Faschismus

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Überblick[Bearbeiten]

Hier soll ein grober Überblick über bestehenden Dissens in der kommunistischen Bewegung (und darüber hinaus) in Bezug auf Fragen des Faschismus "an der Macht" gegeben werden. Es ist klar, dass dieser Überblick nicht vollständig ist und ständig erweitert und verbessert werden muss. Besondere Relevanz hat für uns hierbei die Diskussionen in der Kommunistischen Internationale (KI), an welche alle Diskussionen in der Kommunistischen Bewegung bis heute anknüpfen. Auf den Unterseiten sollen die verschiedenen Debatten und Dissense, die in der kommunistischen Bewegung bis heute eine Rolle spielen, dargestellt werden.

Die Diskussion in der KomIntern über Faschismus und Sozialdemokratie[Bearbeiten]

Die Kommunistische Internationale (Komintern, KI), welche 1919 in Moskau auf Initiative Lenins gegründet wurde, war ein internationaler Zusammenschluss, in welcher sich kommunistische Parteien weltweit organisierten. Die Entwicklung der kommunistischen Weltbewegung drückt sich in den Diskussionen, welche innerhalb der Komintern geführt wurden und daraus folgenden Programmen und Resolutionen deutlich und nachvollziehbar aus. Während ihrer Existenz nahm die KI Stellung zu den brennenden Fragen der internationalen Klassenauseinandersetzung. Dazu gehörte auch der Anfang der 1920er Jahre aufkommende Faschismus, welcher die gesamte Arbeiterklasse weltweit vor große Probleme stellte. Die Bestimmung des Klassencharakters des Faschismus und daraus resultierend, die Orientierung für den antifaschistischen Kampf der kommunistischen Parteien und der Arbeiterklasse, waren wesentliche Bestandteile der Arbeit der KI. Kennzeichnend dabei war, dass die Auseinandersetzung mit dem Faschismus durch die Untersuchung seiner Position innerhalb des Klassenkampfes stattfand. Teil der Auseinandersetzungen war auch die Rolle der Sozialdemokratie und ihre Stellung zum Faschismus, ebenso wie das Verhältnis von Faschismus und bürgerlicher Demokratie.

Faschismus als Herrschaft von Teilen des Finanzkapitals[Bearbeiten]

Die sogenannte Dimitroff-These definiert den Faschismus an der Macht als die ”offene terroristische Diktatur” eines Teils des Finanzkapitals, nämlich der “reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente”. Während der Terror als Eigenschaft des Faschismus und die Beschreibung als Diktatur nicht umstritten sind, ergeben sich aus der der Formulierung der “reaktionärsten, chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente“ einige Fragen. Mit am “chauvinistischsten, am meisten imperialistischen” sind diejenigen Kräfte gemeint, die am aggressivsten nach Krieg und Expansion streben. Ist der Faschismus also nur die Herrschaft eines Teils des Monopolkapitals und gibt es also einen anderen Teil, der nicht auf den Faschismus setzt und nicht den Krieg forciert? An anderen Stellen des Referates beschreibt Dimitroff den Faschismus dagegen als Herrschaft des Finanzkapitals schlechthin. Wir wollen die Diskussion in der KomIntern auf ihre Aussage und Kohärenz und die daran anschließenden Analysen und Debatten in der Kommunistischen Bewegung untersuchen. Weiter gibt es auch Streit in der Frage, ob der Faschismus ausschließlich die Herrschaft des Monopolkapital sei. Es gibt die Position, dass das sogenannte nicht-monopolistische Kapital, kein Interesse am Faschismus habe. Ein antifaschistisches Bündnis mit der “kleinen Bourgeoisie” kann aus dieser Analyse abgeleitet werden.

