Für „Antinationale“ ist jede Identifikation mit einem „nationalen Kollektiv“ grundsätzlich reaktionär, unabhängig von dessen konkretem Klasseninhalt. Sie lehnen sowohl die Identifikation mit einer sozialistischen Nation (z.B. in Kuba, der Sowjetunion oder der DDR), als auch den Befreiungsnationalismus der meisten antiimperialistischen Bewegungen ab (von einzelnen Ausnahmen abgesehen). An Stelle eines proletarischen Internationalismus propagieren sie eine „antinationale Solidarität“.

Geschichte[Bearbeiten]

Die Gruppen, die sich heute in Deutschland als „antinational“ bezeichnen, gehören meist der selbsternannten „linksradikalen“ autonomen bzw. „post-autonomen“ Szene an. Diese geht auf die Tradition der antiautoritären „Spontis“ der 1970er, die italienische „Autonomia Operaria“ und der deutschen „Jugendrevolte“ und Hausbesetzerszene der 1980er, sowie der Autonomen Antifa der 1990er Jahre zurück. Theoretisch waren die Autonomen immer anarchistisch beeinflusst, in der Praxis setzten sie vor allem auf militante Aktionen und die „Propaganda der Tat“ (siehe: Anarchistische Staatskritik). Im Zuge der Spaltung der Antifa-Szene in Antiimperialisten und „Antideutsche“ entstand mit letzterer um 1989/90 eine Strömung, die die theoretische Kritik des Nationalismus zu einem ihrer wichtigsten Themen erhob (was sie nicht daran hinderte, für Solidarität mit dem Nationalstaat Israel einzutreten).

Heute sind die „Antinationalen“ in jedem autonomen Jugendzentrum und auf fast jeder Antifa-Demo anzutreffen. Sie treten dort meist als Weichspülversion der sich immer offener bellizistisch und rassistisch äußernden Hardcore-Antideutschen in Erscheinung, behalten dabei aber immer eine latente Nähe zu ihnen und distanzieren sich in der Regel nicht konsequent von diesem Flügel der neuen Rechten. Ideologisch beziehen sich antinationale Gruppen zudem häufig auf eine stark selektive Rezeptionstradition der „Kritischen Theorie“ (Frankfurter Schule), die eine stark psychologisierende Perspektive auf Politik vertritt. Zudem sind „Antinationale“ oft sowohl von konstruktivistischen Ansätzen post-moderner Theorie (z.B. im Bereich Gendertheorie) als auch vom Gegenstandpunkt (ehemals „marxistische Gruppe“) und deren Staats- bzw. Nationalismuskritik beeinflusst.

Auch Teile der roten und antiimperialistischen Gruppen vertreten mittlerweile teils antinationale Positionen (so z.B. Perspektive Kommunismus, Roter Aufbau, SoL).

Thesen und Positionen[Bearbeiten]

In der Praxis richtet sich der „Antinationalismus“ meist weniger gegen die Herrschenden, z.B. in Form von konkretem Widerstand gegen deren imperialistische Kriegsvorbereitungen, sondern eher gegen den „nationalistischen Pöbel“, also die Arbeiterklasse. Das ist zum Beispiel immer dann zu beobachten, wenn bei der Fußballweltmeisterschaft jeder pauschal als Rassist und Idiot tituliert wird, der für eine Nationalmannschaft jubelt. Die verschiedenen Nuancen innerhalb der „antinationalen“ Szene unterscheiden sich dadurch, ob diesen „verblödeten“ und „reaktionären“ Massen noch mit dem Anspruch der Aufklärung begegnet wird, oder ob sie rundheraus zum Feind und eigentlichen Problem erklärt werden. Die Übergänge sind in der Regel fließend.

Einigermaßen repräsentativ für den „Antinationalismus“ in der linken Szene dürfte der Aufruf zur „Staat, Nation, Kapital, Scheiße“-Kampagne des „kommunistischen“ umsGanze-Bündnisses von 2009 sein:

„Nationale Schicksalsgemeinschaft – Die globale Konkurrenz trifft die ökonomischen Subjekte nicht unvermittelt. Konkurrenzchancen sind von Erfolg oder Misserfolg der nationalen Reichtumsproduktion in der Weltmarktkonkurrenz abhängig. […] Bevölkerung und Staat bilden damit eine reale nationalökonomische Gemeinschaft in der Weltmarktkonkurrenz. Gefühl und Gewissheit nationaler Zusammengehörigkeit sind also keine bloßen Hirngespinste. Sie sind Ausdruck der ganz realen Abhängigkeit des Individuums vom ökonomischen Schicksal ›seines‹ Staates.“

