Annexion der DDR Ende des 20. Jahrhunderts

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Einführung[Bearbeiten]

Innerhalb der kommunistischen Bewegung ist die Darstellung und Interpretation, wie (und ob) die DDR annektiert wurde, stark umstritten. Diese Frage ist Teil eines größeren Streits um die Sichtweise auf den real existierenden Sozialismus, den im Ganzen die AG Sozialismus untersucht. Für die Analyse des deutschen Imperialismus ist diese Teilfrage wichtig, um andere Fragen wie bspw. die Vormachtstellung der BRD heute zu untersuchen – aber auch, um die Haltung der Bewohner der ehemaligen DDR zu dem damaligen System und der kapitalistischen BRD heute zu verstehen.

Dissens[Bearbeiten]

Hier vertreten maoistische, trotzkistische, hoxhaistische und eurokommunistische Gruppen eine grundlegend andere Position als die KO in ihren Thesen. Da diese von der KO abweichenden Positionen letztendlich auf eine abweichende Einschätzung des realexistierenden Sozialismus zurückzuführen sind, wird für tiefergehende Analysen an die AG Sozialismus verwiesen. Maoistische Gruppen vertraten beispielsweise in den 70er Jahren die Ansicht, die Sowjetunion sei sozialimperialistisch gewesen, die Worte Lenins "Sozialisten in Worten, Imperialisten in der Tat"[1] verdreht. Sie machten die Sowjetunion als neuen Hauptgegner aus, als aggressiver und gefährlicher als die USA [2]. Bis heute vertritt die MLPD diese Position in ihrem Programm. Deshalb mussten sie zwangsläufig auch die Konterrevolution positiv bewerten, nicht als Niederlage der Arbeiterklasse. Die Annexion nicht als Ausräuberung der DDR, sondern als Befreiung, wie die MLPD nachfolgend:

„Der wachsende technologische und wirtschaftliche Rückfall gegenüber dem Westen geriet in der DDR in den 1980er-Jahren in immer heftigeren Widerspruch zur Aufrechterhaltung der sozialen Errungenschaften. Auf dieser Grundlage und infolge einer ausgeprägten bürokratischen Bevormundung, pseudosozialistischer Phrasendrescherei und politischer Unterdrückung entstand eine tiefe Enttäuschung unter den Massen und entwickelte sich 1989 eine breite demokratische Volksbewegung.

Ihr Ergebnis war die friedliche Wiedervereinigung 1990, wozu auch der tiefe Wunsch im deutschen Volk nach Überwindung der Spaltung der Nation beitrug. Eine wesentliche außenpolitische Bedingung dafür war die Unterhöhlung der Herrschaft des sowjetischen Sozialimperialismus. Da die Wiedervereinigung nicht unter sozialistischem Vorzeichen stattfand, wurde es dem westdeutschen Monopolkapital möglich, die DDR in ihre wirtschaftliche und politische Macht einzuverleiben.“
Programm der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands, Programm der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands(beschlossen am X Parteitag), URL:https://www.mlpd.de/partei/parteiprogramm; S. 36


Die trotzkistische Gruppe Arbeitermacht sieht das ähnlich:

„Was Trotzki Jahrzehnte zuvor als Schlussfolgerung seiner Analyse des Stalinismus vorausgesagt hatte, trat 1989/90 ein: Entweder die Arbeiterklasse stürzt die herrschende Bürokratie in einer politischen Revolution oder aber die degenerierten Arbeiterstaaten werden vom Weltkapitalismus wieder 'eingefangen', wozu die Bürokratie teils ungewollt, teils ganz absichtlich beigetragen hat.“
Hannes Hohn, Aufbruch und Erstarrung, Neue Internationale 144, November 2009, URL:http://www.arbeitermacht.de/ni/ni144/ddr.htm


Schon an der Frage, ob der Vorgang 1989 als Konterrevolution und Annexion oder doch eher die vom Volk herbeigesehnte Wiedervereinigung zu bezeichnen ist, scheiden sich die Geister. Füllberth (DKP) verwendet keine negativ konnotierten Begriffe wie Annexion o.Ä., aber behauptet eine Massentendenz in Richtung Wiedervereinigung , und die Erwartung der erregten Volksmassen in der DDR seien der offiziellen Politik der Bundesregierung voraus gewesen[3].

Dagegen bewerten sich als Marxisten-Leninisten bezeichnende Kommunisten die Annexion als schmerzlich für die Bevölkerung der DDR. So auch die KO mit ihren Thesen:

„Die unter anderem als Abspaltungen von der KPD entstandenen 'K-Gruppen' wendeten sich von Beginn an gegen den Sozialismus in der Sowjetunion und den anderen Ländern des Warschauer Pakts. Sie verwarfen damit eine zentrale Aufgabe der Arbeiterbewegung, nämlich die Verteidigung der sozialistischen Länder. (S.19)

Außerdem verteidigen wir als Kommunisten die DDR als größte Errungenschaft der deutschen Arbeiterbewegung gegen alle feindlichen Angriffe. Dies steht nicht im Widerspruch zu einer kritischen, wissenschaftlichen Aufarbeitung der DDR-Geschichte, sondern ist die Voraussetzung dafür. (S. 21)“
Kommunistische Organisation, Programmatische Thesen, 2018, URL: https://kommunistische.org/programmatische-thesen/ S. 19 und 21


Gossweiler stimmt hier grundsätzlich mit der Position der KO überein, dass die Übernahme der DDR für die Arbeiterklasse eine große Niederlage gewesen ist:

„So also die 'Befindlichkeit' der DDR-Bürger nach fünf Jahren Erfahrungen mit dem realen Kapitalismus der BRD – eine 'Fünf, Ungenügend!' für alle 'Delegitimierer', angefangen von ganz oben, bei der Regierung und ihren speziellen Einrichtungen, wie Gauck-Behörde, bis ganz nach unten, zur Blöd-Zeitung.“
Kurt Gossweiler: DIE DDR – NUR EINE FUßNOTE DER GESCHICHTE ?, Veröffentl. in: Horst Jäkel (Hrsg.) DDR – unauslöschbar. GNN Verlag Schkeuditz, 2008, S.12-26


Auch Biermann vertritt diese Sichtweise der Annexion und stellt die Rolle des deutschen Kapitals dabei wie folgt dar:

„Ostdeutschland wurde von westdeutschem Kapital neben seinen Helfershelfern so sorgfälltig ausgeplündert, dass es auf sich allein gestellt nicht mehr lebensfähig ist“
Biermann, Werner, and Arno Klönne. Ein Spiel ohne Grenzen: Wirtschaft, Politik und Weltmachtambitionen in Deutschland 1871 bis heute. Vol. 134. PapyRossa-Verlag, 2009.

Diese These untermauert er mit Zahlen: Ein Jahr nach dem Anschluss war das BIP-Ost um 40% zurückgegangen, die industrielle Produktion um 70% gesunken, Kosten der Betriebe um bis zu 300% in die Höhe [4]. Die Gewinne westdeutscher Firmen hätten sich dagegen durchschnittlich verdoppelt.

Dieser Einschätzung stimmt auch die DKP mit ihrem Programm zu:

„In den ersten Jahren danach vollzog sich – im Interesse und zu Nutzen vor allem des Großkapitals – in Ostdeutschland ein historisch einmaliger Vorgang der Liquidierung wirtschaftlicher und wissenschaftlich-technischer Potenziale sowie der Beseitigung von Arbeitsplätzen.“
Deutsche Kommunistische Partei: Programm der DKP, 2006, 6. Auflage,S.18


Für die Stellung des deutschen Imperialismus bedeutete die Annexion der DDR der KAZ zufolge der entscheidende Schritt auf dem Weg zur Hegemonie in Europa, um gegen den US-Imperialismus wieder auf Augenhöhe antreten zu können. [5]


Um diese verschiedenen Standpunkte näher zu untersuchen müssen zunächst verschiedene Fragen gelöst werden: Voraussetzung zur Untersuchung der Annexion und ihrer Bedeutung für den deutschen Imperialismus ist, den Vorgang und seine Ursachen zu analysieren. Dafür wird die AG Sozialismus verantwortlich sein.

Bezogen auf die BRD sind die Kapitalfraktionen und ihrer Strategien zur Zeit der Konterrevolution durch unsere AG zu analysieren, was eine Teilaufgabe anderer Fragen (wie bspw. die nach den Kapitalfraktionen im Allgemeinen) ist. Dabei sind vor allem die Handlungen des deutschen Kapitals zu untersuchen. Beide AGs sollten außerdem gemeinsam die Folgen der Annexion betrachten: Empirisch kann gezeigt werden, wie sich die ökonomische Struktur der DDR verändert hat, und welche Rolle dabei das deutsche Kapital spielte. Schließlich wird unsere AG empirisch zeigen, wie das deutsche Kapital davon langfristig profitiert hat, und wie sich das auf die Stellung des deutschen Imperialismus im Weltsystem ausgewirkt hat.

Mitmachen[Bearbeiten]

In den nächsten Monaten wollen wir uns an die systematische Beantwortung der Fragen machen - dabei kannst du mitmachen:

  • Diskutier mit
    • Du hast andere Erkenntnisse, Positionen zu bestimmten Fragen?
    • Du hast selbst offene Fragen zum Thema?
  • Einzelne Arbeitsaufträge übernehmen - in Theoriearbeit oder in praktischer Umsetzung
  • Dauerhaft mitarbeiten in der AG

Wenn das interessant klingt oder dir noch andere Möglichkeiten einfallen, dich zu beteiligen, melde dich bei uns: ag_imperialismus@kommunistische.org

Literatur zum Thema[Bearbeiten]

Deutsche Kommunistische Partei: Programm der DKP, 2006, 6. Auflage

Georg Fülberth;Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Papyrossa, Köln 2012

Hannes Hohn, Aufbruch und Erstarrung, Neue Internationale 144, November 2009, URL:http://www.arbeitermacht.de/ni/ni144/ddr.htm

Kommunistische Organisation, Programmatische Thesen, 2018, URL: https://kommunistische.org/programmatische-thesen/

Kurt Gossweiler: DIE DDR – NUR EINE FUßNOTE DER GESCHICHTE ?, Veröffentl. in: Horst Jäkel (Hrsg.) DDR – unauslöschbar. GNN Verlag Schkeuditz, 2008

KAZ-Fraktion: „Ausrichtung Kommunismus”.10 Jahre Agenda-Offensive des Kapitals: Wie lange noch?. KAZ Nr. 345. 2013

Programm der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands, Programm der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands(beschlossen am X Parteitag), URL:https://www.mlpd.de/partei/parteiprogramm

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. Lenin, W 22, 189-309: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus
  2. Georg Fülberth;Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Papyrossa, Köln 2012, S.95
  3. Georg Fülberth;Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Papyrossa, Köln 2012, S.77ff.
  4. Biermann, Werner, and Arno Klönne. Ein Spiel ohne Grenzen: Wirtschaft, Politik und Weltmachtambitionen in Deutschland 1871 bis heute. Vol. 134. PapyRossa-Verlag, 2009, S.211
  5. KAZ-Fraktion: „Ausrichtung Kommunismus”.10 Jahre Agenda-Offensive des Kapitals: Wie lange noch?. KAZ Nr. 345. 2013