Faschismus als Bonapartismus[Bearbeiten]

Der Begriff des Bonapartismus geht ursprünglich auf Marx' Schrift 'Der achtzehnte Brumaire des Louis-Bonaparte' zurück. Die Bonapartismustheorie geht davon aus, dass der Faschismus nur eine neue Form des Bonapartismus sei und dann an die Macht kommt, wenn ein historisches Gleichgewicht zwischen den kämpfenden antagonistischen Klassen eintritt. Dann kann ein Führer im Staat oder der Staat selbst die politische Macht verselbständigen und über den Klassen stehend herrschen. Dabei bedient er sich diktatorischer Mittel, da er nicht mehr an die politischen Verkehrsformen der bürgerlich-republikanisch verfassten Gesellschaft gebunden sei.

Faschismus als Bündnis[Bearbeiten]

Insbesondere der DDR-Forschung zum Faschismus, aber auch bereits der KomIntern-Definition wird unterstellt, sie vertrete eine “Agententheorie”, indem sie Hitler als nichts weiteres als den bezahlten „Agenten“ des Monopolkapitals darstellen würde. Die Kritiker beschreiben deswegen als Gegenmodell den Faschismus als Bündnis verschiedener gesellschaftlicher Gruppen mit Dominanz des Monopolkapitals. Diese Vorstellung wird zum Teil auch unter marxistischen Wissenschaftlern vertreten, auch standen deren Vertreter oft der DDR-Forschung am nächsten und waren an einer Auseinandersetzung mit dieser interessiert.

Faschismus als Gegensatz zur Demokratie[Bearbeiten]

In bürgerlichen, aber auch in marxistischen Kreisen gibt es oft die Position, der Faschismus sei das Gegenmodell zur bürgerlichen Demokratie. Es wird eine grundsätzliche Differenz zwischen bürgerlicher Demokratie und Faschismus angenommen. In der bürgerlichen Demokratie gäbe es zwar auch einen kapitalistischen Staat, aber immerhin demokratische Spielregeln und Formen, an die sich die bürgerliche Klasse halte und die der Arbeiterklasse bestimmte Spielräume lasse. Die bürgerliche Demokratie müsse deswegen verteidigt werden. Damit zusammenhängend ist die Vorstellung, dass der Faschismus als Herrschaftsform nur von einem Teil der Kapitalistenklasse favorisiert wird. Ein Bündnis mit dem „demokratischen“ Teil der Bourgeoisie kann daraus abgeleitet werden. Das Verständnis vom Faschismus als eine der bürgerlichen Demokratie entgegengesetzte Herrschaftsform der Bourgeoisie öffneten und öffnen bis heute Tür und Tor für illusionäre Vorstellungen über das Wesen des imperialistischen Staates und seiner Diktatur über die ausgebeutete Klasse (siehe Strategie der Übergänge).

Faschismus in Abgrenzung zur Militärdiktatur[Bearbeiten]

Was hat es mit Militärdiktaturen in abhängigen Ländern auf sich, die die Massen mit faschistischen Methoden unterdrücken? Lässt sich der marxistische Faschismusbegriff auch auf die Militärdiktatur in Griechenland 1967, Regime wie unter Pinochet in Chile oder andere Diktaturen die in den 60er Jahren in Lateinamerika errichtet wurden, anwenden? Inwiefern unterscheiden sie sich von faschistischen Diktaturen in den hochentwickelten kapitalistischen Ländern? Welche Gemeinsamkeiten sind in Form und Funktion zu finden? Diese Fragen hängen auch sehr eng mit der Frage zusammen, ob die Existenz einer faschistischen Massenbewegung ein notwendiges Faschismuskriterium ist.

Bürgerliche Faschismustheorien[Bearbeiten]

Wir stehen vor einer Fülle an bürgerlicher Faschismusforschung. Dabei werden verschiedenste Ansätze - ideengeschichtliche, sozialpsychologische[1], strukturalistische etc.[2] - verfolgt. Die bürgerliche Forschung über den Faschismus wird in verschiedenen Disziplinen betrieben: in der Geschichtswissenschaft, in den Politikwissenschaften, der Psychologie, der Ökonomie und anderen.