Aus dieser Sicht bilden die Ausbeuter und die Ausgebeuteten eines Landes also nicht nur eine „illusorische“ (Marx), sondern eine tatsächliche Interessengemeinschaft. Die Ideologie der Bourgeoisie, es ginge „uns allen“ gut, wenn es „unserer“ Wirtschaft gut geht, wird hier für bare Münze genommen und dient als Erklärung für den Nationalismus der Massen. Und weiter:

„Gegen die wiederkehrenden Bedrohungslagen gesellschaftlicher Konkurrenz entwickelt sich die Ideologie nationaler Schicksalsgemeinschaft klassenübergreifend als vermeintlich vorpolitische und außerökonomische Anspruchsgrundlage auf Solidarität und staatliche Fürsorge in der Not. […] Als Substanz nationaler Einheit wird ein selbstverständlicher, ursprünglicher Zusammenhalt vorgestellt. Für das nationale Identitätsbegehren ist es zweitrangig, wie dieser Zusammenhalt inhaltlich begründet wird, ob in natürlicher Anlage, Kultur und Geschichte, oder in einem völlig diffusen ‚Gefühl‘ und ironisch gebrochen. Entscheidend ist der ideologische Ertrag der nationalen Identitätsarbeit: der Anspruch und die Gewissheit unverbrüchlicher Zusammengehörigkeit. In wiederkehrenden Ritualen nationaler Kommunion (von Nationalfeiertagen bis zu Fussballländerspielen) inszeniert und genießt sich diese Gewissheit und befriedigt die Sehnsucht nach schützender Identität. Deshalb ist dieser vitalen Imagination mit Einsicht kaum beizukommen, deshalb auch ist es beinahe egal, welches ›Kulturerbe‹ als nationale Referenz geltend gemacht wird, ob Otto der Große, Volkswagen oder Graf Stauffenberg. Entscheidend ist die ideelle Überwindung der realen gesellschaftlichen Spaltung.“
UmsGanze- Bündnis: Kampagnenaufruf - Staat.Nation.Kapital.Scheisse!, 2009.

Während die Interessengemeinschaft zwischen Bourgeoisie und Proletariat auf dem Weltmarkt also als real angesehen wird, erscheint die Nation, der sich die Individuen zugehörig fühlen, als bloßes Konstrukt – mit „Einsicht“ via Aufklärung scheint diesem Konstrukt nicht beizukommen zu sein, zu sehr „genießen“ die Massen ihre „Gewissheit“ der angeblichen nationalen Geborgenheit.

Seit einigen Jahren wird von Teilen der linken Szene ein „antinationaler Internationalismus“ propagiert. Was auf den ersten Blick wirkt wie eine Rückbesinnung auf den proletarischen Internationalismus der Arbeiterbewegung entpuppt sich auf den zweiten Blick als etwas völlig anderes. Das Kriterium der Solidarität ist nicht etwa die grundlegende Feindschaft gegen den Imperialismus und der Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung, sondern das moralische Bekenntnis zu den westlich-liberalen Werten. In der Selbstverständniserklärung des antinationalen Magazins „Strassen aus Zucker“ z.B. werden die Bedingungen „antinationaler Solidarität“ aufgezählt. Hier wird dann sogleich eine ganze Latte von No-Gos im eigenen Zugang zum Internationalismus präsentiert:

„Wir machen unsere Unterstützung an emanzipatorischen Maßstäben fest, für die wir mit Argumenten streiten. Wer sich in martialischem Auftreten und männlicher Dominanz gefällt, Parteidisziplin erwartet und nicht Arbeit reduzieren sondern Held_innen der Arbeit küren will, wer Rassismus oder Antisemitismus in seinen Reihen duldet, Homosexualität oder Transmenschen ablehnt, die_den kritisieren wir. Wessen Kapitalismuskritik darin besteht, Bankiers für alles durch den Kapitalismus produzierte Übel persönlich verantwortlich zu machen [...]“
Straßen aus Zucker: Anstatt einer Einleitung: Warum eine internationale antinationale Zeitschrift?, 2012.

Es zeigt sich also: Nur wer den „Political-Correctness“-Kriterien einer postmodernen akademischen Metropolenlinken entspricht, verdient also deren Solidarität. Die offen antikommunistischen Zwischentöne sind fester Bestandteil der „antinationalen“ Rhetorik. Wer jedoch z.B. dem Islamismus nahe steht, wie etwa Teile der palästinensischen Befreiungsbewegungen, der verdient aus Sicht der „Antinationalen“ nicht nur keine Solidarität, sondern gerät unter Umständen sogar durchaus zurecht selbst in das Fadenkreuz der westlichen „Menschenrechtskriege“.

Eine Kritik an der Spielart des „Antinationalismus“, wie sie der Gegenstandpunkt und seine diversen Anhänger in der linken Szene vertreten, formuliert Thanasis Spanidis in seinem Artikel Standpunkte gegen den Marxismus:

„[Der GSP] übernimmt letzten Endes einfach den Nationenbegriff der Bourgeoisie: Denn für die Bourgeoisie sind die Gemeinsamkeit der Sprache, Kultur usw. natürlich letzten Endes nichts anderes als ein ideologisches Instrument, um die Unterordnung der gesamten Gesellschaft unter ein fiktives ‚Interesse der Nation‘ zu bewirken, das nichts anderes sein kann als das Interesse des Staats als ideellem Gesamtkapitalisten, also das Interesse des Kapitals. Im Alltagsbewusstsein des Proletariats und anderer Volksschichten ist die Nation aber durchaus etwas anderes, nämlich eine diffuse Vermischung von verschiedenen Elementen, die keineswegs alle reaktionär sind. Die reaktionäre, weil exklusive und auf Burgfrieden zwischen den Klassen hinauslaufende Seite des Nationenbegriffs ist dabei oft, aber überhaupt nicht immer vorhanden oder gar vorherrschend. […]

Natürlich sind die Interessen der Klassen innerhalb einer Nation gegensätzlich. Für die Arbeiter eines Landes sind die Kapitalisten desselben Landes nicht nur irgendwelche Gegner, sondern ihre unmittelbaren, größten Gegner. Ein Allgemeininteresse der Nation kann es deshalb nicht geben, im Gegensatz übrigens zur Vorstellung des GSP, der, wie der bürgerliche Nationalismus, genau dieses „Allgemeinwohl“ als reale Zielgröße der bürgerlichen Politik annimmt. Die Grenze zum Nationalismus liegt nämlich genau da, wo das imaginäre Allgemeinwohl der Nation, das in Wirklichkeit das Interesse der herrschenden Klasse ist, zum übergeordneten Ziel erklärt wird. Insofern hat der GSP auch durchaus Recht damit, dass der faschistische Nationalismus eine Variante des in der bürgerlichen Gesellschaft angelegten Nationalismus ist, […] Denn der nationale Staat beruht auf der Kapitalakkumulation, weshalb die Unterordnung aller entgegengesetzten Klasseninteressen unter dieses Ziel tatsächlich eine naheliegende und häufige Forderung bürgerlicher Politik ist. Der Fehler des GSP liegt eben an anderer Stelle, nämlich in seiner üblichen Methode, jedes soziale Phänomen, so auch die Nation, außerhalb seiner Geschichte und nur unter Betrachtung eines seiner Aspekte zu betrachten.“


Typisch für die „Antinationalen“ ist neben den hier bereits aufgezählten Punkten eine einseitige Auffassung des Kapitalismus als „automatisches Subjekt“ (die Formulierung geht auf Marx zurück), dem sowohl Bourgeoisie als auch Proletariat gleichermaßen hilflos unterworfen sind. Der Staat erscheint aus dieser Sichtweise entweder als leidenschaftsloses Herrschaftsinstrument des „automatischen Subjekts“, oder als eigenständiges ökonomisches Subjekt zwischen bzw. über den Klassen (siehe: Staatsableitung, der Staat als Subjekt und Poulantzas Kritik an der Staatsableitung), anstatt als Unterdrückungsapparat der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse.

Weit verbreitet ist außerdem die der Frankfurter Schule entlehnte These, die Arbeiter seien einem undurchdringbaren „Verblendungszusammenhang“ durch „Warenfetisch“ (Marx) und „Kulturindustrie“ (Adorno) unterworfen. Damit kapitulieren die Antinationalen im ideologischen Klassenkampf, bevor sie ihn überhaupt begonnen haben und ziehen sich theoretisch auf das Terrain der rein akademischen Ideologiekritik zurück, während sie sich praktisch in ihren elitären und hermetisch abgeschlossenen Szene-Biotopen („Freiräumen“) vom Rest der Gesellschaft isolieren.

Wer vertritt die Thesen heute?[Bearbeiten]

 Neben autonomen Antifagruppen vor allem das „Ums Ganze“-Bündnis, der Gegenstandpunkt mit seiner Zeitung „Versus“ und die jugendlich-hippe Szenezeitung für Schüler „Straßen aus Zucker“. Außerdem große Teile der deutschen Antifa-Szene, die sich nicht offen zu den „Antideutschen“ bekennen, sich aber dennoch in deren ideologischem Fahrwasser befinden.

Bezug zu den Grundannahmen[Bearbeiten]

Die „„Antinationale“ Staatskritik“, steht in einem klaren Widerspruch zu den Grundannahmen über den Staat. Relevant für die hier aufgeworfenen Fragen sind vor allem die Grundannahmen zur Entstehung des bürgerlichen Staats als Nationalstaat, zum bürgerlichen Staat als „illusorische Gemeinschaft“ und zum bürgerlichen Staat im Imperialismus.