Ein Hoch erlebte die akademische Faschismusforschung in den 1960er und 1970er Jahren. Damals gab es viele Arbeiten, die eine umfassende Faschismusbestimmung zum Ziel hatten. Aktuell entstehen vorwiegend eher Arbeiten zu einzelnen Phänomen wie einzelnen Gruppierungen der sogenannten Neuen Rechten, außerdem unzählige Detailstudien über den historischen deutschen Faschismus und Faschismus in anderen Ländern. Die politische Bandbreite der verschiedenen Theorien reicht von reaktionären, chauvinistischen bis hin zu links-bürgerlichen und sogenannten kritischen Ansätzen. Die verschiedenen Faschismuskonzeptionen beziehen sich sowohl auf den historischen Faschismus als auch auf Phänomene und Bewegungen nach 1945. Auch unter den Vertretern der bürgerlichen Faschismustheorien gab es zeitweise heftige Auseinandersetzungen, wie z.B. im sogenannten Historikerstreik (Habermas, Nolte). In jüngster Vergangenheit gibt es den zunehmenden Versuch den Faschismusbegriff von rechter Seite aufzugreifen, ihn antikommunistisch zu wenden und ihn so vollends auszuhöhlen. Dies geschieht zum Beispiel bei Pegida-Protesten oder durch die AfD. Gegendemonstranten und Antifaschisten werden als Faschisten diffamiert. Oder rechte Hetzer verschleiern ihren antimuslimischen Rassismus als Kampf gegen den Islamfaschismus. Die Auseinandersetzung mit den bürgerlichen Faschismustheorien hat immer noch große Bedeutung für uns: Für die Herstellung von Klassenbewusstsein, für unseren antifaschistischen Kampf – denn diese bürgerlichen Faschismustheorien sind es, die in der Arbeiterklasse tagtäglich durch das Bildungssystem und die Medien verbreitet werden. Sie führen zu vielen falschen Vorstellungen über die Geschichte Deutschlands und über den deutschen Staat, zu einer Verschleierung der wirklichen Verantwortlichen für die Gräuel des Faschismus und des Zweiten Weltkrieges. Falsche Faschismuserklärungen sind aber auch eines der wichtigsten Instrumente der Herrschenden zur Verschleierung der Gesetzmäßigkeiten der Geschichte: Geschichte wird so unerklärlich, als Ergebnis der Taten großer oder eben teuflischer Männer. Das revolutionäre Potenzial und die Macht der kämpfenden Massen wird verschleiert. Apathie, Zynismus und falsche Identifikationsmomente sind die Folgen. Der Kampf um die richtige Faschismustheorie ist auch der Kampf für die Wiederaneignung des Kampfes der Arbeiterbewegung und damit seiner heroischen Kämpfer und Vorbilder.

Bezug zu unseren Grundannahmen[Bearbeiten]

Wie wollen wir den Dissens klären?[Bearbeiten]

In einem ersten Schritt muss der Dissens in den zentralen Fragen der Faschismusanalyse erfasst und dargestellt werden. Zu diesen Fragen gehören:

  • Welche verschiedenen Definitionen des Faschismus an der Macht gibt es in der kommunistischen Bewegung?
  • Wie wird das Verhältnis zwischen Faschismus und Imperialismus bestimmt? Welchen Zusammenhang gibt es zwischen der Machtübertragung an den Faschismus und der Vorbereitung imperialistischer Kriege?
  • Ist "Faschismus" mehr als die "offene imperialistische Diktatur"? Braucht es einen eigenen Begriff für diese Form der Herrschaft und kann dieser wissenschaftlich hergeleitet werden? Gab es eine Diskussion und Kritik des Faschismusbegriffs als Gattungsbegriff?
  • Wie kann eine faschistische Herrschaftsform von anderen "diktatorischen" Formen der bürgerlichen Herrschaft abgegrenzt werden (z.B. Militärdiktatur)? Ist der Faschismus nur eine Herrschaftsform hoch entwickelter imperialistischer Staaten? Welche Formen faschistischer Herrschaft gab und gibt es?
  • Wie verändern sich Staats- und Herrschaftsform beim Übergang von der bürgerlichen Demokratie zum Faschismus?
  • Ändert sich im Faschismus auch der Klassencharakter des Staats? (z.B. vom "ideellen Gesamtkapitalisten" zum alleinigen Herrschaftsinstrument des Monopolkapital oder einer Fraktion desselben?) Gibt es einen Teil des Kapitals der in bevorzugter Weise auf den Faschismus setzt? Wie bestimmen die verschiedenen Faschismustheorien den Klassencharakter des faschistischen Staats?
  • Ändert sich das Verhältnis zwischen Staat und Kapital/Monopolen im Übergang zur faschistischen Herrschaftsform? Ist die "relative Unabhängigkeit" des Staats gegenüber dem Kapital/den Kapitalfraktionen im Faschismus anders bzw. besonders stark ausgeprägt?
  • Sind der Klassencharakter der faschistischen Bewegung und des faschistischen Staats identisch? Welche Rolle spielt die faschistische Massenbewegung im faschistischen Staat? In welchem Verhältnis steht der faschistische Staat zu den traditionellen Eliten?
  • Welche Argumente sprechen für und gegen die "Faschisierungs"-These? Was genau ist ihr Inhalt? Wer vertritt sie, wer lehnt sie ab (siehe auch Theorie der 60er "Neuer Faschismus")?
  • Wie ändert sich das Verhältnis von Repression und Integration beim Übergang zum Faschismus? Unterscheidet sich die Repression im Faschismus grundsätzlich von der in der bürgerlichen Demokratie? Welche konkreten Formen der Integration haben faschistische Staaten in der Geschichte eingesetzt? Wie erfolgreich waren diese? Stimmt es, dass es den Faschisten nach der Machtübernahme gelang, große Teile der Arbeiterklasse in das System zu integrieren?
  • Ist die Existenz einer faschistischen Massenbewegung notwendige Voraussetzung für den Übergang zum Faschismus? Oder gibt es auch Fälle, in denen sich die faschistische Bewegung nur innerhalb der herrschenden Klasse und der Staatselite formiert?
  • Kann die faschistische Bewegung den bestehenden Staatsapparat einfach übernehmen und für ihre Zwecke nutzen oder muss sie ihn (zumindest in Teilen) zerschlagen? Welche Institutionen/Staatsapparate/Beamtengruppen lassen sich in die faschistische Herrschaft integrieren?
  • Imperialistische Strategie des deutschen Faschismus: Lassen sich der Zweite Weltkrieg und die Massenvernichtung aus dem "rationalen" Klasseninteresse der Monopolbourgeoisie und ihrer imperialistischen Strategie erklären? Oder offenbart insbesondere der Holocaust eine aus Sicht des Kapitals "irrationale" Politik der Nazis, die letztlich eine weitreichende Unabhängigkeit des faschistischen Staats gegenüber der Ökonomie belegt? (Bei den Antideutschen oft als die These "Auschwitz = negative Fabrik")
  • Wie bewerten wir einzelne Länder heute? Eine verbreitete Position auch unter kommunistischen Gruppen ist z.B., dass die Türkei ein faschistischer Staat sei - wie werden solche Positionen begründet, welches Faschismusverständnis liegt ihnen zugrunde?

Zur Erfassung des Dissenses zu all diesen Fragen gibt es ein Arbeitspaket: "Faschismus als Herrschaftsform". Wir haben dort eine vorläufige Literaturliste erstellt, diese soll von den Mitarbeitenden vorerst durchgearbeitet und exzerpiert werden. Nicht zuletzt, da es unzähliges an Literatur zu diesem Thema gibt, suchen wir bei der Recherche eine breite Mitarbeit von Interessierten. Schaut also mal in die Literaturliste, überlegt euch wo ihr unterstützen möchtet und gebt uns via E-Mail Bescheid. Gerne nehmen wir auch Literatur-Tipps entgegen.

Was steht zu diesem Dissens in den Programmatischen Thesen?[Bearbeiten]