Klärung / Arbeit mit dem Dissens [Bearbeiten]

Welche theoretischen Fragen müssen beantwortet werden?[Bearbeiten]

Bilden Bourgeoisie und Proletariat eine wirkliche (!) Interessengemeinschaft in der Weltmarktkonkurrenz? Ist die „Nation“ aus marxistischer Sicht vor allem als ideologisches „Konstrukt“ oder doch eher als historisch gewachsene ökonomisch-politische Struktur wie in Lenins und Stalins Nationen-Begriff zu fassen? Was ist der richtige Umgang mit dem Bewusstsein der Massen im Kampf gegen den bürgerlichen Nationalismus? Wie ist die einseitige Deutung des Kapitals als „automatisches Subjekt“ zu bewerten?

Welche empirischen Untersuchungen sind notwendig?[Bearbeiten]

Wie stark ist der Nationalismus in der deutschen Arbeiterklasse tatsächlich verbreitet? In welchen Schichten und Fraktionen der Klasse spielt diese Ideologie eine besonders integrierende Rolle (z.B. eher in der Arbeiteraristokratie oder eher in den am stärksten prekarisierten Teilen)? Was ist die materielle Basis des Nationalismus/Chauvinismus, was ist dessen konkreter (ideologischer) Klasseninhalt? Welche Rolle spielen, neben den Faschisten und „Rechtspopulisten“, die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften bei der Verbreitung eines Standortnationalismus?

Überschneidungen mit anderen AGs?[Bearbeiten]

In der Frage nach der „Interessengemeinschaft“ in der Weltmarktkonkurrenz und dem Begriff des „automatischen Subjekte“ gibt es Überschneidungen mit der AG Politische Ökonomie des Imperialismus. In der Frage der Verbreitung der Ideologie in der Arbeiterklasse vor allem mit der AG Klassenanalyse.

Bezug zu den Programmatischen Thesen[Bearbeiten]

Siehe zu den hier diskutierten Fragen die Abschnitte zum Staat und zum Imperialismus. Zur Frage des proletarischen Internationalismus schreiben wir in den Programmatischen Thesen:

„Während Faschisten und Nationalisten die Werktätigen der Welt gegeneinander aufhetzen, gehen wir von der grundsätzlichen Einheit der Interessen der Arbeiterklasse weltweit aus. Wir bekämpfen alle Formen des Rassismus, der nationalen und ethnischen Unterdrückung und lehnen eine Bewertung von Menschen anhand ihrer Herkunft, Sprache, Staatsangehörigkeit oder Hautfarbe ab. […]

Für Revolutionäre ist die Stellung der Arbeiterklasse zum Heimatland durch das Interesse des Kampfes für die Befreiung der nationalen Arbeiterklasse, das Ende ihrer Ausbeutung, bestimmt. Es bedeutet, dass für die Arbeiter und die revolutionäre Partei die Nation das jeweilige Feld des Kampfes ist, allerdings immer als Bestandteil des allgemeinen Kampfes für den Sieg des Sozialismus im Weltmaßstab. Es bedeutet auch, dass Kommunisten zwar eine feindliche Haltung zu nationalistischem Chauvinismus, der damit verbundenen Kultur der Verrohung sowie dem bürgerlichen Nationalstaat einnehmen, nicht aber zur Heimat, ihrer Geschichte, zur Bevölkerung und ihrer Kultur schlechthin. Nationale Befreiungskämpfe haben in der Geschichte der Klassenkämpfe eine wichtige positive Rolle gespielt. Wo sie noch heute geführt werden, wie z.B. in Palästina, verdienen sie unsere Unterstützung. Die Haltung der Kommunisten zur nationalen Frage kann aber nie unabhängig von den Gesamtinteressen der Arbeiterklasse betrachtet werden. Wir lehnen konstruktivistische Theorien ab, die in der Nation lediglich ein „Konstrukt“, also eine bloße Idee ohne materielle Realität sehen. Diese idealistischen Vorstellungen führen zu Begriffsverwischungen zwischen Staat und Nation, sind unfähig, Nation und Nationalismus zu trennen und ignorieren den Unterschied zwischen dem jungen Nationalismus des europäischen 19. Jahrhunderts und dem imperialistischen Nationalismus der Gegenwart. Sie sind Ausdruck bürgerlicher Vorstellungen zur Nation.“
Kommunistische Organisation: Programmatische Thesen, Berlin 2018, S. 13-14.


Literatur/Quellen[Bearbeiten]

  • Kommunistische Organisation: Programmatische Thesen, 2018, S.13-15.

Einzelnachweise[Bearbeiten]